Ärzte-Genossenschaften: Weg in eine selbstbestimmte Zukunft

15.08.2010 | Politik

Ärzte-Genossenschaften, bei denen ausschließlich Ärzte Gesellschafter sind, könnten ein zukunftsweisendes Modell sein, wie Ärzte zusammenarbeiten. Jeder bleibt sein „eigener Herr“, profitiert aber wirtschaftlich durch die Kooperation mit anderen Ärzten.
Von Friedrich Hartl*

Ein höchst effizientes, loses Netz von Einzelordinationen stellt derzeit die medizinische Versorgung auf höchstem Niveau sicher. Im Bereich der Hilfsprozesse (Beschaffung, EDV, Reinigung, Verwaltung, Facilitymanagement, Abrechnung…) liegen aber Optimierungspotentiale, da viele dieser Aufgaben gemeinschaftlich besser erledigt werden können als durch den einzelnen Arzt selbst.

Während bei Übertragung dieser Aufgaben an von Nicht-Ärzten betriebene Gesellschaften (zum Beispiel Einmietung in Ärztezentren) ein Großteil der so erzielten Einsparung beim Betreiber der Gesellschaft verbleibt und so den einzelnen Ärzten entgeht, kann – wenn diese Leistungen durch eine Genossenschaft erbracht werden, in der ausschließlich Ärzte Gesellschafter sind – dieser Mehrwert ungeschmälert bei diesen genossenschaftlich organisierten Ärzten verbleiben und in eine Verbesserung der Patientenversorgung investiert werden.

Dieses Modell hat sich bereits seit mehr als einem Jahrhundert in vielen anderen Branchen wie zum Beispiel bei Winzergenossenschaften, Molkereigenossenschaften, Kreditgenossenschaften, Einkaufsgenossenschaften und vieles andere mehr, vor allem im Bereich der Bauernschaft, des Lebensmittel-Einzelhandels und des Sparkassenbereiches bewährt.

Der Zusammenschluss in Genossenschaften hat zu einem Überleben des in einem losen Netzwerk von beispielsweise Einzelbauernwirtschaften organisierten Bereichs geführt; eine erzwungene Übernahme durch große Einheiten mit hohem Grad an Fremdbestimmung konnte dadurch verhindert werden. Auch im Bereich des Banken- und Kreditwesens sowie des Einzelhandels ist festzustellen, dass genossenschaftlich geführte Organisationen immer noch in österreichischen Händen sind, währenddessen viele in anderen Formen zusammengeschlossene Banken und Lebensmitteleinzelhändler längst in Ketten, die ausländischen Kapitalinvestoren den in Österreich erwirtschafteten Mehrwert – infolge Gruppenbesteuerung noch dazu meist steuerschonend – zuspielen, organisiert sind.

Zweck der Genossenschaft ist stets die Förderung des Erwerbs der Mitglieder. Sie haben somit keinen Selbstzweck; der in der Genossenschaft erzielte Mehrwert kommt ausschließlich den Mitgliedern zugute. Die Kooperation erfolgt nach dem Prinzip „so viel wie nötig, so wenig wie möglich“, um den maximalen Handlungsspielraum der einzelnen Mitglieder auch weiterhin zu gewährleisten.

Beispiele für sinnvolle Genossenschaftsbildungen im Bereich der Ärzte können sein: Einkaufsgenossenschaften; Betreibergenossenschaften einer Immobilie, in der die einzelnen Arztordinationen eingemietet sind; Betreiben eines gemeinsamen Labors; aber auch Betreiben einer Kreditgenossenschaft, in der ältere Kollegen ihre Ersparnisse in Form von Krediten jüngeren Kollegen zur Verfügung stellen, ohne dass von dem Zinsertrag andere als Ärzte profitieren.

Es ist ganz einfach, eine Genossenschaft zu gründen. Bei der Gründung einer Genossenschaft wird nach dem Prinzip „eine Person, eine Stimme“ vorgegangen. Jeder Genossenschafter erwirbt einen Genossenschaftsanteil; seine Haftung kann mit der Höhe des erworbenen Genossenschaftsanteiles oder bis zu maximal dem Doppelten des erworbenen Genossenschaftsanteiles begrenzt werden. Die Genossenschaft muss Mitglied in einem Dachverband (Revisionsverband) sein, welcher alle zwei Jahre die Buchhaltung und sonstige Gebarung der Genossenschaft überprüft, um Unregelmäßigkeiten hintan zu halten. Es wäre anzuregen, dass die Österreichische Ärztekammer einen solchen Dachverband zur Verfügung stellt, um eine Prüfung durch fremde Dachverbände zu vermeiden.

Eine Genossenschaft benötigt ähnlich wie ein Verein nur freiberufliche Vorstände, Kassier, Rechnungsprüfer etc. Erst ab 40 Mitarbeitern ist ein Aufsichtsrat erforderlich, wenn diese Mitarbeiterschaft von der Genossenschaft selbst direkt beschäftigt wird.

Selbstverständlich kann eine Genossenschaft auch für den operativen medizinischen Betrieb Sinn machen: zum Beispiel beim Betreiben eines gemeinsamen Terminvormerksystems für eine Gruppe von Ärzten, um alle Tageszeiten abdeckend anbieten zu können; zur Realisierung eines kompletten Behandlungspfades inklusive Transport der Patienten zu unterschiedlichen Diagnosen und Behandlungsorten; zum Vorhalten eines Pools von medizinischem Personal, um Personalausfälle kompensieren zu können etc.

Arten von Genossenschaften

  • Einkaufsgenossenschaften
  • Verkaufsgenossenschaften
  • Verwertungsgenossenschaften
  • Nutzungsgenossenschaften
  • Produktionsgenossenschaften
  • Kreditgenossenschaften (Raiffeisenbanken, Volksbanken)
  • Konsumgenossenschaften
  • Bau- und Siedlervereine

Beispiele für Ärztegenossenschaften

  • Gemeinsame Einreichung von Projekten beim Reformpool
  • Abstimmung bezüglich zeitlicher Vorhaltung wie zum Beispiel Bereitschaftsdienst, Vertretung …
  • EDV-Struktur für gemeinsame Krankengeschichte, Überweisungen und Befundabruf
  • Gemeinsamer Einkauf von Waren und Dienstleistungen
  • Terminkoordinationsstelle für Diagnose und Therapie-Prozesse
  • Kaufmännischer, rechtlicher, EDV-Support
  • Personalpool: zum Beispiel für Kompensation von Ausfällen

*) Dr. Friedrich Hartl, Referent für Qualitätssicherung im niedergelassenen Bereich der Ärztekammer für Wien; Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der ÖQMed; Rückfragen an: office@dr-hartl.at

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2010