Restless Legs: Verkannter Räuber des Schlafs

10.05.2010 | Medizin

Restless Legs zählt mit einer altersabhängigen Prävalenz von acht bis 15 Prozent zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen. Trotzdem vergeht bis zur richtigen Diagnose durchschnittlich ein Jahr.
Von Eveline Hecher

Unangenehme Missempfindungen an den Beinen, Ameisenlaufen oder brennende Schmerzen sowie ein massiver Bewegungsdrang in den unteren Extremitäten stellen einen großen Leidensdruck für Patienten mit Restless Legs dar. „Betroffene können kaum still halten und müssen sich bewegen, was die Krankheitssymptomatik lindert“, erklärt Univ. Doz. Willi Gerschlager, vom Krankenhaus Hietzing Wien/Neurologisches Zentrum Rosenhügel. Sämtliche Beschwerden treten eher abends – klassischerweise in ruhender Position – auf und verbessern sich tagsüber, was vermutlich mit hormonellen Schwankungen zusammenhängt. Generell präsentiert sich der Krankheitsverlauf unterschiedlich, je nachdem ob es sich um ein idiopathisches RLS handelt, das eher bei Patienten im zweiten bis dritten Dezennium auftritt, oder ob von einem sekundären RLS die Rede ist, das im sechsten bis siebenten Dezennium vorkommt. Prinzipiell ist die Erkrankung jedoch altersassoziiert, nicht zuletzt deshalb, weil sekundäre Faktoren wie Polyneuropathie, Leber- und Nierenerkrankungen sowie Diabetes Mellitus vermehrt eine Rolle spielen.

Der klinische Verlauf ist meist progredient, die Symptomatik kann stark fluktuieren. Sogar Remissionen innerhalb eines Monates sind möglich. „Insgesamt ist der Verlauf aber sehr wechselhaft“, erklärt Univ. Prof. Carl Nicolaus Homann von der Neurologischen Abteilung der Medizinischen Universität Graz. Während sich der Verlauf vor dem 50. Lebensjahr oft schleichend präsentiert, schreitet er danach schneller fort. Manche Patienten haben aber auch nur in bestimmten Lebensphasen Beschwerden beziehungsweise wenn sie es provozieren: zum Beispiel beim stundenlangen Sitzen etwa in der Oper oder bei Transkontinentalflügen nach einem Glas Wein. Sämtliche Beschwerden präsentieren sich aber oftmals nur bei einem Drittel der Betroffenen so stark, dass eine Behandlung erforderlich ist.

Bei starken Beschwerden sind aber auch Folgeerkrankungen möglich: „Zu den schweren Beschwerden zählen vor allem Schlafstörungen, Depressionen, Konzentrationsstörungen oder kognitive Einbußen“, erklärt Gerschlager. Sogar kardiale Probleme und Hypertonie können als stressbedingte Folgen aus der Krankheit resultieren. Rezente Arbeiten ergaben, dass eine Beeinträchtigung der Lebensqualität eindeutig nachweisbar ist. Eine stärkere Einschränkung der physischen Gesundheit ergibt sich laut Studien bei so genannten höheren Fatigue-Werten, während eine Einschränkung der mentalen Gesundheit eher bei erhöhter Tagesschläfrigkeit entsteht, erklärt Homann.

Prinzipiell handelt es sich beim Restless Legs Syndrom um eine progrediente Erkrankung; es sei denn, es werden ursächliche Faktoren, wie es beim sekundären RLS der Fall ist, gefunden und behandelt. Auf jeden Fall sollte man bei der Diagnostik auch sekundäre Ursachen abklären. Angeraten ist, umfangreiche Blutuntersuchungen inklusive Transferrin- und Ferritin-Spiegel durchzuführen. Studien zeigen nämlich, dass niedrigere Eisenspiegel die Symptome verstärken und der Eisenstoffwechsel im Gehirn bei manchen Patienten eine Rolle spielt. Die niedrigen Eisenspiegel können auch einer der Gründe sein, warum Frauen während der Schwangerschaft oft de novo RLS-Symptome zeigen oder vorhandene Beschwerden schlechter werden. Dabei sei jedoch erwähnt, dass Frauen ohnehin häufiger von RLS betroffen sind, nämlich bis zu doppelt so häufig wie Männer. Neben dem kompletten Blutbild gehören laut den Experten aber auch Blutsenkung, Leber- und Nierenparameter, der Ferritin-Spiegel, die Schilddrüsenparameter, HBA1C sowie Folsäure, VitB12 und der Elektrolyt-Haushalt abgeklärt.

Differentialdiagnostisch sind auch Wurzelreizsyndrome, Claudicatio intermittens spinalis, Varikosis, Engpasssyndrome oder eine pAVK in Betracht zu ziehen. „Auch an ein Parkinson-Syndrom oder an Nebenwirkungen durch Neuroleptika sollte differentialdiagnostisch gedacht werden“, weist Homann hin. Sowohl bei Parkinson als auch beim RLS ist nämlich das dopaminerge System betroffen, wobei die verantwortliche Pathophysiologie eine jeweils andere ist. „Es ist also nicht damit zu rechnen, dass die eine Erkrankung in die andere übergeht“, beruhigt Gerschlager. Ob eine Assoziation zwischen den beiden Erkrankungen besteht, wird widersprüchlich diskutiert: Beim RLS gibt es zumindest Theorien, dass das dopaminerge System im Rückenmark verantwortlich ist, während bei Parkinson die Basalganglien eine Rolle spielen. Sicher sei aber, dass manche Parkinson Patienten über RLS-Beschwerden klagen, wobei es sich aber auch nur um ein Off-Symptom der Parkinson-Erkrankung handeln könnte. Hier könnte man dann eher von einem sekundären RLS sprechen. „Ob jetzt aber ein sekundäres RLS bei Parkinson häufiger ist, ist schwer zu beantworten“, beschreibt Gerschlager die Situation.

Obwohl es sich beim RLS um eine sehr bekannte und verbreitete Erkrankung handelt, kann bis zur richtigen Diagnosestellung durchschnittlich ein Jahr vergehen, was oft daran liegt, dass Betroffene die Symptome anders beschreiben oder Tagesmüdigkeit und Schlafstörungen in den Vordergrund stellen. „Wichtig ist, eine genaue Symptom-Exploration durchzuführen und konkret nachzufragen, welche Beschwerden vorhanden sind“, weist Gerschlager hin. Neben der typischen Klinik – diurnale Schwankungen, Bewegungsdrang, Missempfindungen in den Beinen in Ruhestellung und prompte Besserung bei Aktivität – unterstützt eine positive Familienanamnese die Diagnostik. Um möglichst bald auf die richtige Diagnose zu kommen, sollten schließlich die Minimalkriterien wie Bewegungsdrang in den Beinen, Sensibilität oder Schmerzempfinden in entspanntem Zustand, überprüft werden, da es sich beim RLS vor allem um eine klinische Diagnose handelt. Neben den erwähnten serologischen Untersuchungen zum Ausschluss eines sekundären RLS könne laut Experten auch ein Versuch mit L-Dopa gestartet werden, wofür man eine 100 Milligramm L-Dopa Einmaldosis gibt. „Ist das Ergebnis unklar, kann auch ein standardisierter L-Dopa Test beim Spezialisten für Bewegungsstörungen durchgeführt werden“, erläutert Homann die Vorgehensweise. Ist die Diagnose schließlich gesichert, wird vorerst – wenn die Symptome nicht zu intensiv sind und der Leidensdruck der Betroffenen nicht zu hoch ist – nicht eine medikamentöse Therapie in Betracht gezogen. Zu Beginn empfiehlt sich eine Bedarfsmedikation oder die prophylaktische Einnahme von Medikamenten für bestimmte Situationen, in denen die Patienten länger ruhig sitzen müssen. Sonst stehen Maßnahmen wie Schlafhygiene, Sport und Bewegung auf dem Programm. Auch Entspannungsübungen wie Autogenes Training, Massagen oder Muskelrelaxation nach Jacobson könnten laut den Experten Erfolg bringen. Wichtig sei auch eine Vermeidung von Alkohol und Koffein. „Auf jeden Fall ist eine Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe für RLS-Patienten sinnvoll“, ist Homann überzeugt.

Sind die Beschwerden stark und durch Lifestyle-Maßnahmen nicht einzudämmen, ist eine dopaminerge Therapie angezeigt. Dies geschieht durch Dopaminagonisten oder low dose-Levodopa. Während Dopaminagonisten die Therapie der Wahl sind, können aber bei Therapieversagern oder Unverträglichkeiten auch Antikonvulsiva (zum Beispiel Gabapentin) eingesetzt werden. Bei der dopaminergen Therapie ist zu beachten, dass der Krankheitsverlauf auch negativ beeinflusst werden kann. „Als wichtigste Nebenwirkung der dopaminergen Therapie ist die örtliche oder zeitliche Ausweitung der RLS-Beschwerden, eine so genannte Augmentation, zu nennen“, weist Homann hin. Das Risiko für eine Augmentation ist unter einer Therapie mit Levodopa signifikant höher als unter einem Dopaminagonisten. In so einem Fall kann dann von L-Dopa auf Dopaminagonisten gewechselt werden beziehungsweise bei unzureichendem Ansprechen oder Komplikationen auf Antikonvulsiva oder auch auf Opioide. Diesbezüglich gibt es jedoch eine sehr begrenzte Datenlage, weswegen es sich bei Letztgenanntem derzeit noch um einen „off label use“ handelt. Andere, neue Erkenntnisse bezüglich der Therapie existieren noch nicht.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 9 / 10.05.2010