Psy­cho­so­ma­tik und Abort: Frauen mehr­fach unter Druck

25.02.2010 | Medizin

Einem Abort in der Früh­schwan­ger­schaft wird heute – im Gegen­satz zu frü­her – ein nicht uner­heb­li­ches Maß an psy­chi­scher Belas­tung bei­gemes­sen. Aggra­viert wird dies spe­zi­ell bei Pati­en­tin­nen nach IVF oder Frauen, die eine Schwan­ger­schaft erst spät geplant haben und daher zusätz­lich unter Druck ste­hen. Von Eve­line Hecher 

Wäh­rend vor eini­ger Zeit, gerade wenn es um das Thema „indu­zier­ten Abor­tus“ ging, die psy­chi­sche Belas­tung der Frau als gering ein­ge­stuft – um nicht zu sagen „negiert“ – wurde, zeigt der aktu­elle Wis­sens­stand, dass dies oft nicht der Fall ist. „Die Zahl der Not­wen­dig­keit einer pro­fes­sio­nel­len Unter­stüt­zung im Falle eines Abor­tus ist sehr hoch“, erklärt dazu Univ. Prof. Mar­tin Lan­ger, Gynä­ko­loge und Spe­zia­list im Bereich der gynä­ko­lo­gi­schen Psy­cho­so­ma­tik von der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien. Zwar macht es einen Unter­schied, ob sich ein Abor­tus spon­tan ereig­net hat oder bei­spiels­weise auf­grund einer Chro­mo­so­men­an­oma­lie ein Abort indu­ziert wurde, jedoch bedeu­ten beide For­men eine psy­chi­sche Belas­tung. Grund­sätz­lich kann man die all­ge­meine Abort­rate mit 15 bis 20 Pro­zent ansetzen. 

Wäh­rend beim indu­zier­ten Abor­tus die bewusste Ent­schei­dung gegen das Kind eine zen­trale Varia­ble bil­det, fällt diese beim spon­ta­nen Abor­tus weg „Wenn man nicht weiß, warum das Kind immer wie­der abgeht, kön­nen Insuf­fi­zi­enz­ge­fühle als Frau bei der Betrof­fe­nen ent­ste­hen“, erklärt Univ. Prof. Astrid Lampe von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Medi­zi­ni­sche Psy­cho­lo­gie und Psy­cho­the­ra­pie Inns­bruck. Das soll aber nicht hei­ßen, dass durch eine bewusste Ent­schei­dung für einen Abor­tus keine Schuld­ge­fühle vor­han­den sind. „Natür­lich kön­nen auch bei einem indu­zier­ten Abor­tus Schuld­ge­fühle auf­kom­men, aller­dings ist die Rich­tung eine ganz andere“. Im Wie­ner AKH wird – ebenso wie auch an der Uni­ver­si­täts­kli­nik Inns­bruck – allen Pati­en­tin­nen mit medi­zi­nisch indi­zier­ten Abor­ten psy­cho­lo­gi­sche Unter­stüt­zung angeboten. 

Wel­che For­men des Aborts jedoch „leich­ter“ oder „schwie­ri­ger“ zu ver­ar­bei­ten sind, lässt sich nicht so ein­fach sagen, denn, wie Lampe berich­tet, handle es sich bei einem Abor­tus immer um ein sehr indi­vi­du­el­les Erleb­nis. Auch der ursprüng­li­che Glaube, dass Aborte in der Früh­schwan­ger­schaft unpro­ble­ma­tisch seien, stimmt nicht ganz. „Der Feh­ler, den man übli­cher­weise macht, ist, zu sagen „Frühe Schwan­ger­schaft – klei­nes Trauma, späte Schwan­ger­schaft – gro­ßes Trauma“, sagt Lan­ger.

Trauma nicht unterschätzen 

Ver­gleicht man die bei­den Extreme, stimmt das schon. „Es macht natür­lich einen Unter­schied, ob nach dem ers­ten posi­ti­ven Schwan­ger­schafts­test in der fünf­ten Schwan­ger­schafts­wo­che ein Abor­tus von­stat­ten geht oder ein intrau­te­ri­ner Frucht­tod in der 36. SSW“, so Lan­ger. Das Trauma im ers­ten Tri­me­non ist jedoch nicht zu unter­schät­zen: Falsch wäre näm­lich auch, der Betrof­fe­nen zu sagen, „macht ja nichts, in drei Mona­ten sind Sie eh wie­der schwanger“. 

Ein mög­li­cher Grund für die psy­chi­sche Trag­weite eines Aborts im ers­ten Tri­me­non bil­det die soge­nannte „Per­so­ni­fi­zie­rung des Embryos“, wel­che heut­zu­tage sehr früh statt­fin­den kann. Die Gründe dafür lie­gen in der frü­hen bild­ge­ben­den Dia­gnos­tik. „Oft kom­men betrof­fene Frauen mit einem so klei­nen Ultra­schall­bild, auf dem eigent­lich noch gar nichts wirk­lich zu erken­nen ist“, erläu­tert Lampe. „Aber dadurch ent­wi­ckeln Frauen schon sehr früh eine sehr inten­sive Bin­dung zu dem erwar­te­ten Kind“. Das Kind wird so gese­hen sicht­bar, bevor man es spürt. Diese Bin­dung zum Kind wächst natür­lich mit zuneh­men­dem Gesta­ti­ons­al­ter, wo dann auch Kinds­be­we­gun­gen hinzukommen. 

Abrup­tes Ende 

Durch einen Abor­tus nimmt diese Bin­dung jedoch ein abrup­tes Ende, wodurch die­ser mit einem schwer­wie­gen­den Ver­lust­er­leb­nis gleich­ge­setzt wer­den kann. „Unter bestimm­ten Umstän­den kann der Ver­lust eines unge­bo­re­nen Kin­des trau­ma­ti­schen Cha­rak­ter haben“, erklärt Lampe.

Immer wie­der tre­ten laut den Aus­sa­gen der Exper­ten bei den Betrof­fe­nen Ver­sa­gens- und Schuld­ge­fühle als Folge eines Aborts auf. Viele Frauen fra­gen, warum sie nicht im Stande sind, ein Kind zur Welt zu brin­gen. Die Krän­kung des posi­ti­ven Selbst­wer­tes oder auch „Nar­ziss­ti­sche Krän­kung“ ist vor allem bei Frauen vor­der­grün­dig, die noch nie ein gesun­des Kind zur Welt gebracht haben. „Eine Pati­en­tin, die zwei gesunde Kin­der mit ihrem Part­ner hat, wird auch trau­rig sein, dass sie ein Kind ver­lo­ren hat. Aber die posi­tive Beset­zung ihres Kör­pers bleibt eher, weil sie weiß, sie kann gesunde Kin­der bekom­men“, erklärt Lan­ger. Eine Frau, die noch kein leben­des Kind hat und den drit­ten Abor­tus erlebt, könne dem­nach schon sehr trau­ma­ti­siert werden. 

Indi­vi­du­el­les Erle­ben verschieden 

Wie schlimm sich ein Abort­er­leb­nis für die Betrof­fene gestal­tet, ist sehr indi­vi­du­ell. Die Ver­ar­bei­tung hängt näm­lich sehr von der Lebens­si­tua­tion, der Schwan­ger­schaft und den Umstän­den des statt­ge­fun­de­nen Aborts ab. Neben dem sozia­len Umfeld spie­len – so Lampe – sowohl die per­sön­li­chen Vor­au­set­zun­gen der Frau als auch die Schwan­ger­schafts­ge­schichte eine Rolle: „Es macht bei­spiels­weise einen Unter­schied, ob es sich um habi­tu­elle Aborte oder um ein ein­ma­li­ges Gesche­hen han­delt, denn in der Regel kom­men wir mit sol­chen Erleb­nis­sen zurecht, wenn sie ein­ma­lig auf­tre­ten“, erläu­tert Lampe. Beson­ders schwer haben es IVF-Pati­en­tin­nen oder Frauen, die ihre Schwan­ger­schaft eher spät geplant haben und es nicht geklappt hat – das setzt diese Frauen zusätz­li­che unter Druck. 

Auch Wut und Schuldzuweisungen 

Doch nicht nur Selbst­zwei­fel im Sinne einer nar­ziss­ti­schen Krän­kung, son­dern auch Wut und Schuld­zu­wei­sun­gen etwa auf Behand­ler oder Ver­zweif­lung sind mög­lich, was durch­aus als „nor­male“ Reak­tion auf ein der­ar­ti­ges Ereig­nis gedeu­tet wer­den kann. „In schwe­ren Fäl­len kann es bis hin zur Depres­sion kom­men, die unter Umstän­den auch medi­ka­men­tös behan­delt wer­den muss“, erklärt Lampe. Depres­sion ist auch jene psych­ia­tri­sche Dia­gnose, die am häu­figs­ten nach einem Abor­tus beob­ach­tet wird.

Bewäl­ti­gungs­stra­te­gien

Wie die bei­den Exper­ten aus ihrer Erfah­rung berich­ten, ist „Abor­tus“ sehr wohl noch ein Tabu­thema. Es wird nicht sehr offen dis­ku­tiert, jedoch machen Frauen, die dar­über spre­chen, sehr oft die Erfah­rung, dass sie nicht die Ein­zi­gen sind. „Das ist ein ganz bekann­tes Phä­no­men“, bestä­tigt Lan­ger. Auf­grund der nar­ziss­ti­schen Krän­kung werde nicht dar­über gespro­chen. Bes­ser ver­ar­beit­bar wird ein Abort­er­leb­nis jeden­falls, wenn die Betrof­fene gut sozial unter­stützt wird und die Trauer mit ihrem Part­ner teilt. „Bei der Bewäl­ti­gungs­stra­te­gie spielt der Part­ner eine ganz zen­trale Rolle“, erläu­tert Lan­ger wei­ter. Diese Mei­nung teilt auch Lampe, wenn sie betont, dass der Part­ner mit­ein­be­zo­gen wer­den sollte, weil auch er Trauer über das ver­lo­rene Kind erlebt. Die Ver­ar­bei­tung werde auch umso bes­ser, wenn Frauen die Mög­lich­keit haben, mit ande­ren zu trau­ern. „Wir machen den Frauen Mut, diese Trauer auch ernst zu neh­men und regen auch das Pfle­ge­per­so­nal und Ärzte an, eine ‚Erlaub­nis zur Trauer‘ zu geben“, führt Lampe aus. Eine ver­fehlte Form der Bewäl­ti­gungs­stra­te­gie wäre es, so zu tun, als ob nichts gewe­sen wäre, und ein­fach wei­ter zu machen – aber das ist meist nicht von Vor­teil, wie Lampe weiß.

Pro­ble­ma­tisch: Chronifizierung 

Die Dauer der psy­cho­the­ra­peu­ti­schen Behand­lung ist ebenso unter­schied­lich, wie die Vul­nerabi­li­tät der Frauen und das Erle­ben des Abort-Gesche­hens. Bei Chro­ni­fi­zie­rung wird es aber schwie­ri­ger: „Wir wür­den jeden­falls psy­cho­the­ra­peu­ti­sche Unter­stüt­zung emp­feh­len“, unter­streicht Lampe. Für eine gute Bewäl­ti­gungs-Pro­gnose spre­chen viele psy­cho­so­ziale Res­sour­cen, Opti­mis­mus und aus­rei­chende Ich-Sta­bil­tät. „Wich­tig ist auch die eigene Ein­stel­lung“, ergänzt Lampe: „Wel­che Erwar­tun­gen hatte ich an das Kind, wel­che Träume oder Hoff­nun­gen habe ich damit verbunden.“ 

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 4 /​25.02.2010