Neu­ro­bio­lo­gie der Psy­cho­the­ra­pie: Zei­gen, was Psy­cho­the­ra­pie kann

25.09.2010 | Medizin

Die Wir­kung von psy­cho­the­ra­peu­ti­schen Inter­ven­tio­nen kann durch Dar­stel­lung von bio­phy­sio­lo­gi­schen Kor­re­la­ten im Gehirn sicht­bar gemacht wer­den. Die Wahl der Psy­cho­the­ra­pie für ein bestimm­tes Krank­heits­bild könnte also schon bald auf Grund von Ver­än­de­run­gen getrof­fen wer­den, die sie im Gehirn bewirkt.
Von Corina Petschacher

Ob als allei­nige The­ra­pie­me­thode oder in Kom­bi­na­tion mit medi­ka­men­tö­ser The­ra­pie: Die Wirk­sam­keit der Psy­cho­the­ra­pie gilt heute bereits bei einer Reihe von psy­chi­schen Stö­run­gen als gesi­chert. Die Wis­sen­schaft inter­es­siert sich aller­dings auch zuneh­mend für die neu­ro­bio­lo­gi­schen Vor­gänge, die mensch­li­chen Lern- und Ent­wick­lungs­pro­zes­sen sowie psy­chi­schen Stö­rungs­bil­dern zugrunde lie­gen. Mit Hilfe von moderns­ten bild­ge­ben­den Ver­fah­ren kön­nen heute nicht nur bestimmte Areale des Gehirns mit bestimm­ten kogni­ti­ven Fähig­kei­ten in Ver­bin­dung gebracht wer­den, es ist auch mög­lich, Ver­än­de­run­gen in die­sen Berei­chen dar­zu­stel­len und bestimm­ten Inter­ven­tio­nen zuzu­ord­nen. Die Effekte einer Psy­cho­the­ra­pie mit bild­ge­ben­den Ver­fah­ren dar­zu­stel­len, ist Ziel der Arbeits­gruppe um Univ. Prof. Gabriele Sachs an der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Psych­ia­trie und Psy­cho­the­ra­pie an der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien.

Unter neu­ro­bio­lo­gi­schen Ver­än­de­run­gen im Gehirn ver­steht man spe­zi­fi­sche neu­ro­bio­lo­gi­sche Kor­re­late, die man par­al­lel zu psy­cho­the­ra­peu­ti­schen Inter­ven­tio­nen beob­ach­ten kann. Durch die Fort­schritte in der funk­tio­nel­len Bild­ge­bung mit magnet­re­so­nanz­to­mo­gra­phi­schen und nukle­ar­me­di­zi­ni­schen Tech­ni­ken ist es heute mög­lich, loka­li­sierte zere­brale Areale/​neuronale Regel­kreise und Ver­än­de­run­gen, die in die­sen Berei­chen durch Psy­cho­the­ra­pie ent­ste­hen, dar­zu­stel­len. Kurz­fris­tige Emo­ti­ons­zu­stände und Kogni­tio­nen kön­nen mit Hilfe von bestimm­ten Para­dig­men unter­sucht wer­den und es kann beob­ach­tet wer­den, wel­che Areale dabei im Gehirn akti­viert wer­den.

Zwei wich­tige Zen­tren im Gehirn sind dabei bereits beson­ders genau unter­sucht wor­den: Zum einen der prä­fron­tale Kor­tex, das Kon­troll­zen­trum für Pla­nung und Hand­lungs­steue­rung, der auch an der Regu­la­tion emo­tio­na­ler Pro­zesse betei­ligt ist, zum ande­ren das lim­bi­sche Sys­tem, wo es unter ande­rem um die emo­tio­nale Bewer­tung von Sin­nes­rei­zen geht, also der Ver­ar­bei­tung von Emo­tio­nen und der Ent­ste­hung von Trieb­ver­hal­ten, wei­ters um Lern- und Gedächt­nis­pro­zesse. Man nimmt eine dichte neu­ro­nale Ver­net­zung der Gehirn­areale an, die nicht abge­grenzt von­ein­an­der gese­hen wer­den kön­nen. Je nach Krank­heits­bild kommt es in die­sen Berei­chen zu ver­schie­de­nen Über- und Unter­ak­ti­vie­run­gen, die Abwei­chun­gen zu Akti­vie­run­gen bei Gesun­den dar­stel­len. Diese Ver­än­de­run­gen kön­nen mit­tels funk­tio­nel­ler Magnet­re­so­nanz (fMRI) dar­ge­stellt wer­den. Durch psy­cho­the­ra­peu­ti­sche Inter­ven­tio­nen kommt es in die­sen Berei­chen zu Akti­vie­rungs­ver­än­de­run­gen im Gehirn. „Neu­ro­nale Regel­kreise im Gehirn ent­ste­hen durch Gen-Umwelt-Inter­ak­tio­nen. Sie sind sowohl von gene­ti­schen Fak­to­ren bestimmt als auch geprägt durch Lern­vor­gänge; die Psy­cho­the­ra­pie hat Ein­fluss dar­auf und so las­sen sich auch Ver­än­de­run­gen in die­sen Berei­chen durch „Umler­nen“ mit­tels psy­cho­the­ra­peu­ti­schen Inter­ven­tio­nen, wie zum Bei­spiel der Ver­hal­tens­the­ra­pie, bild­lich dar­stel­len. „Die­ser Lern­pro­zess kann neu­ro­bio­lo­gisch in Form von Akti­vie­rungs­ab­nah­men oder Akti­vie­rungs­zu­nah­men in bestimm­ten neu­ro­na­len Netz­wer­ken dar­ge­stellt wer­den“, erklärt Sachs.

Im Bemü­hen um eine evi­denz­ba­sierte Psy­cho­the­ra­pie habe die empi­ri­sche Psy­cho­the­ra­pie­for­schung in den letz­ten Jah­ren wach­sende Erkennt­nisse zu all­ge­mei­nen und dif­fe­ren­zi­el­len Wirk­fak­to­ren und Wirk­me­cha­nis­men von Psy­cho­the­ra­pie gebracht, beschreibt die Exper­tin. Es habe sich das Kon­zept der stö­rungs­spe­zi­fi­schen The­ra­pie ent­wi­ckelt. Psy­cho­the­ra­pie werde in die­sem Sinne als Behand­lung spe­zi­fi­scher Stö­rungs­bil­der ver­stan­den, ent­spre­chend der Defi­ni­tio­nen von Krank­heits­bil­dern in den inter­na­tio­na­len Klas­si­fi­ka­ti­ons­sys­te­men. Neuere Ent­wick­lun­gen wür­den der­zeit wei­ter in Rich­tung der Ein­be­zie­hung von psy­cho­lo­gi­schen und bio­lo­gi­schen Model­len, wie neuen Ansät­zen der Neu­ro­bio­lo­gie zu psy­chi­schen Stö­rungs­bil­dern und der neu­ro­na­len Kon­struk­tion des Selbst gehen. Für eine Reihe von psych­ia­ti­schen Erkran­kun­gen seien struk­tu­relle und funk­tio­nelle neu­ro­nale Auf­fäl­lig­kei­ten in bestimm­ten Hirn­area­len gefun­den wor­den. Neu­ro­nale Netz­werk­mo­delle könn­ten dazu bei­tra­gen, die Dyna­mik eini­ger schwer behan­del­ba­rer Krank­heits­bil­der bes­ser zu ver­ste­hen und psy­cho­the­ra­peu­tisch spe­zi­fi­scher zu behan­deln. In der Psy­cho­the­ra­pie werde jedoch nicht nur der bio­lo­gi­sche Zustand, son­dern auch die Bio­gra­fie, die sozia­len Bezie­hun­gen und das sub­jek­tive Erle­ben berücksichtigt.

„Inter­per­so­nelle Neu­ro­bio­lo­gie inte­griert Wis­sen aus den Neu­ro­wis­sen­schaf­ten mit sol­chem aus der Bin­dungs­for­schung“, erklärt Sachs. Dabei wer­den grund­le­gende Pro­zesse der zwi­schen­mensch­li­chen Reso­nanz Funk­tio­nen in einer bestimm­ten inte­gra­ti­ven Region des Gehirns in Berei­chen des prä­fron­ta­len Kor­tex zuge­ord­net. Zum Ver­ständ­nis der mensch­li­chen Empa­thie wer­den zusätz­lich neu­ro­nale Sys­teme wie die Insel­rinde und der obere Tem­po­ral­lap­pen beschrie­ben. Um sub­jek­tive Erfah­rung ande­rer empa­thisch zu ver­ste­hen, sind wei­ters Regio­nen des orbi­t­o­fron­ta­len und ven­tro­la­te­ra­len prä­fron­ta­len Kor­tex zur Affekt­re­gu­la­tion invol­viert. Sachs wei­ter: „Dabei wird jedoch als wesent­li­ches Pro­blem die Tat­sa­che ange­se­hen, dass die Kom­ple­xi­tät des sub­jek­ti­ven Erle­bens in den objek­ti­ven neu­ro­wis­sen­schaft­li­chen Unter­su­chun­gen ver­lo­ren geht.“

Ver­hal­tens­the­ra­pie, IPT und Psychoanalyse

Psy­cho­the­ra­peu­ti­sche Inter­ven­tio­nen, die in Stu­dien zu neu­ro­bio­lo­gi­schen Ver­än­de­run­gen im Gehirn führ­ten, sind in ers­ter Linie die Ver­hal­tens­the­ra­pie (kogni­tive Ver­hal­tens­the­ra­pie: Ände­rung von dys­funk­tio­na­len Denk­mus­tern, die nega­tive Gedan­ken beinhal­ten) und die IPT, die inter­per­so­nelle Psy­cho­the­ra­pie. Sie beschäf­tigt sich damit, in wel­chen Lebens­be­rei­chen des Betrof­fe­nen es bei­spiels­weise vor dem Auf­tre­ten einer Depres­sion zu Ver­än­de­run­gen gekom­men ist und stellt eine stö­rungs­spe­zi­fi­sche Psy­cho­the­ra­pie spe­zi­ell für die Behand­lung von Depres­sio­nen und bipo­la­ren Stö­run­gen dar. Auch der Ein­satz der psy­cho­ana­ly­tisch ori­en­tier­ten Psy­cho­the­ra­pie hat erste Erfolge gezeigt, die auch in der Bild­ge­bung nach­weis­bar waren.

Vor allem für die Zwangs­krank­heit, Pho­bien, post­trau­ma­ti­sche Belas­tungs­stö­run­gen und Depres­sio­nen lie­gen erste Ergeb­nisse zu hirn­funk­tio­nel­len und meta­bo­li­schen Kor­re­la­ten von Psy­cho­the­ra­pie­ef­fek­ten vor. In meh­re­ren Stu­dien konnte belegt wer­den, dass Psy­cho­the­ra­pie die neu­ro­nale Akti­vi­tät in bestimm­ten zere­bra­len Area­len des Gehirns beein­flus­sen kann und ihre sicht­bare Wir­kung teil­weise den the­ra­peu­ti­schen Effek­ten durch Psy­cho­phar­maka ent­spricht.

Einige Bei­spiele für Akti­vi­täts­ver­än­de­run­gen in bestimm­ten Gehirn­area­len, die par­al­lel zur Psy­cho­the­ra­pie in Stu­dien nach­ge­wie­sen wer­den konn­ten, beschreibt Sachs wie folgt: In PET-(Positronenemissionstomographie)- und fMRT-(funktionelle Magnetresonanztomographie)-Studien zur Sym­ptom­pro­vo­ka­tion bei Pati­en­ten mit einer Zwangs­stö­rung fand sich über­ein­stim­mend eine erhöhte Akti­vi­tät im Nucleus cau­da­tus. Unter­su­chun­gen zur Neu­ro­bio­lo­gie der Angst­stö­run­gen erga­ben vor allem gestörte neu­ro­nale Akti­vi­täts­mus­ter in den lim­bi­schen Hirn­area­len. Ein direk­ter Ein­fluss der Psy­cho­the­ra­pie auf Hirn­ak­ti­vie­rungs­mus­ter fand sich auch in einer Stu­die bei Pati­en­ten mit einer Spin­nen­pho­bie. Vor der The­ra­pie mit CBT (cogni­tive beha­vi­oral the­rapy) rie­fen pho­bie­aus­lö­sende Film­se­quen­zen eine Mehr­ak­ti­vie­rung des rech­ten dor­so­la­te­ra­len prä­fron­ta­len Kor­tex und des Gyrus para­hip­po­cam­pa­lis her­vor, die nach erfolg­rei­cher Ver­hal­tens­the­ra­pie nicht mehr zu beob­ach­ten war. Auch beim gestör­ten neu­ro­na­len Regel­kreis der Panik­stö­rung sind das lim­bi­sche Sys­tem und der prä­fron­tale Kor­tex invol­viert, die nach erfolg­rei­cher kogni­ti­ver Ver­hal­tens­the­ra­pie Akti­vie­rungs-Ver­än­de­run­gen zeig­ten. Ein metho­di­sches Pro­blem von vie­len bisherigen Stu­dien ist aller­dings, dass die Mes­sun­gen zur funk­tio­nel­len Bild­ge­bung nur vor und am Ende der The­ra­pie durch­ge­führt wur­den, nicht jedoch im Verlauf.

Ver­gleich mit Psychopharmaka

Sowohl bei medi­ka­men­tö­ser The­ra­pie als auch bei psy­cho­the­ra­peu­ti­schen Inter­ven­tio­nen konn­ten Akti­vi­täts­ver­än­de­run­gen im Gehirn bereits mit bild­ge­ben­den Ver­fah­ren nach­ge­wie­sen wer­den; aller­dings wer­den nicht immer die­sel­ben Hirn­areale von den ver­schie­de­nen The­ra­pie­ar­ten beein­flusst. Die Wir­kung von Psy­cho­phar­ma­ko­the­ra­pie und Psy­cho­the­ra­pie zeigte nur geringe Über­lap­pun­gen in spe­zi­fi­schen Hirn­area­len. Wäh­rend die Ver­än­de­run­gen durch die Psy­cho­the­ra­pie bei Depres­sio­nen zum Bei­spiel auf einer Ver­än­de­rung der bes­se­ren kogni­ti­ven Bewäl­ti­gung beru­hen und somit zu Akti­vi­täts­än­de­run­gen im prä­fron­ta­len Kor­tex füh­ren, senkt eine medi­ka­men­töse The­ra­pie das gesamte Akti­vie­rungs­ni­veau und wirkt somit auf sub­kor­ti­ka­ler Ebene. Laut Sachs seien wei­tere Stu­dien von­nö­ten, um auch einen Bei­trag zum Ver­ständ­nis der spe­zi­fi­schen Beein­flus­sung neu­ro­na­ler Regel­kreise durch eine Kom­bi­na­ti­ons­the­ra­pie von Psy­cho­the­ra­pie und Psy­cho­phar­ma­ko­the­ra­pie zu leisten.

„Trotz metho­do­lo­gi­scher Pro­bleme haben erste bild­ge­bende Stu­dien gezeigt, dass Psy­cho­the­ra­pie bei bestimm­ten psych­ia­tri­schen Stö­run­gen Effekte auf bestimmte neu­ro­nale Regel­kreise haben kann. Ein Kor­re­lat kli­ni­scher Ver­bes­se­rung durch Ver­hal­tens­the­ra­pie bei Angst und Zwangs­stö­run­gen kann ver­bun­den sein mit Akti­vie­rungs­ab­nah­men in der Amyg­dala. In Stu­dien zum Effekt von kogni­ti­ver Ver­hal­tens­the­ra­pie und inter­per­so­nel­ler The­ra­pie bei depres­si­ven Stö­run­gen fan­den sich Ver­än­de­run­gen in kor­ti­kal-sub­kor­ti­ka­len Hirn­area­len. Gene­rel­les The­ra­pie­ziel durch Psy­cho­the­ra­pie im Hin­blick auf neu­ro­bio­lo­gi­sche Kor­re­late könnte eine Stär­kung der prä­fron­ta­len Hem­mung sein sowie eine Reduk­tion der Amyg­dala-Über­ak­ti­vie­rung. Funk­tio­nelle Bild­ge­bung könnte als The­ra­pie­mo­ni­to­ring von Psy­cho­the­ra­pie ein­ge­setzt wer­den, um auf bestimmte psych­ia­tri­sche Erkran­kun­gen abge­stimmte The­ra­pie­me­tho­den in ihrer Wirk­sam­keit zu kon­trol­lie­ren. „Zukünf­tige Unter­su­chun­gen wer­den klä­ren, ob neu­ro­bio­lo­gi­sche Mar­ker hilf­reich zur Vor­her­sage von einem bestimm­ten The­ra­pie­re­sponse durch Psy­cho­the­ra­pie sein könn­ten“, so Sachs abschlie­ßend.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 18 /​25.09.2010