Mobiltelefonie: 15 Gründe zur Besorgnis: Interview – Gerd Oberfeld

25.01.2010 | Medizin


Mobiltelefonie: 15 Gründe zur Besorgnis

Mehrere Organisationen, die sich kritisch mit dem Thema elektromagnetische Strahlung auseinandersetzen, haben in einer Stellungnahme 15 Gründe zusammengefasst, die beim Gebrauch von Handys Anlass zur Sorge geben sollten, erklärt der Umweltreferent der ÖÄK, Gerd Oberfeld, im Gespräch mit Sabine Fisch.

ÖÄZ: Der Radiation Research Trust (RRT) veröffentlichte kürzlich ein kritisches Papier zur Interphone-Study. Wer steht hinter dieser Organisation?
Oberfeld: Das Papier „Cellphone and Brain Tumors – 15 Reasons for Concern*“ wurde von mehreren Organisationen, die sich mit dem Thema elektromagnetische Strahlung kritisch auseinandersetzen, herausgegeben. Der RRT ist eine gemeinnützige Organisation aus Großbritannien, die seit längerem auf die Gefahren der Mobiltelefonie aufmerksam macht.

Warum wurde das Papier herausgegeben?

Herausgegeben wurde dieses Statement als Reaktion auf die „Interphone-Study“ eine multinationale Fall-Kontroll-Studie, die sich zum Ziel gesetzt hat, potenzielle Gefahren der Mobiltelefonie aufgrund elektromagnetischer Strahlung zu quantifizieren. Unglücklicherweise lässt das Endergebnis der Studie, obwohl bereits mehrmals angekündigt, noch immer auf sich warten. Teilergebnisse zeigen jedoch, dass die Verwendung von Mobiltelefonen das Risiko für bestimmte Gehirntumoren signifikant erhöht. So heißt es etwa, dass eine Nutzung des Mobiltelefons über einen Zeitraum von zehn Jahren kein Risiko für eine bösartige Erkrankung birgt. Eine Nutzung, die darüber hinausgeht, allerdings schon – nur wird dieser zweite Satz in den Veröffentlichungen von Teilergebnissen der Interphone-Study nicht ausreichend kommuniziert. Zudem schließt die Interphone-Study nur Menschen ab 30 Jahren ein, auf die Gefahren der Mobiltelefonie für Kinder und Jugendliche wird also gar nicht eingegangen.

Wie gefährlich ist Mobiltelefonie für Kinder und Jugendliche?

Kinder und Jugendliche stellen eine besondere Risikogruppe dar. In Forschungsarbeiten der Gruppe um den schwedischen Epidemiologen Lennart Hardell konnte gezeigt werden, dass unter 20-Jährige ein fünffach erhöhtes Risiko für bösartige Gehirntumoren aufweisen, wenn sie Mobiltelefone benutzen. Für die Altersgruppe, die nach dem 20. Lebensjahr mit der Nutzung begann – also Erwachsene – war das Risiko um den Faktor 1,5 erhöht.

Das RRT-Papier postuliert „15 Gründe zur Besorgnis“ – können Sie diese Gründe kurz zusammenfassen?

Wir können auf drei dieser Besorgnis erregenden Gründe fokussieren:
1) Es besteht ein erhöhtes Risiko, durch die Nutzung von Mobiltelefonen an bestimmten Formen von Gehirntumoren wie zum Beispiel Astrozytomen/Glioblastomen zu erkranken.
2) Die durch die Telekommunikationsbranche ko-finanzierte Interphone-Study unterschätzt das Gehirntumorrisiko und kann keine Aussagen zum Risiko bei Kindern und Jugendlichen treffen.
3) Bei Kindern ist das Risiko für eine bösartige Neubildung im Gehirn bei der Mobiltelefonnutzung signifikant höher als bei Erwachsenen.  

Welche Maßnahmen sollten nun im Zusammenhang mit Mobiltelefonie gesetzt werden?
Ich bin davon überzeugt, dass es zu einem Umdenken kommen muss. Wir Ärzte müssen der Öffentlichkeit verständlich machen, dass hochfrequente Strahlung, wie sie von Mobiltelefonen abgegeben wird, ein relevanter Risikofaktor für zum Teil auch tödliche Erkrankungen ist. Wir haben hier eine Zeitbombe, die Latenzzeit derartiger Tumoren liegt bei Jahren bis Jahrzehnten. Deshalb müssen wir jetzt Maßnahmen zur Verhinderung der „Zündung“ setzen. Niemand würde heute auf die Idee kommen, Zigarettenrauchen bei Kindern zu akzeptieren. Die österreichischen Jugendschutzgesetze verbieten das Rauchen vor dem 16. Lebensjahr. In Deutschland liegt die Grenze seit 2007 übrigens bei 18 Jahren. Wenn sich nun zeigt, dass bei den unter 20-Jährigen ein massiv erhöhtes Gehirntumorrisiko aufgrund der Mobiltelefonie vorhanden ist – und die vorhandenen Studiendaten deuten darauf hin – kommt man zum Schluss, dass Kinder und Jugendliche effektiv vor der Exposition durch Mobiltelefone geschützt werden müssen.

Wie könnte dies in der Praxis aussehen?

Hier erscheinen altersangepasste Nutzungsbeschränkungen zielführend. Das wären generelle Nutzungsverbote für bestimmte Altersgruppen bis hin zu Mobiltelefonen, die ausschließlich SMS versenden können und damit minutenund stundenlange Expositionen beim Telefonieren hintanhalten. Derartige Überlegungen werden etwa in Frankreich angestellt.

Der Wissenschaftliche Beirat Funk konstatierte im Frühjahr 2009, dass Mobilfunk unter Einhaltung der vorgegebenen Grenzwerte keine Gefahr darstellt. Wie sehen Sie das?
Es liegt mittlerweile eine große Zahl von Arbeiten vor, die das Risiko für Gehirntumoren aufgrund elektromagnetischer Strahlung beschreibt. Auch die Interphone-Studie zeigt trotz ihrer methodischen Mängel in den bereits veröffentlichten Teilergebnissen nach mehr als zehn Jahren Nutzung dieses Risiko. Zellstudien zeigen das Risiko für DNA-Strangbrüche auf. Da muss ich mich schon fragen, wieso der Wissenschaftliche Beirat Funk die Meinung der Ärztekammer über die Gefahren von Mobiltelefonie besonders für Kinder und Jugendliche nicht teilen will. Die Daten liegen auf dem Tisch – die Interpretationen des Wissenschaftlichen Beirat Funk bezüglich der Gefahren des Mobilfunks sind für mich vom ärztlichen Standpunkt aus nicht nachvollziehbar.


* „Cellphones and Brain Tumors: 15 Reasons for Concern. Science, Spin and the Truth Behind Interphone“ Dieser Bericht analysiert die Länderergebnisse der Interphone-Studie und macht auf methodische Fehler aufmerksam. Daran beteiligt waren The Radiation Research Trust, Powerwatch, EMR Policy Institute, The Peoples Initiative Foundation sowie ElectromagneticHealth.org.  

** Die Interphone-Studie ist eine multinationale, multizentrische Fall-Kontroll-Studie, die von der EU, der WHO und der Telekommunikationsindustrie sowie nationalen Stellen der 13 beteiligten Länder finanziert wird. Gestartet wurde die Studie im Jahr 2000 mit der Befragung von rund 6.500 Patienten, die an einem Gehirntumor litten. Der Mobiltelefongebrauch der Patienten wurde mit jenem einer etwa gleich großen gesunden Kontrollgruppe verglichen. Die Studie wurde 2007 beendet: mit der Veröffentlichung der Gesamtergebnisse wird bis Ende 2009 gerechnet.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 1-2 / 25.01.2010