Interview – Univ. Prof. Dr. Gerold Stanek: Borreliose: typische Hautrötung sichert Diagnose

25.06.2010 | Medizin


Entgegen der weit verbreiteten Meinung können Stechmücken, Bremsen oder Spinnen Borreliose nicht übertragen, sagt Univ. Prof. Gerold Stanek vom Institut für Hygiene der Medizinischen Universität Wien, im Vorfeld des 12. Internationalen Kongresses zur Lyme-Borreliose in Ljubljana, der im September 2010 stattfindet, im Gespräch mit Corina Petschacher.


ÖÄZ: Wo in Österreich kommt die Borreliose häufig vor und hat sich an der Verteilung in den letzten Jahren etwas geändert?

Stanek: Infektionsmöglichkeiten für Lyme-Borreliose bestehen in allen Bundesländern, denn alle haben Landschaften mit Mischvegetation und einer hohen Dichte an verschiedenen Tieren wie kleine Nager, Vögel und Wild, die für den Lebenszyklus der Zecken als Blutwirte nötig sind. Dazu gibt es genug Laubdeckung, die ausreichend Feuchtigkeit für das Überleben und die Entwicklung der Schildzecken bietet. Die Inzidenz der Lyme-Borreliose auf der Basis einer Umfrage an niedergelassene Ärzte in ganz Österreich beträgt durchschnittlich 0,6 pro 100.000 Einwohner pro Jahr, das sind rund 50.000 Neuerkrankungen pro Jahr.

Treten in zeckenreichen Gebieten Österreichs Borreliosen häufiger auf oder gibt es noch eine andere Übertragungsmöglichkeit auf den Menschen?
Es gibt selbstverständlich Variationen im Infektionsrisiko, die zum Teil auch von der geographischen Höhe abhängen. Aber infizierte Zecken finden sich auch noch über einer Seehöhe von 1.300 Metern. Der gemeine Holzbock, Ixodes ricinus, die europäische Zecke, überträgt wie ihre verwandten Zeckenarten in Nordamerika und Asien sozusagen exklusive Borrelien. Insekten wie Stechmücken oder Bremsen oder gar Spinnen – was von Patienten gelegentlich behauptet wird – können Lyme-Borrelien nicht übertragen. Zecken helfen mit, dass die Borrelien erfolgreich infizieren können, denn während der Blutmahlzeit der Zecke gelangen sie in deren Speicheldrüsen, wo sie mit speziellen Speichelproteinen eingehüllt werden, mit denen sie im Wirbeltier vor einer unspezifischen Zerstörung geschützt sind.

Wie lange dauert es, bis sich erste Symptome der Borreliose nach einem Zeckenbiss zeigen?
Die häufigste Krankheitserscheinung der Lyme-Borreliose ist das Erythema migrans. Es entwickelt sich nicht unmittelbar nach einem Zeckenstich sondern frühestens drei Tage bis zu 40 Tage danach. Also durchschnittlich vergehen zwei Wochen, bis sich die zentrifugal expandierende Hautrötung zeigt, die meist ohne nennenswerte Begleiterscheinungen auftritt.

Sollte in der Praxis beim Auftreten dieser Hauterscheinung im Zusammenhang mit einem Zeckenstich immer auf Borreliose getestet werden? Wie ist die Vorgehensweise?
Die Form der Hautrötung Erythema migrans hängt ganz davon ab, an welcher Hautstelle es sich entwickelt. Es kann zum Beispiel in der Leistengegend streifenförmig erscheinen usw. Grundsätzlich beginnt die Hautrötung als roter Fleck und kann, muss aber nicht, zentral abblassen, und dann ringförmig erscheinen. Wenn diese Hautrötung klinisch eindeutig als Erythema migrans imponiert, ist eine Borrelien-Serologie oder gar die Kultur einer Hautbiopsie völlig unnötig, da kann gleich behandelt werden. Ist die Sache nicht klar, kann die Serologie diagnostisch nur hilfreich sein, wenn zwei Serumproben im Abstand von vier bis sechs Wochen im gleichen Labor parallel getestet werden und entweder eine Serokonversion (von null nach positiv; Anm.) oder ein signifikanter Titer-Anstieg festgestellt wird.

Auf welche Symptome einer Borreliose muss bei der Diagnose außerdem geachtet werden? Welche unspezifischen Symptome lenken den Verdacht in Richtung Borreliose?
Unspezifische Symptome lenken leider überall hin, besonders gern zur Borreliose. Die Erkrankung verläuft meist eher ohne auffällige Begleiterscheinungen. In 30 Prozent der Fälle kann es an der Stichstelle zu einem Juckreiz, seltener zu brennen oder einem dumpfen Schmerz kommen. Unspezifische Begleitsymptome des Erythema migrans sind in weniger als 20 Prozent der Fälle Müdigkeit, Gelenks-, Muskel- und Kopfschmerzen, vereinzelt klagen Patienten über Parästhesien, Schwindelgefühl und Übelkeit. Ein länger bestehendes Erythema migrans kann durchaus auch zum Leistungsabfall führen, was bei Schulkindern gelegentlich beobachtet worden ist. Die zuvor genannten Allgemeinsymptome allein sind allerdings nicht diagnostisch für Lyme-Borreliose und sollten nur in die Diagnose mit einbezogen werden, wenn sie mit einer typischen Manifestation der Lyme-Borreliose bestehen.

Worauf sollte ein Allgemeinmediziner bei der Diagnosestellung besonderes Augenmerk legen und welche Untersuchungen sollten bei Verdacht auf Borreliose veranlasst werden?
Wenn die Hautrötung einige Tage nach dem Zeckenstich beim ersten Aspekt typisch erscheint, aber weniger als fünf Zentimeter Durchmesser hat, der Zeckenstich jedoch gesichert ist, dann genügt das dem erfahrenen Allgemeinmediziner für eine sichere Diagnose ohne weitere Untersuchungen. Im August und Septembersowie in der kalten Jahreszeit manifestieren sich wegen der längeren Inkubationszeit disseminierte Borrelien-Infektionen wie zum Beispiel die Lyme-Neuroborreliose (IKZ: durchschnittlich vier Wochen bei Kindern, sieben Wochen bei Erwachsenen; Anm.) und Arthritis (IKZ: Monate; Anm.). Gelenksentzündungen im Rahmen der Lyme-Borreliose manifestieren sich an den großen Gelenken; meist ist nur ein Gelenk betroffen. Das Vollbild der Lyme-Neuroborreliose, die Meningoradikuloneuritis Garin-Bujadoux-Bannwarth, beginnt mit Schmerzzuständen, die unterschiedlichen Charakter aufweisen können, von brennend, stechend bis ziehend. Diese Nervenschmerzen nehmen nachts an Intensität zu und können den Schlaf beträchtlich stören. Zusätzlich treten im weiteren Verlauf gewöhnlich Lähmungserscheinungen auf. Bei Kindern manifestiert sich die Lyme-Neuroborreliose am häufigsten als Fazialisparese und milde seröse Meningitis. In diesen Fällen ist die Zuweisung zum jeweiligen Facharzt oder ins Krankenhaus angezeigt.

Von welchen Faktoren hängt es ab, ob die Krankheit einen harmlosen oder schweren Verlauf nimmt?
Die Pathogenese ist bei Weitem nicht aufgeklärt. Eine Rolle spielen zweifellos die verschiedenen Borrelien-Genospezies. Borrelia afzelii wird überwiegend aus den Hautmanifestationen isoliert, B. garinii aus dem Liquor bei Lyme-Neuroborreliose. Dazu spielen Wirtsfaktoren eine Rolle, die unter Umständen eine Ausbreitung der Borrelien über den Blutweg begünstigen.

Wie wird die Borreliose momentan therapiert und welche Folgen kann eine nicht therapierte Borreliose haben?
Zu den wirksamen Antibiotika zählen die meisten Penicilline, Doxycyclin und Cephalosporine der dritten Generation. Einem unbehandelten Erythema migrans können extrakutane Borrelien-Infektionen folgen beispielsweise am Nervensystem, den Gelenken, dem Herz etc…

Gibt es in naher Zukunft Aussicht auf eine Impfung gegen Borreliose?
Ein Impfstoff-Konzept zielt darauf ab, die Übertragung der Lyme-Borrelien durch die Zecke zu verhindern, sodass es gar nicht zur Infektion kommen kann. Ein anderes Konzept ist, die weitere Ausbreitung der durch Zeckenstich übertragenen Borrelien von der Stichstelle aus zu verhindern. Österreichische Firmen arbeiten derzeit intensiv an Impfstoffen gegen Lyme-Borreliose.

Tipp:
www.iclb2010.com –
12th International Conference on Lyme Borreliosis and other Tick-Borne Diseases

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 / 25.06.2010