Immuntherapie bei Gräserpollenallergie: Nachhaltiger Effekt

25.10.2010 | Medizin

Auch noch zwei Jahre nach Beendigung einer Immuntherapie gegen die Gräserpollenallergie zeigen sich die positiven Effekte, wie die Ergebnisse einer Langzeitstudie zeigen.
Von Agnes M. Mühlgassner

Patienten mit einer relativ kurzen Anamnese einer Gräserpollenallergie, also maximal drei oder vier Jahre, sind laut der ärztlichen Leiterin des Allergieambulatoriums Rennweg in Wien, Waltraud Emminger, ideale Kandidaten für eine Sublingualtherapie. Ein weiteres zentrales Kriterium: Die Betreffenden müssen auch bereit sein, die insgesamt drei Jahre dauernde Therapie auch durchzuhalten.

Auch 15 Patienten des Allergieambulatoriums am Rennweg haben an einer in ganz Europa und Kanada durchgeführten Studie über die Wirkung und die Langzeiteffekte von Grazax® teilgenommen. In die Studie wurden insgesamt 241 Personen (Männer und Frauen zwischen 18 und 65 Jahren) aufgenommen; davon erhielten 137 Personen eine Therapie, 104 bekamen ein Placebo. Um in die Studie aufgenommen zu werden, mussten die Patienten mittelschwere bis schwere Symptome aufweisen: das heißt sie klagten auch über Probleme in der Nacht, waren in ihrer Tagesaktivität deutlich eingeschränkt und die symptomatische Behandlung hatte nicht den gewünschten Erfolg gezeigt. „Diese Personen mussten nachgewiesenermaßen Symptome zur Gräserpollen-Blütezeit aufweisen und diese Allergie musste auch serologisch sowie in Hauttesten nachgewiesen sein“, wie Emminger erklärt.

Ausschlusskriterien dabei waren etwa chronische Endorganschäden (wenn die Lungenfunktion bei Asthma-Patienten 70 Prozent unter dem Sollwert lag); Personen über 65 Jahre, Patienten mit einer Autoimmunerkrankung; Patienten, die kurz zuvor ein Malignom hatten, Schwangere und Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Weiters durften die Teilnehmer an der Studie in den vergangenen zehn Jahren keine Immuntherapie gegen Gräserpollen erhalten haben und in den letzten fünf Jahren auch nicht gegen ein anderes Allergen. „Unsere Patienten hatten im Allgemeinen eine moderne symptomatische Therapie erhalten, die aber nicht ausreichend war und im Wesentlichen aus der systemischen Verabreichung von Antihistaminika sowie Kortison-Nasenspray bestand. Saisonale Asthmatiker hatten entsprechend Bronchodilatatoren und Cortisonsprays erhalten“, erklärt Emminger.

Die erste Sublingualtablette erhielten die Patienten unter Aufsicht im Ambulatorium. Die lokalen Symptome, die im Zuge der Verabreichung auftraten, bestanden in lokalem Juckreiz und einem unangenehmen Gefühl im Hals. Man habe allen Patienten angeboten, dass sie auch weiterhin – täglich – zur Einnahme der Tablette ins Ambulatorium kommen könnten, was aber alle abgelehnt haben. Allerdings war die begleitende Kontrolle via elektronischem Tagebuch sehr genau definiert: Jeden Tag mussten die Patienten eintragen, an welchen Symptomen sie zu leiden hatten – tränende, juckende Augen oder Nase, Lungenprobleme – und anhand einer vierteiligen Skala auch bewerten. Ebenso konnten auch symptomatisch Medikamente verwendet werden, wie Emminger ausführt: „Dazu zählten lokale Antihistaminika für die Augen, lokales Kortison für die Nase, systemische Antihistaminika in Form von Tabletten sowie Bronchodilatatoren und ein inhalatives Kortikoid. Als höchste Stufe war für alle Patienten, die mit der sonstigen Therapie nicht ausgekommen sind, ebenso ein orales Kortikoid vorgesehen.“ Auch diese Medikation musste im elektronischen Tagebuch vermerkt werden. „Gerade bei einer Immuntherapiestudie sind solche elektronischen Tagebücher das Um und Auf“, so die Expertin. Außerdem könne man nicht schwindeln: Nach Mitternacht kann nicht mehr rückwirkend eingetragen werden. Darüber hinaus wurden die Patienten auch aufgefordert, bei Problemen telefonisch Kontakt mit dem Ambulatorium aufzunehmen.

Langzeitstudie

Während etwa bei der GT-02, der Dosisfindungsstudie, die Behandlung mindestens acht Wochen vor Beginn der Pollensaison begonnen hatte, bis zum Ende der Saison und insgesamt maximal ein Jahr dauerte, war die GT-08 eine Langzeitstudie. Die Patienten nahmen von 2005 bis 2007 täglich jeweils eine Tablette ein; 2008 und 2009 wurde im Rahmen eines Follow up der Therapie-Erfolg kontrolliert. Wie Prof. Stephen R. Durham, Studienleiter der Langzeitstudie GT-08 und Leiter der Abteilung für Allergie und Klinische Immunologie des Nationalen Herz- und Lungeninstituts am Imperial College London beim EAACI 2010 (Europäische Akademie für Allergie und Klinische Immunologie) in London erklärte, wurden beide Gruppen (jene mit Wirkstoff und auch jene, die mit Placebo behandelt wurden) nach dem Ende der Therapie evaluiert. Fazit: „Zwei Jahre nach Beendigung der Therapie konnten wir sehen, dass Grazax® die Symptome des Heuschnupfens im selben Ausmaß verringern konnte wie in den Jahren zuvor in der klinischen Studie. Die GT-08-Studie hat uns mehr Evidenz gebracht, dass diese Wirkung auch noch zwei Jahre nach der Behandlung anhält“.

Emminger sieht in der GT-08-Studie eine „Bestätigung“ dessen, was man bei der Immuntherapie gemacht hat: „Man nimmt die Immuntherapie über einen Mindestzeitraum von drei Jahren ein, und sieht – das ist die erfreuliche Erkenntnis dieser Studie – dass die Wirkung dieser Immuntherapie das Immunsystem in Bezug auf die Memory-Zellen beeinflusst hat. Denn die Patienten haben dann im vierten und im fünften Jahr der Studie, also im ersten und im zweiten Jahr, nachdem sie mit der Tabletten-Einnahme aufgehört hatten, im Vergleich zu den Placebo-behandelten Patienten deutlich weniger Symptome und gleichzeitig auch weniger symptomatische Medikamente gebraucht.“ Den Aussagen der Expertin zufolge habe man also wirklich das Immunsystem beeinflusst. Dies wurde bei einem bestimmten Teil der Patienten auch serologisch nachgewiesen: Bestimmte schützende Antikörper wurden auch nach Beendigung der Therapie in einem weitaus höheren Ausmaß produziert als bei den Patienten, die nur ein Placebo erhalten hatten.

Pro Jahr schieden weniger als zehn Prozent der Patienten aus der Studie aus und das ist – die „positive Seite“ (Emminger): „Keiner hatte schwere, lebensgefährliche Symptome oder anaphylaktische Symptome, die Anlass zur Sorge gegeben haben.“ Insgesamt habe man zeigen können, dass es sich um eine sichere Therapie handle und dass man sie wie vorgesehen auch zu Hause durchführen könne. „Bei der subkutanen Therapie hingegen ist es schon möglich, dass die Patienten heftiger, eventuell sogar anaphylaktisch reagieren“, ergänzt die Expertin. Das Schlimmste, was passiert sei: Patienten mit saisonalem Asthma haben einen Asthmaanfall erlitten. „Aber das hatten sie nicht wegen, sondern trotz Gräsertablette“, wie Emminger meint. Nichts desto trotz gibt es bei den vielen Vorteilen einen Haupt-Nachteil: nämlich jenen – wie bei jeder anderen oralen Therapie – den, dass die Tablette regelmäßig eingenommen werden muss. Bei der Studie selbst hingegen sei die Compliance hervorragend gewesen: zwischen 85 und 92 Prozent. Allerdings habe es sich dabei um eine Population gehandelt, die viel interessierter sei an medizinischen Programmen und dementsprechend auch hochmotiviert sei. „Noch dazu sind die Teilnehmer ja zuvor mit der rein symptomatischen Behandlung nicht zurecht gekommen und haben schon im ersten Jahr der Immuntherapie einfach deutlich gemerkt, dass es ihnen viel besser geht.“

Prognose: vorsichtig optimistisch

Zurückhaltend ist Emminger hinsichtlich einer Prognose, ob der Effekt auch länger als zwei Jahre anhält. „Bei der subkutanen Therapie hält der Erfolg auch noch über acht oder zehn Jahre an. Man kann aber hoffen, dass es auch mit der Gräsertablette so ist. Ich würde mich freuen, wenn die Patienten auch in den folgenden Jahren einen Benefit davon haben und persönlich rechne ich auch damit.“

Da man mittlerweile auch schon 25 Jahre sublinguale Immuntherapie überblickt, hat Emminger keine Bedenken bezüglich einer unerwünschten Modulation des Immunsystems. In dieser Zeit hätte sich schon zeigen müssen, dass hier eine unerwünschte Beeinflussung erfolgt sei. Abgesehen davon seien Personen mit einer Autoimmunerkrankung ohnehin von einer Teilnahme an der Studie ausgeschlossen gewesen. „Die monoklonalen Antikörper, die man etwa in der Onkologie oder der Dermatologie einsetzt, haben viel stärkere Spätwirkungen auf das Immunsystem. Das befürchte ich für die Immuntherapie nicht“.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2010