Divertikulose und Divertikulitis: Zufallsbefund mit Folgen

10.09.2010 | Medizin

Rund 40 Prozent aller 40-Jährigen, 70 Prozent aller 70-Jährigen und 90 Prozent aller 90-Jährigen erhalten meist im Rahmen einer Koloskopie die Diagnose „Divertikulose“. Die meisten Betroffenen sind bis dahin beschwerdefrei, sodass es sich fast immer um einen Zufallsbefund handelt.
Von Alexandra Bachmayer

Univ. Prof. Ludwig Kramer, Leiter der 1. Medizinischen Abteilung des Krankenhauses Hietzing, erklärt, dass es sich dabei um Ausstülpungen der Darmwand handelt, denen die Muskelschicht fehlt und die deshalb als „falsche Divertikel“ bezeichnet werden. Sie sind von Peritoneum bedeckt und können Luft, Stuhl, Stuhlsteine oder Nahrungsmittelreste enthalten.

Divertikel treten immer dort auf, wo die Darmwand Schwächen aufweist. Dies ist typischerweise an den Stellen der Fall, wo Gefäße hindurchtreten. „Wenn dann über längere Zeit ein erhöhter intraluminaler Druck herrscht, kann die Darmwand diesem nicht mehr standhalten und stülpt sich nach außen“, erklärt Univ. Prof. Herbert Tilg, Leiter der Internen Abteilung am Bezirkskrankenhaus Hall in Tirol. „Die genauen Entstehungsmechanismen sind uns allerdings nicht bekannt.“

Die häufigste Lokalisation von Divertikeln ist im linken Darm und hier wiederum mit rund 95 Prozent im Sigma. Die restlichen fünf Prozent verteilen sich auf Coecum, Colon ascendens und Colon transversum. Wenn alle Darmabschnitte betroffen sind, spricht man von einer Pan-Divertikulose. Eine Divertikulose bei älteren Menschen ist „fast normal“, wie Tilg betont. Jedoch handelt es sich dabei keineswegs um eine Folge des westlichen Lebensstils. Auch in asiatischen und afrikanischen Ländern finden sich hohe Zahlen an Menschen mit Divertikeln – die Gründe dafür sind nicht bekannt.

Sechs Faktoren spielen bei der Entstehung der Divertikulose eine Rolle. Zum einen ist es eine genetische Komponente, zum anderen ist der Lebensstil entscheidend. Außerdem gibt es ein individuelles Risiko; das Alter und das Ausmaß an körperlicher Betätigung sind ebenfalls von Bedeutung. Wesentlich ist ein sechster Faktor, nämlich die Ernährung. So kann man in den USA auch schon bei den 25- bis 40-Jährigen eine Zunahme der Divertikulose-Fälle beobachten, was auf die kohlenhydratreiche Kost und die vermehrt auftretenden Fälle von Adipositas zurückzuführen ist. Besteht die Nahrung hauptsächlich aus Kohlenhydraten, können diese nicht vollständig resorbiert werden und werden in der Folge im Darmlumen durch Bakterien gespalten. Die Bakterien vermehren sich stark und tragen zur Entstehung der Divertikulose bei.

Erkrankung oder Befindlichkeit?

Laut Tilg haben die meisten Betroffenen keine Symptome, so dass man sich auch die Frage stellen könne, ob es sich tatsächlich um eine Erkrankung oder lediglich um eine „Befindlichkeit“ beziehungsweise um einen physiologischen Zustand handle. Der Experte weist darauf hin, dass die Divertikulose häufig mit einem Reizdarm vergesellschaftet ist. Zehn bis 20 Prozent der Menschen sind betroffen. Vor allem junge Patienten mit einem Reizdarm haben ein hohes Risiko, auch eine Divertikulose zu entwickeln. Leidet nun ein Patient sowohl an einer Divertikulose als auch an einem Reizdarm, stammen die zu beobachtenden Beschwerden in der Regel vom Reizdarm. Eine tatsächliche Unterscheidung gestaltet sich allerdings schwierig.

Typisch: Symptomentrias

Symptomatisch werden etwa zehn bis 20 Prozent der Patienten mit Divertikeln, wenn Komplikationen wie eine Entzündung oder Blutung auftreten. „Bei einer Divertikulitis wandern Keime aus dem Darmlumen in die Divertikelwand ein und führen dort zu einer Infektion und letztlich zu Mikroabszessen“, erläutert Tilg. „Typisch ist eine Symptomentrias aus akut im linken Unterbauch einsetzenden Schmerzen mit Fieber, Obstipation und einem Anstieg der Entzündungsparameter im Labor.“ Die Standarddiagnostik erfolgt mittels Computertomographie und Ultraschall. Eine Endoskopie ist in der Akutphase wegen der Gefahr der Perforation kontraindiziert, erklärt Kramer. Therapeutisch empfiehlt der Experte vorübergehend die Gabe von Analgetika wie beispielsweise NSAR kombiniert mit einem Magenschutz. Ergänzend kommt eine systemische Antibiose zum Einsatz, die das Spektrum der gramnegativen und der anaeroben Keime abdeckt wie beispielsweise Cephalosporine der dritten Generation, wobei man sich des Risikos einer Clostridien-Colitis bewusst sein muss.

Komplikationen der Divertikulitis sind eine Darm-Engstellung aufgrund der Entzündung, die bis zu einer Stenosierung und in der Folge zu einem mechanischen Ileus führen kann. Weiters können eine Fistelbildung zur Harnblase und Vagina, eine Abszessbildung sowie eine gedeckte oder offene Perforation mit oder ohne Peritonitis drohen.

Eine potentiell lebensgefährliche Situation ist eine Divertikelblutung. Arrodiert der Darminhalt die Divertikelwand, kann es zu einer arteriellen Blutung kommen. Dabei handelt es sich um einen Notfall mit einer relativ hohen Mortalität, wie Kramer betont. Und Tilg ergänzt, dass solche Blutungen zu 90 Prozent spontan sistieren. Ist dies nicht der Fall, wird eine endoskopische Blutstillung angestrebt. Gelingt auch das nicht, muss der befallene Darmabschnitt in einer Notoperation entfernt werden. In der Akutphase sollte aufgrund der höheren Komplikationsgefahr aber nur in Ausnahmefällen chirurgisch vorgegangen werden, sind sich beide Experten einig. Anzustreben ist ein konservatives Procedere mit Nahrungskarenz, Infusionstherapie und Gabe von Antibiotika und Spasmolytika. Das ist auch das Therapieschema bei leichteren Entzündungen und dem ersten Schub einer schweren Divertikulitis. Versagen die konservativen Maßnahmen oder handelt es sich bereits um den zweiten oder dritten Schub, besteht die Indikation zur Operation. Vor allem bei jüngeren Patienten wird diesbezüglich großzügig vorgegangen, weil das Risiko von späteren Komplikationen wesentlich größer ist. Die Prognose der Divertikulitis hängt von Begleiterkrankungen ab und ist bei Abszessbildung, Perforation oder im Blutungsschock entsprechend schlechter. „Ist die Komplikationsphase überwunden, wird die Prognose deutlich besser“, führt Kramer aus.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2010