Beipackzettel von Medikamenten: Verständlich informiert

10.03.2010 | Medizin

Lange Zeit wurde die Bedeutung von Gebrauchsinformationen bei Medikamenten unterschätzt; dabei greifen bis zu 90 Prozent aller Anwender darauf zurück, um sich über ein neues Präparat zu informieren. Um die Verständlichkeit der Beipackzettel zu erhöhen, hat die europäische Arzneimittelagentur EMEA sogenannte „User Tests“ eingeführt.
Von Christoph Baumgärtel

Für viele Patienten stellt die Gebrauchsinformation die erste Quelle dar, aus der sie Informationen über das an sie abgegebene Arzneimittel beziehen. Unter anderem finden sie in dem umgangssprachlich oft auch als „Packungsbeilage“ oder „Beipackzettel“ bezeichneten und von der Zulassungsbehörde gesetzlich vorgeschriebenen Dokument wichtige Hinweise über Anwendung, Dosierung und Gegenanzeigen aber auch über Warnhinweise und mögliche Nebenwirkungen. Mehrere Umfragen in Österreich 2005 und 2007 und in Deutschland 2005 haben deutlich gezeigt, dass die Bedeutung der Gebrauchsinformation lange Zeit unterschätzt worden ist. Tatsächlich greifen heute bis zu 90 Prozent aller Anwender bei einem neuen Medikament auf die Gebrauchsinformation zurück, um sich über ein Präparat zu informieren. 

Diese Zahlen spiegeln den Trend eines mündigen, selbstverantwortlichen Patienten wider, der sich verstärkt in selbstständiger Art und Weise über Vor- und Nachteile von Produkten oder Therapien informieren will. Dabei stand jedoch oft das Hindernis im Weg, dass Gebrauchsinformationen für den medizinischen Laien oftmals schwer leserlich und unklar formuliert waren. Viele medizinische Fachbegriffe oder Fremdwörter gaben dem Patienten somit mehr Rätsel als Informationen mit auf den Weg.

Um das Verständnis des Inhalts von Gebrauchsinformation durch den Patienten zu überprüfen, wurden 2004 von der europäischen Arzneimittelagentur EMEA sogenannte „User Tests“ eingeführt. Die entsprechende EU-Direktive besagt, dass sich Gebrauchsinformationen künftig am Ergebnis einer streng vorgeschriebenen Zielgruppenbefragung (= User Test) orientieren sollen, damit gewährleistet ist, dass sie für den Patienten lesbar, deutlich und einfach zu handhaben sind.

Diese Forderung stellt in vielen Fällen eine Gratwanderung dar, da die Gebrauchsinformation inhaltlich immer auf den Angaben der ebenfalls von der Behörde genehmigten, für das medizinische Fachpersonal bestimmten, Fachinformation beruhen müssen. Der Spielraum für eine inhaltliche Gestaltung ist somit zwar gering, jedoch liegt das Hauptaugenmerk darauf, die Inhalte nun in einer möglichst patientenfreundlichen Form aufzubereiten.

Zur Kontrolle, dass dies dem Zulassungsinhaber bei einer Gebrauchsinformation in ausreichendem Maße gelungen ist, ist für Produkte mit einem Zulassungsdatum ab 2006 ein entsprechendes Testverfahren gesetzlich vorgeschrieben. Die konkrete Art der Durchführung dieser sogenannten „Zielgruppenbefragung“ ist dabei zwar grundsätzlich frei wählbar, im Lauf der Zeit hat sich jedoch ein bestimmtes Testmodell als besonders zuverlässig und praktikabel erwiesen. Diese daher inzwischen als etabliert zu bezeichnende Methode wurde nach den Vorgaben von australischen Wissenschaftern entwickelt und wird demzufolge als „strukturiertes mündliches Interview basierend auf der Methode nach Sless und Wiseman“ bezeichnet.

In einem mündlichen Interview von maximal 45 Minuten Dauer wird dabei in mindestens zwei Testrunden à zehn Personen die Lesbarkeit und Verständlichkeit der Gebrauchsinformation ausführlich getestet. Die Erfolgskriterien lauten: 90 Prozent der Teilnehmer müssen in der Lage sein die gesuchte Information in der Packungsbeilage zu finden und davon müssen wiederum 90 Prozent die gefundene Information auch verstanden haben. Sollten dabei schwere oder unverständliche Abschnitte im Text identifiziert werden, müssen die Formulierungen in der Gebrauchsinformation solange überarbeitet und verbessert werden, bis die Erfolgskriterien erfüllt sind. Die dabei gestellten Fragen – mindestens zwölf bis 15 Stück – sind im Test so zu wählen, dass eine positive Beantwortung zeigt, dass es den Probanden möglich ist, relevante Information zu finden, zu verstehen und danach zu handeln. 

Die Probanden sollen einerseits repräsentativ für die Zielgruppe sein, die mit dem Arzneimittel behandelt wird und andererseits, wo notwendig, eine große Bandbreite (Altersgruppen, Geschlecht, Bildungsniveau, Beruf) abdecken. Dabei darf in der Regel weder medizinisches Personal (Ärzte, Apotheker, Pflegepersonal) noch Personen, die dasselbe oder ein vergleichbares Arzneimittel bereits angewendet haben, an dem Test teilnehmen. Auch die wiederholte Teilnahme einzelner Probanden an solchen Tests ist nicht gestattet. 

Weitere wichtige Punkte, welche die Lesbarkeit und Verständlichkeit der Gebrauchsinformation in Zukunft verbessern sollen, sind ebenfalls gesetzlich festgelegt. Es handelt sich dabei um detaillierte Mindestanforderungen an Layout, Übersichtlichkeit der Gliederung, Schriftart und Mindestschriftgröße der Buchstaben. Ebenfalls vorgeschrieben sind die bei der Gliederung zu verwendenden Überschriften sowie ein im Text zu wählender aktiver Sprachstil. Dabei sollen konkrete Handlungshinweise gegeben werden wie zum Beispiel „Sprechen Sie mit Ihrem Arzt, wenn Sie an folgender Krankheit leiden“ oder „Was müssen Sie vor der Einnahme beachten“. Für Österreich wird die Gebrauchsinformation vom jeweiligen pharmazeutischen Unternehmen, das zu genauen und korrekten Angaben verpflichtet ist und der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) erstellt. Der Bereich PharmMed der AGES, der vorwiegend für die Arzneimittelüberwachung und -zulassung zuständig ist, kontrolliert dabei u.a. die inhaltliche und formale Gestaltung der Gebrauchsinformationen und entscheidet über deren Umsetzung sowie gesetzliche Konformität. 

Ebenfalls neu ist, dass im Aufbau der Gebrauchsinformationen derzeit eine EU-Harmonisierung im Laufen ist. Diese folgt dem sogenannten QRD-template (= Quality Review of Documents). So haben in Zukunft alle Beipackzettel in der EU denselben Anforderungen hinsichtlich Aufbau, Gliederung und allen sonstigen gesetzlichen Qualitätskriterien zu entsprechen. Der Inhalt einer Gebrauchsinformation wird dadurch bei identen Produkten in allen EU-Ländern weitgehend gleich. Unterschiedliche Texte bei ein- und demselben Produkt, etwa verglichen zwischen Österreich und Deutschland, werden somit der Vergangenheit angehören. Die Zulassungsinhaber müssen diese neuen Anforderungen bis spätestens 1. Jänner 2011 für alle Arzneimittel umgesetzt haben. 

Das vorgeschriebene Testverfahren und die weiteren, derzeit getroffenen Maßnahmen allein bieten jedoch noch keine ausreichende Evidenz dafür, dass Gebrauchsinformationen in Zukunft tatsächlich von allen Patienten verstanden werden. Allerdings bieten sie einen ersten, durchaus wirkungsvollen Ansatzpunkt, dass sich sowohl Unternehmen als auch Zulassungsbehörde intensiv mit der Lesbarkeit und Verständlichkeit von Gebrauchsinformationen auseinandersetzen und besser lesbare und patientenfreundlichere Packungsbeilagen erstellen. In den zitierten Patientenumfragen hat sich nämlich weiters gezeigt, dass knapp 70 Prozent aller Patienten die Packungsbeilage vor allem deswegen genau lesen, um zu kontrollieren, ob sie von ihrem Arzt das „richtige“ Medikament bekommen haben. Und knapp 30 Prozent der Patienten haben schon öfters eine Behandlung abgebrochen oder erst gar nicht begonnen, wenn sie eine Gebrauchsinformation als unverständlich empfunden haben oder bei ihnen die Sorge vor beschriebenen Nebenwirkungen überwogen hat.

Die Bedeutung einer leserlichen, gut verständlichen Gebrauchsinformation kann daher kaum hoch genug bewertet werden, stellt sie doch offensichtlich einen wesentlichen Faktor im Bereich der Patienten-Compliance dar. Eine für den Patienten verständliche Gebrauchsinformation kann und soll dem Arzt die Aufklärung seiner Patienten erleichtern und auf diese Weise entscheidend zu einer erfolgreichen medikamentösen Behandlung beitragen.

Literatur beim Verfasser
*) Dr. Christoph Baumgärtel,
AGES PharmMed/Medizinisch-Klinische Begutachtung, Institut Zulassung und LCM;
Spargelfeldstraße 191, 1220 Wien;
Tel. 05 0555-0;
E-Mail: christoph.baumgaertel@ages.at

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 5 / 10.03.2010