Akupunktur bei Lumbalgie: Etabliertes Adjuvans

10.02.2010 | Medizin

Die Akupunktur als additive Therapie bei einer Lumbalgie ist speziell dann indiziert, wenn keine neurologischen Defizite vorliegen und es sich etwa um eine muskuläre Dysbalance handelt. Ein grundsätzliches Problem bei der Behandlung stellt jedoch die mangelnde Nachhaltigkeit dar. Von Eveline Hecher

Akupunktur als Regulationstherapie ist heutzutage besonders im Rahmen eines multimodalen Programmes in der Behandlung von Schmerzen sinnvoll und wird auch von den Patienten gut akzeptiert. Meist ist es diesen sogar lieber, eine adjuvante Therapiemöglichkeit im Angebot zu haben, als nur auf medikamentöse Schmerztherapie und Blockaden angewiesen zu sein. Bei Lumbalgie ist Akupunktur als additive Therapie vor allem dann indiziert, wenn es sich bei der Schmerzursache um muskuläre Verspannungen handelt. Doch auch bei Bandscheibenvorfällen kann eine Nadelung erfolgen, sofern keine dringende Operationsindikation besteht beziehungsweise keine motorischen oder sensiblen Ausfälle vorhanden sind.

„Bei einem Discusprolaps, der mit motorischen und sensiblen Ausfällen einhergeht, hat Akupunktur keinen Stellenwert“, erklärt Univ. Prof. Sabine Sator-Katzenschlager, Anästhesistin und Leiterin der Akupunktur- und Schmerz-Ambulanz am Wiener AKH. In einem solchen Fall wird nämlich zuerst operiert – und erst im Anschluss akupunktiert. Eine Verbesserung der Schmerz-Symptomatik durch Akupunktur ist vor allem bei Patienten mit Low back pain und guter Compliance zu erzielen, schwierig wird es jedoch bei Patienten mit Osteoporose oder sonstigen degenerativen Erkrankungen. „Patienten mit degenerativen Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule sollte man darauf hinweisen, dass Akupunktur keine Heilung, sondern nur eine kurzfristige Funktionsverbesserung sowie Schmerzlinderung bringt“, erklärt Univ. Prof. Andreas Schlager, Anästhesist und Leiter der Acupuncture Research Group an der Universitätsklinik Innsbruck.

Allgemein gilt, dass Akupunktur eine Behebung von reversiblen und funktionellen Störungen, nicht jedoch von degenerativen/diskriminierenden Störungen bewirken kann. Auch im Bereich des psychosomatischen Rückenschmerzes kann Akupunktur die Ursachen „nicht einfach wegstechen“. Beim psychosomatischen Rückenschmerz kann Akupunktur nämlich nur als Additivverfahren eingesetzt werden. Zu hinterfragen ist die Sinnhaftigkeit einer Akupunktur auch bei Patienten mit akuten Entzündungen wie Spondylodiscitis oder Tumorerkrankungen: Zwar können die Schmerzen bekämpft werden, nicht aber die Ursache. Oft reicht Akupunktur bei der Schmerzbehandlung allein nicht aus, wodurch bei starken Schmerzen Akupunktur nur in Zusammenhang mit einer adäquaten Medikation Erfolg versprechend sein wird. Generell hat sich aber Akupunktur als additives Verfahren bei der Behandlung der Lumbalgie gut bewährt, was auch in Studien gezeigt werden konnte: Noch nicht klar ist, inwiefern Akupunktur besser abschneidet als andere alternative Verfahren. Sicher ist jedoch, dass Versuchen zufolge Akupunktur besser wirkt als beispielsweise Massagestäbe, die entlang der Meridiane geführt wurden. Ein Problem ist jedoch die Nachhaltigkeit. „Während der Behandlungszyklen erzielt Akupunktur eine gute Schmerzreduktion. Allerdings ist die Wirkdauer auf kurze Zeit beschränkt“, führt Schlager aus. Dies treffe besonders dann zu, wenn es sich um degenerative Rückenschmerzen handelt. Der Grund dafür liegt auf der Hand, da zwar der Schmerz reduziert wird, aber der Auslöser des Schmerzes weiter besteht.

Individuelles Programm

Welche Form der Akupunktur konkret angewandt wird, ist sehr individuell. Zwar werden bestimmte Analgesie-Punkte immer wieder gestochen, aber nicht jedes Programm kann für jeden Patienten genommen werden. „Allgemeine Therapie-Programme kann man nicht empfehlen, da jeder Patient eine unterschiedliche Anamnese hat“, erläutert Sator-Katzenschlager. Natürlich spielen laut den Experten auch der Tagesrhythmus der Patienten beziehungsweise diverse Begleiterkrankungen eine Rolle. Für Lumbago haben sich in Österreich vor allem die Körperakupunktur nach TCM und die Ohr-Akupunktur etabliert, was aber laut Schlager daran liegt, dass diese beiden Formen im Rahmen des ÖÄK-Diploms gelehrt und geprüft werden. Auch Schädelakupunktur nach Yamamoto oder koreanische Handakupunktur seien für die Lumbalgie geeignet. Sofern bei Bandscheibenvorfällen die neurologische und medizinische Notwendigkeit einer Operation ausgeschlossen ist, wird Akupunktur auch völlig unabhängig von der Art des Prolapses eingesetzt. „Es ist ganz egal, welche Lage der Prolaps hat und ob es sich um einen anterolateralen oder medialen Vorfall handelt“, erläutert Sator-Katzenschlager. Auf den multimodalen Ansatz kommt es nämlich an. Gestochen werden sollte aber nach dem Motto „weniger ist mehr“, wobei je nach Akupunkturschule auch 20 Nadeln und mehr gestochen werden – so Katzenschlager. Früher wurden 14 Nadeln als Grenze gesetzt, allerdings sei das heutzutage nicht mehr so und aus einem Patienten sollte „kein Nadelkissen“ gemacht werden. Beim Rückenschmerz werden die Akupunkturnadeln bilateral gestochen, da auch die Wirbelsäule mit den darüber laufenden Meridianen paarig angelegt ist. Im Gegensatz dazu könne bei einer Ischialgie aber auch einseitig gestochen werden.

Die Dauer und Frequenz der Sitzungen ist ebenso individuell wie der Mensch selbst, wobei Dauer-Sitzungen keinen Sinn machen. Während akute Schmerzzustände täglich bis alle drei Tage akupunktiert werden können, werden chronische Formen in wöchentlichen oder sogar mehrwöchigen Abständen behandelt. Eine weitere Möglichkeit, die Schmerzen einzudämmen, ist, Akupunktur im Falle von Operationen prä- oder intraoperativ anzuwenden, weil dadurch postoperative Schmerzen geringer ausfallen. Beispielsweise wurde beobachtet, dass Patienten, die eine Elektroakupunktur erhalten haben, weniger Schmerzmittel benötigten. Bei der Therapie ist schließlich zu beachten, ob die Patienten überhaupt ansprechen. „Meist spürt der Patient aber bereits nach der ersten oder vierten Sitzung eine deutliche Besserung“, erklärt Sator-Katzenschlager. Da die Schmerzfreiheit meist nicht von Dauer bleibt, sollten zur Aufrechterhaltung der Beschwerdefreiheit noch circa acht Sitzungen bei bereits erfolgter Schmerzfreiheit angehängt werden.

Akupunktur kann man auch Kindern angedeihen lassen, sofern sie sich stechen lassen. Kommt ein „Stechen“ nicht in Frage – zum Beispiel bei Erwachsenen mit Nadelphobie oder Wundheilungs- / Gerinnungsstörungen, kann Laser-Akupunktur oder Akupressur zum Tragen kommen. Dennoch wird die Nadelakupunktur als Standard eingesetzt, welche laut Experten auch als beste Variante gilt.

Diagnostik nach TCM

Neben der westlichen schulmedizinischen Diagnose, die auf jeden Fall einen neurologischen Status und eventuell ein MRI beinhaltet, ist vor der Behandlung unbedingt auch eine Diagnosestellung nach traditionell chinesischen Kriterien durchzuführen. Dies gilt vor allem beim chronischen Rückenschmerz. „Rückenschmerzen haben nämlich auch in der Traditionellen Chinesischen Medizin unterschiedliche Ursachen und gehören unterschiedlich behandelt“, weist Schlager hin. Ältere Menschen sind nämlich oft energetisch schlechter und haben daher Rückenschmerzen, die erst durch energetischen Aufbau besser werden.

Besonders auf die Zustände „Fülle und Leere“, aber auch „Hitze und Kälte“ nach chinesischer Lehre sollte daher eingegangen werden. Werde dies nicht getan, kann die eigentlich nebenwirkungsarme Akupunktur sogar zu Nebenwirkungen und Behandlungsfehlern führen. Als Nebenwirkungen können extreme Müdigkeit oder sogar eine Schmerzverstärkung auftreten. Ersteres wäre beispielsweise der Fall, wenn der behandelnde Arzt nach chinesischer Lehre eine so genannte „Leere Situation“ beim Patienten nicht erkennt und demjenigen durch falsch eingesetzte Stichtechnik noch mehr Energie raubt. „Leider wird dieser Zugang in Österreich zu wenig gelehrt“, erzählt Schlager. Was vor allem daran liege, dass in Österreich die Akupunktur-Ausbildung sehr schulmedizinisch erfolgt. Wer sich mit Traditioneller Chinesischer Medizin intensiver beschäftigt, erkennt den Unterschied in der Behandlungsweise: So müsse beispielsweise ein junger gesunder Patient mit Bandscheibenvorfall komplett anders akupunktiert werden, als ein älterer Patient mit chronischem Rückenschmerz, betont Schlager. Auch die Liegedauer der gestochenen Nadeln ergibt sich aus der traditionell chinesischen Diagnostik. „Zwar hängt die Anzahl der gestochenen Nadeln nicht davon ab, um welchen Energietypus es sich handelt, jedoch liegen die Nadeln bei einer Leere-Symptomatik 15 Minuten, während sie bei einer Fülle- Symptomatik bis zu 30 Minuten liegen können“, erklärt der Experte.  

Generell empfiehlt es sich, die Akupunktur nicht als Monotherapie zu sehen, sondern als Teil eines multimodalen Therapieschemas, zu dem auch Physikalische Therapie, Manuelle Medizin, Heilgymnastik, aber auch medikamentöse Therapieverfahren gehören. Auch Kräutermedizin und Phytotherapie können gemeinsam mit Akupunktur angewandt werden, was vor allem bei Patienten mit einem Schwächezustand angezeigt ist. „Durch Akupunktur kann nämlich keine neue Energie zugeführt, sondern lediglich die vorhandene umverteilt werden“, erklärt Schlager. Als Energielieferant würde sich aber zum Beispiel Phytotherapie oder Kräutermedizin eignen. Ganz wichtig ist aber, nie ohne schulmedizinische Diagnose zu agieren (wie beispielsweise Ausschluss eines Tumors beziehungsweise diverse Operations-Indikationen) – hier ist den Aussagen der Experten zufolge die Akupunktur als Monotherapie immer kontraindiziert.

Übersicht: TCM-Zugang bei der Diagnostik

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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 3 / 10.02.2010