AIDS-Kon­fe­renz in Wien: Sta­tus quo und Ausblick

15.08.2010 | Medizin

Die aktu­elle Situa­tion von HIV in Öster­reich und der gan­zen Welt sowie neue Stra­te­gien, eine Infek­tion zu ver­hin­dern – wie etwa mit einem Vagi­nal-Gel – stan­den im Mit­tel­punkt der Inter­na­tio­na­len Aids-Kon­fe­renz im Juli in Wien.

Aktu­el­len Erhe­bun­gen zufolge leben welt­weit rund 33,4 Mil­lio­nen Men­schen mit dem HI-Virus. Wäh­rend die Prä­va­lenz – zumin­dest welt­weit gese­hen – eher sta­gniert, erhöht sich die Zahl der Neu­in­fek­tio­nen in Staa­ten wie Russ­land, Weiß­russ­land, der Ukraine und Geor­gien. Aber auch in Län­dern wie Groß­bri­tan­nien oder Deutsch­land steigt die Inzi­denz. Exper­ten sehen die Ursa­che dafür darin, dass – zehn Jahre oder mehr nach der ers­ten Welle an Infek­tio­nen – nun eine neue Gene­ra­tion von Jugend­li­chen her­an­wächst, die sich ris­kant ver­hält, Dro­gen inji­ziert und keine Kon­dome ver­wen­det. Diese zweite Infek­ti­ons­welle ver­laufe jedoch wesent­lich lang­sa­mer als dies etwa in Ost­eu­ropa der Fall sei.

Beson­ders bedroht: Osteuropa

In Ost­eu­ropa und den Nach­fol­ge­staa­ten der ehe­ma­li­gen Sowjet­union wird der stärkste Anstieg bei HIV-Neu­in­fek­tio­nen ver­zeich­net. Bedroht sind laut einer Unter­su­chung des UNO-Kin­der­hilfs­wer­kes UNICEF vor allem Heim- und Stra­ßen­kin­der, min­der­jäh­rige Pro­sti­tu­ierte und Dro­gen­ab­hän­gige. Vor allem durch ver­seuchte Spritz­be­stecke droht große Anste­ckungs­ge­fahr. Bereits 40 Pro­zent von mehr als 300 unter­such­ten Stra­ßen­kin­dern in St. Peters­burg sind HIV-posi­tiv. Etwa ein Drit­tel der Neu­in­fek­tio­nen betref­fen Jugend­li­che und junge Erwach­sene; 80 Pro­zent der Infi­zier­ten sind dem­nach jün­ger als 30 Jahre. Seit 2006 ver­zeich­nen etwa Regio­nen Russ­lands einen Anstieg um 700 Pro­zent. Ins­ge­samt schätzt die UNO die Zahl der HIV-Infi­zier­ten in Ost­eu­ropa und Zen­tral­asien auf rund 1,5 Mil­lio­nen, 2001 wurde noch von 900.000 Infi­zier­ten aus­ge­gan­gen. Laut einer neuen Stu­die aus acht Städ­ten Russ­lands drohe dem Staat eine all­ge­meine Aids-Epi­de­mie. Die All­ge­mein­be­völ­ke­rung ist daher vor allem durch sexu­elle Kon­takte von Dro­gen­ab­hän­gi­gen mit Nicht-Dro­gen­ab­hän­gi­gen bedroht. „Von 2000 bis 2008 hat sich der Anteil der HIV-Infi­zier­ten, die sich durch hete­ro­se­xu­elle Kon­takte ange­steckt haben, von drei auf 35 Pro­zent erhöht. Es sieht so aus, als wür­den die Aids-Erre­ger in die All­ge­mein­be­völ­ke­rung hin­ein­kom­men“, sagte Kse­nia Erit­syan von der rus­si­schen Non-Govern­men­tal-Orga­ni­sa­tion Stel­lit. Pro­ble­ma­tisch seien schnelle Infek­tio­nen von Opiat-Abhän­gi­gen, denen weder ste­rile Nadeln noch Opiat-Sub­sti­tu­ti­ons­the­ra­pien im aus­rei­chen­den Maß zur Ver­fü­gung ste­hen. Auch der Kon­dom-Gebrauch sei nied­rig. Die Exper­tin warnt: „In den unter­such­ten Regio­nen sind damit rund 3,3 Mil­lio­nen Men­schen, die meis­ten davon Frauen, durch sol­che Aids-Infek­tio­nen bedroht.“

Prä­ven­tion für Frauen

Ein Vagi­nal-Gel, wel­ches zu einem Pro­zent aus dem Anti-HIV-Wirk­stoff Ten­o­fo­vir besteht, kann einer süd­afri­ka­ni­schen Stu­die zufolge die HIV-Über­tra­gung bei hete­ro­se­xu­el­lem Geschlechts­ver­kehr um 39 Pro­zent redu­zie­ren. Her­pes geni­ta­lis ließe sich um 51 Pro­zent ver­rin­gern. Eine echte Alter­na­tive zum Kon­dom sei die neue Methode aller­dings noch nicht; den­noch könn­ten laut Stu­di­en­au­toren bei brei­ter Anwen­dung inner­halb von 20 Jah­ren in Süd­afrika 1,3 Mil­lio­nen HIV-Infek­tio­nen ver­hin­dert wer­den. Als Neben­wir­kun­gen tra­ten etwas mehr Darm­in­fek­tio­nen und leich­ter Durch­fall auf. Resis­ten­zen wur­den nicht beob­ach­tet. „Wir geben Frauen Hoff­nung. Zum ers­ten Mal sehen wir Resul­tate für eine HIV-Prä­ven­tion, die von der Frau durch­ge­führt wer­den kann. Wenn sich die Stu­di­en­ergeb­nisse durch wei­tere Unter­su­chun­gen erhär­ten, wäre das eine wir­kungs­volle Mög­lich­keit, die Ent­wick­lung der Aids-Epi­de­mie zu stop­pen“, erklärt UN-AIDS-Gene­ral­di­rek­tor Michel Sidibe.

Zahl der infi­zier­ten Babys hoch

Welt­weit kom­men jähr­lich 400.000 Babys mit einer Aids-Infek­tion zur Welt; die Infek­tion mit dem HI-Virus ist noch wäh­rend der Schwan­ger­schaft oder bei der Geburt erfolgt. Obwohl durch eine pro­phy­lak­ti­sche Behand­lung der Müt­ter und die kurz­zei­tige The­ra­pie des Neu­ge­bo­re­nen die Über­tra­gungs­rate von 30 bis 40 Pro­zent auf opti­mal weni­ger als zwei Pro­zent gesenkt wer­den könnte, erhal­ten etwa in Kame­run, Cote d´Ivoire, Süd­afrika und Sam­bia durch­schnitt­lich nur 51 Pro­zent der HIV-posi­ti­ven Müt­ter und ihre Babys die ein­fachste medi­ka­men­töse Pro­phy­laxe.

Die WHO schätzt, dass im Jahr 2009 1,2 Mil­lio­nen Men­schen mit der HIV-The­ra­pie begon­nen haben; zum Ver­gleich: Ende 2008 waren es vier Mil­lio­nen. Die WHO plä­diert vor allem für einen frü­he­ren The­ra­pie­be­ginn. Wür­den die Richt­li­nien für eine frü­here Behand­lung groß­flä­chig ein­ge­führt und umge­setzt, könnte die HIV-bedingte Sterb­lich­keits­rate in der Zeit von 2010 bis 2015 um rund 20 Pro­zent abneh­men. Dem­nach könn­ten Ster­be­fälle durch Tuber­ku­lose, die die Haupt­to­des­ur­sa­che für Men­schen mit HIV ist, bis zu 90 Pro­zent redu­ziert wer­den. Die neue Richt­li­nie emp­fiehlt daher einen Behand­lungs­be­ginn bei 350 CD4-posi­ti­ven Zel­len oder dar­un­ter. „Neben der Ret­tung von Men­schen­le­ben begüns­tigt eine frü­here Behand­lung auch die Vor­beu­gung weil die Behand­lung den Virus­wert im Kör­per senkt, das heißt, HIV-posi­tive Men­schen über­tra­gen weni­ger wahr­schein­lich das Virus auf ihren Part­ner“, erklärt Gott­fried Hirn­schall, Direk­tor der Haupt­ab­tei­lung HIV/​Aids der WHO.

In der kana­di­schen Pro­vinz Bri­tish Colum­bia, in der es freien und kos­ten­lo­sen Zugang zur Aids-The­ra­pie gibt, ist auf­grund der Tat­sa­che, dass fünf­mal mehr Pati­en­ten in The­ra­pie sind, die Zahl neuer HIV-Infek­tio­nen um 52 Pro­zent gesun­ken. Die Zahl der Pati­en­ten unter Behand­lung stieg von 1996 bis 2009 um 547 Pro­zent, pro 100 zusätz­li­cher The­ra­pien ver­rin­gerte sich die Zahl der neu bestä­tig­ten HIV-Infek­tio­nen um drei Pro­zent. Unter den intra­ve­nös Dro­gen­süch­ti­gen sank die Zahl der jähr­li­chen Neu­an­ste­ckun­gen um fast 50 Prozent.

Hepa­ti­tis C als Co-Infektion

Als beson­ders pro­ble­ma­tisch beschreibt David L. Tho­mas von der John Hop­kins Uni­ver­si­tät die hohe Hepa­ti­tis C‑Rate unter HIV-Infi­zier­ten; jeder dritte HIV-Pati­ent sei betrof­fen. Die Co-Infek­ti­ons­rate von Dro­gen­kon­su­men­ten liege sogar bei 80 Pro­zent, bei HIV-Infi­zier­ten, die sich durch sexu­el­len Kon­takt ange­steckt haben, hin­ge­gen unter 15 Pro­zent. Beson­ders in Staa­ten, in denen HIV haupt­säch­lich unter Dro­gen­kon­su­men­ten über­tra­gen wird, sind die Raten sehr hoch: in Russ­land sind es etwa 90 Pro­zent, in Viet­nam sogar fast 100 Pro­zent. „Der­zeit wer­den aber weni­ger als zehn Pro­zent der Co-Infi­zier­ten geheilt“, so Tho­mas. Zwar stehe man an einem Wen­de­punkt, an dem die Hei­lung von Hepa­ti­tis C in kür­ze­rer Zeit mit weni­ger Neben­wir­kun­gen mög­lich sei, den­noch fehl­ten Sprit­zen­aus­tausch-Pro­gramme und die Über­prü­fung von Blut­trans­fu­sio­nen sowie Prävention.

Zukünf­tige Stra­te­gien: Impfung

Der US-ame­ri­ka­ni­sche Wis­sen­schaf­ter Anthony Fauci sieht vor allem in der Ver­wund­bar­keit des Virus zu Beginn einer HIV-Infek­tion Ansätze für zukünf­tige Stra­te­gien. „HIV ist extrem inef­fi­zi­ent bei der Infek­tion von Men­schen über sexu­elle Kon­takte. Das wis­sen wir aus Stu­dien in Uganda“, so der Chef des natio­na­len USame­ri­ka­ni­schen Insti­tuts für All­er­gien und Infek­ti­ons­krank­hei­ten. Um eine Anste­ckung zu errei­chen, muss das Virus an die Schleim­haut ando­cken und diese Bar­riere über­win­den. Das kann aller­dings durch Schleim­haut­ver­let­zun­gen wie Geschwüre, die durch andere sexu­ell über­trag­bare Erkran­kun­gen ver­ur­sacht wer­den kön­nen, erleich­tert wer­den. Doch selbst dann sei das Virus kaum über­le­bens­fä­hig. „HIV muss von den­dri­ti­schen Zel­len zu den CD4-posi­ti­ven Hel­fer­zel­len des Immun­sys­tems gebracht wer­den. Diese wie­derum müs­sen akti­viert sein. Fin­det das Virus keine akti­vier­ten CD4-Zel­len, tritt keine Infek­tion ein“, so Fauci. Auch andere Fak­to­ren spie­len laut dem Exper­ten bei der Infek­tion eine Rolle. „Wir gehen davon aus, dass jede Anste­ckung mit dem Aids-Virus auf der Infek­tion durch ein bestimm­tes Virus erfolgt. Das ist das Grün­der-Virus einer Infek­tion. Die­ser Mecha­nis­mus ist ein gene­ti­scher Fla­schenhals. Dann ent­wi­ckelt sich das Virus im Kör­per gene­tisch wei­ter“, so Experte. Das Grün­der-Virus besitzt an sei­ner Ober­flä­che Eigen­schaf­ten, wel­che es ver­gleichs­weise leicht durch die Schleim­haut ein­drin­gen las­sen. Im Laufe der chro­ni­schen Infek­tion geht den HI-Viren diese Eigen­schaft aber ver­lo­ren. Fauci sieht in die­ser Erkennt­nis die Basis für zukünf­tige Impf­stoffe. „Wir haben ein Fens­ter an Ver­letz­bar­keit des Virus, das wir für Inter­ven­tio­nen nüt­zen kön­nen“, so der Wis­sen­schaf­ter. Folg­lich soll­ten alle Optio­nen, die das Ein­drin­gen des Virus in den Kör­per ver­mei­den, genutzt werden.

Bezüg­lich eines Impf­stof­fes ist aber frag­lich, wie weit die­ser mit dem sich rasch ver­än­dern­den Virus mit­wach­sen müsste, wie Giu­seppe Pan­ta­leo vom Swiss Vac­cine Rese­arch Insti­tute in Lau­sanne erklärte. Beim ers­ten erfolg­rei­chen kli­ni­schen Test in Thai­land sei ein Schutz von rund 31 Pro­zent ver­zeich­net wor­den. In vitro gäbe es bereits Kan­di­da­ten, die 100prozentig wir­ken, wie Seth Ber­kley, Grün­der der Inter­na­tio­na­len Aids-Impf­stoff Initia­tive, berich­tet. Inter­es­sant für die For­scher seien Per­so­nen, die von Natur aus gegen das Virus geschützt sind und das eine Pro­zent HIV-Infi­zier­ter, die genug Anti­kör­per pro­du­zie­ren, um den Ein­dring­ling in Schach zu hal­ten. Außer­halb des Kör­pers pro­du­zierte Anti­kör­per, die das Virus direkt angrei­fen, könn­ten laut Ber­kley als Zwi­schen­schritt für eine effek­tive aktive Imp­fung die­nen. Als wei­tere Methode komme das Ein­schleu­sen sol­cher Anti­kör­per mit­tels Gen­tech­nik in Frage. BO

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 15–16 /​15.08.2010