Substitutionsbehandlung: Ausstieg ist „unsinnig“

25.02.2013 | Politik


Für heftige Kritik sorgte die im Rahmen der neuen Anti-Drogenstrategie erhobene Forderung „Weg von der Substitutionsbehandlung“. Der Leiter des Referats für Substitutionsfragen in der ÖÄK, Norbert Jachimowicz, qualifiziert diesen Vorschlag als Unsinn ab.
Von Marion Huber

Weg von Drogenersatzstoffen und Substitutionsbehandlung“ – mit dieser Forderung im Fünf-Punkte-Programm ihrer neuen Anti-Drogenstrategie ließ Innenministerin Johanna Mikl-Leitner Ende letzten Jahres aufhorchen. Vielerorts stößt sie damit auf heftige Kritik: Reduziert die Behandlung doch nicht nur HIV-Infektionen, Überdosierungen und Kriminalität, sondern senkt auch die Mortalität von Opiatabhängigen um ein Drittel. Für Norbert Jachimowicz, Leiter des Referats für Substitutionsfragen in der ÖÄK, ein klares Indiz dafür, dass die Aussagen von Mikl-Leitner „fern jeder Sachkenntnis“ getroffen wurden. Er hält es für „absolut unsinnig“, aus dieser von den USA bis Australien anerkannten, weltweit angewandten Therapieform auszusteigen. Wer glaubt, man könne mit dieser Maßnahme „den Drogenmarkt austrocknen“ und die Drogenkriminalität bekämpfen, ist nach Ansicht von Jachimowicz auf dem Holzweg: „Man erreicht damit das genaue Gegenteil. Es wird dadurch sogar mehr Drogen am Schwarzmarkt und mehr Drogenkriminalität geben.“

Entzug nicht erfolgreich

Und auch der Argumentation des Innenministeriums, dass „lediglich fünf von 100 Substitutionspatienten der Drogenausstieg tatsächlich gelingt“ – wie im Fünf-Punkte-Programm bemängelt –, erteilt er eine klare Absage. Nicht die Abstinenz ist erklärtes Ziel einer Substitutions-Behandlung, sondern die Stabilisierung der Betroffenen. „Gerade weil der Entzug eben nicht sehr erfolgreich ist, bieten wir die Substitutionstherapie an“, weiß Jachimowicz, der als Allgemeinmediziner in Wien selbst Substitutionspatienten betreut. Durch einen Entzug würden die Patienten in der Regel rückfällig; und besonders in dieser Phase seien die meisten Todesfälle zu verzeichnen. Im Rahmen der Substitutionstherapie kann zwar ein „langsames Ausschleichen“ der Droge versucht werden – was aber nicht immer gelingt, wie Jachimowicz zu bedenken gibt: „Nur wenn der Patient wirklich will, kann man über Monate bis Jahre die Dosis in kleinsten Schritten so weit reduzieren, dass er schließlich drogenfrei ist.“ Aber auch dann bleibt der Betroffene drogenkrank.

Behandelbar, nicht heilbar

Denn wie jede andere Form der Sucht sei die Drogensucht zwar therapierbar, aber nicht heilbar: „Alkoholiker bleiben Alkoholiker, auch wenn sie trocken sind. Und genauso ist es mit Drogen. Von einer Heilung kann daher nicht die Rede sein.“

Ihr eigentliches Ziel, die Betroffenen zu stabilisieren und wieder zu integrieren, erfüllt die Substitutionsbehandlung vollends. Sie gilt nach den WHO-Empfehlungen von 2009 (Guidelines for the Psychosocially Assisted Pharmacological Treatment of Opioid Dependence) als „effektivste Behandlungsform bei Opiatabhängigkeit“. Weiters heißt es darin: „Verglichen mit einer Entzugsbehandlung oder keiner Behandlung, reduziert die Methadon-Behandlung nicht nur den Konsum von Opiaten und anderen Drogen signifikant, sondern auch die kriminelle Energie/Kriminalität, das HIV-Risiko und die Ansteckungsrate, die Überdosierungsrate sowie die Gesamtsterblichkeit. Außerdem verbleiben die Patienten dadurch länger in Behandlung.“

Auch die soziale Integration der Betroffenen wird durch die Substitutionsbehandlung gefördert und die Lebensqualität verbessert – was eines der wichtigsten Ziele einer Drogentherapie ist und wodurch auch die Rückfallrate sinkt. So ergab eine Befragung aus 2010 (De Maeyer et al.), dass sich die Lebensqualität der Patienten durch eine Substitutionstherapie schon im ersten Behandlungsmonat verbessert. Für Jachimowicz ist sie damit nicht nur die effektivste, sondern auch die erfolgreichste Behandlung. In der Öffentlichkeit werden jedoch nur die „Negativ-Spitzen“ – die Betroffenen, die Probleme bereiten – wahrgenommen. Jene, die erfolgreich behandelt werden, bleiben im Hintergrund. Warum, liegt auf der Hand: Wer integriert ist, Schulungen macht oder wieder in den Arbeitsprozess eingegliedert ist, hat kein Interesse daran, „sich als Substitutions-Patient zu outen“, resümiert Jachimowicz: „Das ist aber die überwältigende Mehrheit.“

Opioid-Abhängigkeit und Substitution – die Zahlen

Der aktuelle „Bericht zur Drogensituation 2012“ geht für 2010 und 2011 in Österreich von 29.500 bis 34.000 Personen mit problematischem Drogenkonsum aus. Etwa die Hälfte von ihnen – 16.782 Fälle – befand sich in Substitutionsbehandlung.

In Europa gelten 1,4 Millionen Menschen als problematische Opioid-Konsumenten. Etwa 710.000 waren 2010 in Substitutionstherapie, wie der Jahresbericht 2012 der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht ergab.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2013