Osteoporose: FRAX ermittelt Behandlungsbedarf

25.01.2024 | Medizin

Die erste Wirbelkörperfraktur bedeutet ein fünffach erhöhtes Risiko, einen weiteren Wirbelkörpereinbruch zu erleiden. Mit Hilfe der Verwendung des FRAX-Tools können Patienten ohne Fraktur, bei denen jedoch eine Behandlung erforderlich wäre, rechtzeitig ermittelt werden.

Martin Schiller

Aufgrund neuer Modelle und Berechnungen kann unter Verwendung des FRAX-Tools nun auch ermittelt werden, ob und wann eine Osteoporose-spezifische Behandlung erfolgen muss. „Damit können wir den Prozess der ärztlichen Entscheidungsfindung bei Personen mit Risikofaktoren aber ohne vorhergehende Fraktur unterstützen“, sagt Univ. Prof. Hans Peter Dimai von der Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie an der Medizinischen Universität Graz. Beim FRAX-Tool handelt es sich um ein in 120 Ländern etabliertes Instrument zur Ermittlung des osteoporotischen Frakturrisikos und des Risikos für eine Fraktur des proximalen Femurs in den folgenden zehn Jahren.

Die Annahme, es wären nur Personen mit einem über 20-prozentigen ZehnjahresFrakturrisiko behandlungsbedürftig, gelte nicht mehr. Früher standen noch nicht „ausreichend harte Daten“ (Dimai) zur Population in Österreich zur Verfügung. Daher seien viele Menschen nicht behandelt worden, die man bereits unter der 20-Prozent-Marke behandeln hätte sollen. „Diese Patienten können wir nun aber herausfiltern.“

Der Entscheidungsprozess wird durch eine grafische Darstellung von Risikokategorien und altersdynamischen Behandlungsschwellen (siehe Abbildung) unterstützt. Das Frakturrisiko wird mit dem österreichischen FRAX ermittelt, wobei die Kriterien, ab wann eine Behandlung erfolgen sollte, auf der Basis von epidemiologischen Daten spezifisch für Österreich berechnet wurden. Diese Berücksichtigung der Länderspezifika ist entscheidend, da weltweit gesehen in jedem Land und in jeder Region ein anderes Frakturrisiko gegeben ist. „Bezogen auf die Häufigkeit der Hüftfraktur zählt Österreich dabei zu den Ländern mit dem höchsten Risiko für eine Fraktur. Da die Hüftfraktur fast immer zu einem stationären Aufenthalt führt, sind diese Daten auch gut international vergleichbar“, erklärt Dimai den Hintergrund.

Das neue Modell findet wie folgt Eingang in die Praxis: Ergibt sich für einen Patienten auf Basis des FRAX ein mittelhohes Frakturrisiko, folgt eine Knochendichtemessung. „Dann führen wir einen Re-Check durch und ermitteln, ob sich derjenige über oder unter der Behandlungsschwelle befindet, ab der man ein Arzneimittel prophylaktisch einsetzt“, erläutert Priv. Doz. Christian Muschitz, Internist und Rheumatologie in Wien. Eine osteoporotische Fraktur in der Anamnese hingegen wird sofort als absolute Behandlungsindikation eingestuft, auch wenn die Knochendichte normal oder osteopenisch ist. Dimai nennt den Grund dafür: „Die erste osteoporotische Fraktur hat eine hohe Aussagekraft bezüglich des Risikos für künftige Frakturen. Die erste Wirbelkörperfraktur bedeutet etwa eine Verfünffachung des Risikos für weitere Wirbelkörperbrüche.“

Eine neuere Substanz in der Osteoporosetherapie ist der dual wirksame Sklerostin-Antikörper Romosozumab, der einmal monatlich zwölf Monate lang subkutan verabreicht wird. Sklerostin ist ein Osteozyten-Botenstoff, der die Knochenbildung negativ reguliert. Romosozumab hemmt die Osteoblastenhemmer. Die Substanz führt innerhalb der zwölf Monate zu einem schnellen Anstieg an knochenaufbauenden Markern im Blut und zu einem Abfall von Osteoklasten. „Es ergibt sich also eine Wirkung wie bei der osteoanabolen Substanz Teriparatid und beim antiresorptiv wirkenden Denosumab zusammen“, so Muschitz. Derzeit werde der Wirkstoff aber nur bei speziellen Patientengruppen eingesetzt.

Bei der antiresorptiven Therapie kommen Bisphosphonate (oral oder i.v.) oder Denosumab zum Einsatz. Die Sorge vor der Entstehung einer Kiefernekrose als Folge der Bisphosphonat-Therapie kann man Patienten nehmen. Die Wahrscheinlichkeit für eine medikamentös bedingte Kiefernekrose liegt bei 0,0016 Prozent. Muschitz weiter: „Zahnarztbesuche können also ohne Sorge absolviert werden. Auch Zahnimplantate sind bei fast allen Patienten problemlos möglich.“ Orale Bisphosphonate könnten das Auftreten von einem Reflux erhöhen; in solchen Fällen wird auf iv-Gabe umgestellt.

Bei der osteoanabolen Therapie kommt Teriparatid bei Therapieversagen unter antiresorptiver Therapie zum Einsatz. „Besteht laut FRAX ein hohes Frakturrisiko, setzen wir die Substanz ebenfalls bevorzugt ein“, sagt Muschitz. Der selektive Östrogenrezeptor-Modulator Raloxifen ist für die Prävention und Therapie der Osteoporose bei postmenopausalen Frauen zugelassen. „Die Datenlage zeigt Verbesserungen der Knochendichte an der Wirbelsäule, aber keine signifikanten Verbesserungen an der Hüfte“, kommentiert Muschitz.

Eine Substitution von Kalzium und Vitamin D ist sowohl eine eigene Therapieoption als auch eine notwenige Voraussetzung für eine wirksame Behandlung mit knochenspezifischen Medikamenten.

Neben gesunder Ernährung mit reichlich Kalzium und einem normalen Vitamin D-Spiegel kommt der Bewegung eine besondere Rolle bei der Osteoporoseprävention zu. „Muskeltraining ist Knochentraining“, sagt Muschitz. „Die Muskulatur übt während der Bewegung verschiedene Kräfte auf den Knochen aus, wodurch der Knochenstoffwechsel angeregt wird.“


Das FRAX-Tool

Für die Berechnung von Frakturrisiken werden im FRAX-Tool elf Paramater sowie die Knochendichte am Oberschenkelhals – sofern bekannt – herangezogen: Alter, Geschlecht, Gewicht, Größe, vorausgehende nicht erklärbare Fragilitätsfraktur, Hüftfraktur eines Elternteils, gegenwärtiges Rauchen, laufende Kortisontherapie, Vorliegen einer Rheumatoiden Arthritis, sekundäre Osteoporose, drei oder mehr Alkoholeinheiten pro Tag. „Die Knochenmineraldichte allein ist schon lange kein einzelner Indikator mehr. Das Knochenbruchrisiko ist hingegen das entscheidende Tool“, betont Univ. Prof. Hans Peter Dimai. FRAX steht im Internet kostenlos zur Verfügung.


Die Osteoporose-Prävention beginnt laut Dimai bereits in einem frühen Lebensstadium. Studien aus dem Kindes- und Jugendalter zufolge führt Sport im Vergleich zu Untätigkeit zu einer höheren Knochenmineraldichte. Dabei gehe es nicht um High-Impact-Sportarten, sondern um regelmäßige Bewegung. Dennoch weist der Experte auf mögliche Confounder in solchen Arbeiten hin: „Eine sportliche Person ernährt sich vermutlich gesünder als ein Nicht-Sportler. Der Effekt beruht also vielleicht nicht ausschließlich auf der Bewegung.“ Es gebe mehrere Dutzend Gene, die das Frakturrisiko und die Knochendichte sowie die Knochenfestigkeit und die Knochenqualität regulieren. „Die Erkrankung ist daher multifaktoriell, wobei die Genetik den Hauptanteil hat“, betont Dimai.

Im Alter werden als Sturzprophylaxe standardisiertes, an die Altersstufe angepasstes Krafttraining sowie Koordinationsübungen empfohlen. Hat bereits eine Fraktur stattgefunden, ist Muskelaufbautraining ein Teil der Therapie, wobei „möglichst früh nach der Fraktur“ damit begonnen werden sollte, so Muschitz. Die Empfehlung gelte auch für ältere Patienten, bei denen es bereits zu einem Wirbelkörperbruch gekommen ist. „Ziel ist es, diese Patienten möglichst früh vom Mieder zu entwöhnen und durch den Muskelaufbau für Stabilisierung zu sorgen.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 1-2 / 25.01.2024