Morbus Parkinson: Frühwarnzeichen im Schlaf

10.04.2024 | Medizin

Eine REM-Schlaf-Verhaltensstörung kündigt in 80 Prozent der Fälle eine spätere Parkinson-Erkrankung an. Auch subtile motorische Probleme wie fehlendes Mitschwingen eines Arms sollten abgeklärt werden, da sie Frühsymptome sein können.

11. April 2024 Welt-Parkinson-Tag

Martin Schiller

Schon viele Jahre vor dem Auftreten der klassischen motorischen Symptome des Morbus Parkinson kann es zu unspezifischen Frühsymptomen wie etwa Hyposmie, REM-Schlaf-Verhaltensstörung, Obstipation und Schulter-Arm-Syndrom kommen. „Es sind oft subtile Symptome, die auf eine Parkinson-Erkrankung hinweisen können. So nehmen viele Patienten in den letzten ein bis zwei Jahren vor dem Ausbruch eine Abnahme von Lebensfreude und Elan wahr“, sagt Univ. Prof. Walter Pirker von der Neurologischen Abteilung der Klinik Ottakring in Wien. Am stärksten mit der Entwicklung von Parkinson assoziiert sei neueren Untersuchungen zu Folge aber die REM-Schlaf-Verhaltensstörung beziehungsweise das Ausleben von Träumen: Gewöhnlich besteht in dieser Schlafphase eine muskuläre Atonie und neben der Atmung sind nur die Augenmuskeln aktiv. Durch pathologische Veränderungen im Hirnstamm erschlafft jedoch die Körpermuskulatur im Traum nicht mehr und es kommt zu Körperbewegungen. Die Betroffenen machen Lauf- und Boxbewegungen, stehen auf oder verletzen sogar ihre Bettpartner. „Diese Symptome können bereits viele Jahre vor Ausbruch der Parkinson-Krankheit auftreten. Sobald es zu den typischen motorischen Symptomen wie Bradykinese und Tremor kommt, tritt die REM-Schlaf-Verhaltensstörung mitunter aus noch ungeklärten Gründen in den Hintergrund“, sagt Pirker. Er rät zu einer Abklärung durch Polysomnografie: Betroffene einer REM-Schlaf-Verhaltensstörung hätten in den folgenden 20 Jahren ein bis zu 80-prozentiges Parkinson-Risiko.

Auch auf subtile motorische Zeichen schon Jahre vor der klaren Manifestation der Parkinson-Symptomatik sollte geachtet werden, wie retrospektive Beobachtungen bei Profisportlern dokumentieren. „Alte Filmaufnahmen von Baseball- oder Fußballspielern haben ein reduziertes Mitschwingen des später betroffenen Armes zehn Jahre vor dem Ausbruch der Krankheit gezeigt. Manche Betroffene haben auch subtile Phasen mit einem Tremor, die oft über Jahre auftreten und jeweils nur wenige Sekunden dauern. Auf diesem Arm tritt dann später die Parkinson-Symptomatik auf“, erklärt Pirker. Erst vor kurzem wurde beobachtet, dass solche Tremor-Phasen zum Beispiel durch Gähnen getriggert sein können.

Assoz. Prof. Priv. Doz. Petra Schwingenschuh von der Universitätsklinik für Neurologie an der Medizinischen Universität Graz verweist darauf, dass Schulter-Arm-Schmerzen ebenfalls Jahre vor dem eindeutigen Ausbruch der Krankheit auftreten. „Manche Patienten beschreiben einen ziehenden Schmerz ähnlich wie bei Verspannungen oder einem Tennisarm. Sie werden dann oftmals ergebnislos orthopädisch abgeklärt“, so die Expertin.

Wie kommt man bei diesen noch unspezifischen Frühsymptomen auf die Spur eines beginnenden Morbus Parkinson? Schwingenschuh nennt ein Beispiel: „Wird ein Patient mit Problemen im Arm-Schulter-Bereich vorstellig und es fällt auf, dass ein Arm nicht mitschwingt oder es ganz kurze Tremor-Phasen gibt, beginne ich andere Frühsymptome abzufragen.“ Wichtige Fragen seien diesbezüglich: Fällt auf, dass sich das Schlafmuster verändert hat? Ist der Patient ängstlicher geworden? Wird vom Patienten oder seinem Umfeld ein abnehmendes Geruchsvermögen bemerkt? Gab es Veränderungen bei der Verdauung? Dies seien dann Red Flags, die eine weitere neurologische Abklärung erforderlich machen. Für den Riechverlust würden einfache Tests mit Riechstäbchen oder Booklets, in denen man Gerüche aufkratzen kann, zur Verfügung stehen. „Der Patient nimmt die Hyposmie selbst oft nicht wahr, diese Tests ermöglichen jedoch eine objektive Feststellung.“

Risikofaktoren: Gene und Umwelt

Sowohl Prävalenz als auch Inzidenz von Parkinson steigen altersabhängig. Mittlerweile sind auch die genetischen Risikofaktoren besser erforscht, wie Schwingenschuh erklärt: „Kommt es zur Mutation auf einem Gen der Glucocerebrosidase (GBA), bleiben nur 50 bis 80 Prozent der normalen Aktivität des Enzyms. Das Risiko für Parkinson ist dann deutlich erhöht.“  Dies könnte künftig bei der Entwicklung von am genetischen Risikoprofil orientierten Therapien helfen. Auch Umwelteinflüsse seien ein Risikofaktor; aus großen Studien gehe ein statistisch erhöhtes Risiko durch Pestizid-Exposition und Kontakt mit Lösungsmitteln hervor. „Auch Verletzungen am Gehirn, wie ein Schädel-Hirn-Trauma, erhöhen das Krankheitsrisiko“, sagt Schwingenschuh.

In der medikamentösen Parkinson-Frühtherapie  

stehen als Goldstandard drei Möglichkeiten der Ersteinstellung zur Verfügung: Direkte Gabe von L-Dopa, Dopamin-Agonisten und MAO-B-Hemmer (in Österreich Rasagilin). Beim Einsatz von L-Dopa ist eine kurze Halbwertszeit zu berücksichtigen, wodurch das Gehirn nicht gleichmäßig mit dem Botenstoff stimuliert wird und Spitzen und Täler des Spiegels im Gehirn auftreten. Pirker dazu: „Im Frühstadium können die noch vorhandenen dopaminergen Neuronen das pharmakologisch zugeführte Dopamin speichern. Da aber mit Fortlauf der Krankheit immer mehr Nervenzellen degeneriert sind, geht die Speicherfähigkeit zunehmend verloren und die Wirkdauer verkürzt sich.“ Die Folge sind Schwankungen der Wirksamkeit der Medikamente (Fluktuationen) und abnorme Überbewegungen (Dyskinesien) in Phasen guter Beweglichkeit (On-Phasen). Dagegen kommt es zu Einschränkungen der Beweglichkeit in der Off-Phase, wenn die Wirkung von L-Dopa nachlässt. Schwingenschuh nennt einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren, nach dem dieses herausfordernde Stadium unter L-Dopa-Therapie bereits erreicht sein kann. Es gebe aber große Fortschritte: „Wir können die Wirkung von L-Dopa verlängern und einen konstanteren Wirkspiegel erzeugen, um Patienten tagsüber vor den schwierigen On-Off-Phasen zu bewahren. Dafür kombinieren wir mit einem COMT-Inhibitor oder Rasagilin.“ Seit einiger Zeit steht mit Opicapon ein neuer COMT-Hemmer zur Verfügung, der nur einmal täglich eingenommen werden muss. Dosierungen und Zahl der Einnahmen müssen laut Schwingenschuh alle sechs Monate nachjustiert werden.


Medikamentöse Therapie: Nebenwirkungen und Interaktionen

Neben der Störung der Impulskontrolle durch Dopamin-Agonisten gibt es weitere Nebenwirkungen im Rahmen einer medikamentösen Parkinson-Therapie:

  • Beinödeme: sind in vielen Fällen eine Nebenwirkung von Dopamin-Agonisten
  • Durchfälle: können klassische Nebenwirkung von Entacapon sein
  • Übelkeit
  • Blutdruckabfall
  • kognitive und psychiatrische Nebenwirkungen wie Halluzinationen und Verwirrtheit

Assoz. Prof. Priv. Doz. Petra Schwingenschuh weist daraufhin, dass bei Übelkeit die Gabe von Metoclopramid kontraindiziert ist: „Dieses ist ein Dopamin-Antagonist, es kann Parkinsonsymptome verschlechtern.“ Interaktionen seien auch bei antidepressiver Therapie und MAO-B-Hemmern möglich. „Diese Kombination ist nicht zugelassen, sie kann zu Blutdruckkrisen führen.“Bei Verschlechterung der Symptome unter L-Dopa-Therapie lohnt sich laut Schwingenschuh die Nachfrage, ob die Einnahmeabstände zu Mahlzeiten eingehalten werden. „L-Dopa muss 30 bis 60 Minuten vor einer Mahlzeit eingenommen werden. Viele Patienten nehmen es aber knapper davor ein, was bei Fortschreiten der Krankheit durch die verzögerte Magenentleerung zu Wirkungseinschränkungen führt.“


Eine weitere Therapieoption sowohl bei Fluktuationen als auch bei Dyskinesien ist Amantadin. Pirker dazu: „Die Substanz kann als einziger Wirkstoff sowohl die Parkinson-Symptomatik als auch die Wirkungsschwankungen verbessern. Sie führt zu einer Verbesserung der Dyskinesien und sollte bei diesen Patienten auf jeden Fall versucht werden.“ Für die Off-Phasen steht mit Apomorphin subkutan eine Notfalltherapie in Form eines Pens zur Verfügung, der den Patienten nach durchschnittlich acht Minuten aus einer Off-Phase herausholen kann.

Impulskontrolle bei Dopamin-Agonisten

 Dopamin-Agonisten haben eine längere Halbwertszeit und müssen infolge der längeren Wirkungszeit nur einmal pro Tag eingenommen werden. Ein Nachteil ist laut Pirker jedoch die eingeschränkte Verträglichkeit: „Bei betagten Patienten kann es zu Halluzinationen kommen. Bei Jüngeren treten zu circa einem Drittel Impulskontrollstörungen wie Spielsucht, verstärkte Sexualität, übermäßiges Einkaufen oder extremer Appetit mit Gewichtszunahme auf.“ Vor der Verschreibung sei daher wichtig, eine Vulnerabilität für Impulskontrollstörungen abzufragen und über die mögliche Nebenwirkung aufzuklären. Es handle sich bevorzugt um Menschen, die von ihrer Persönlichkeit her sehr neugierig („Novelty Seekers“) und risikofreudig („Risk Takers“) seien.

Bei oral austherapierten Patienten – d.h. bei zumindest fünf Therapieeinnahmezeitpunkten täglich – gibt es mit Pumpensystemen, sowohl für die intrajejunale Therapie per PEJ/PEG-Sonde als auch für die subkutane Dauerinfusion, und tiefer Hirnstimulation etablierte gerätegestützte Therapien. Bei den niedrig invasiven subkutanen Therapien steht seit Dezember 2023 neben der Apomorphinpumpe auch eine subkutane L-Dopa-Pumpentherapie zur Verfügung. Die tiefe Hirnstimulation wird laut Schwingenschuh bei Personen mit Fluktuationen oder Dyskinesien, die medikamentös nicht beherrschbar sind, und bei Patienten mit therapierefraktärem Tremor angewendet. Bei dieser Patientengruppe kann auch die seit April 2023 in Österreich verfügbare MR-gesteuerte fokussierte Ultraschalltherapie in Frage kommen.

Begleitend zur medikamentösen Therapie empfehlen Experten regelmäßige Bewegung und auch Physio- und Ergotherapie sowie Logopädie. „Bewegung beeinflusst den Verlauf der Erkrankung günstig. Ebenfalls gut belegt ist der Effekt einer gesunden Ernährung im Sinne einer mediterranen Kost“, betont Schwingenschuh abschließend.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2024