Horizonte: Portrait Marlies Meisel – Mit Laktobazillen gegen den Krebs

10.02.2024 | Medizin

Den Einfluss des probiotischen Bakteriums Lactobacillus reuteri auf Melanomeuntersuchte die Immunologin Marlies Meisel. Dafür wurde sie mit dem Junior Principal Investigator Award, der vom Austrian Scientists & Scholars in North America Netzwerk verliehen wird, ausgezeichnet.

Ursula Scholz

Zwei Jahre in den USA hatte Marlies Meisel eingeplant, als sie ihr Erwin Schrödinger Postdoctoral Fellowship im Jahr 2013 antrat und von Innsbruck nach Chicago übersiedelte. Inzwischen lebt sie bereits ein ganzes Jahrzehnt in den USA, arbeitet seit 2018 als Assistant Professor an der University of Pittsburgh School of Medicine und leitet dort „The Meisel Lab“ mit rund zehn Teammitgliedern. In diesem Labor entstand auch jene in „Cell“ erschienene Publikation über Effekte von diätischen Maßnahmen auf Modelle von Hautkrebs, für die sie kürzlich den Junior Principal Investigator Award des Austrian Scientists & Scholars in North America (ASciNA) Netzwerk erhalten hat.

Dieses Netzwerk verbindet österreichische Forscher verschiedener Fachdisziplinen, die im nordamerikanischen Raum wissenschaftlich tätig sind. Vor Ort in Washington D.C. gibt es das Office of Science an Technology Austria (OSTA), das einmal jährlich zur großen Vernetzungsveranstaltung, dem Austrian Research and Innovation Talk (ARIT) lädt. Im Zuge dessen werden der Young Scientist Award und der Junior Principal Investigator vergeben. Dotiert werden die Preise vom Österreichischen Wissenschaftsministerium.

Marlies Meisel war von klein auf von Medizin fasziniert. Nur der Ordnungsruf der Mutter konnte unterbinden, dass sie ihren beiden Geschwistern Medikamente verabreichte. Die 1983 geborene Niederösterreicherin absolvierte das Studium der Ernährungswissenschaften. „Retrospektiv gesehen war das eine gute Wahl“, urteilt sie heute. „Es ist ein sehr interdisziplinäres Studium und bietet viele Möglichkeiten.“ Außerdem ließ es sich mit ihren Nebenjobs von der Meinungsumfrage bis hin zur Gemüseverkostung im Supermarkt vereinbaren, mit denen sie sich ihr Studium finanziert hat. Trotz Nebentätigkeiten wurde sie in Mindeststudiendauer fertig. „Ich habe mit Ausnahme von Weihnachten wirklich an jedem Tag des Jahres gelernt. Ich bin mir selbst ein sehr strenger Chef“, gesteht sie. „Ich war immer schon ehrgeizig und willensstark, wollte es zu etwas bringen und in die Welt hinausgehen.“ Der Fokus ihrer Wissbegierde lag stets auf den Naturwissenschaften: ob sie nun als Kind schon am Mikroskop saß oder ein Gesundheitsbuch von vorn bis hinten durchstudierte.

Auf Umwegen zur Medizin

Zur Medizin hat sie das Studium der Ernährungswissenschaften letztlich doch geführt, wenn auch auf einem verschlungenen Weg. Nach dem Masterstudium wechselte sie an die Medizinische Universität Innsbruck, wo sie am PhD-Programm für Immunologie und Onkologie teilnahm. Von dort ging es nach einem kurzen Abstecher zur Regenwald-Aufforstung in Costa Rica direkt in dieUSA an das Labor der französischen Gastroenterologin und Immunologin Bana Jabri. „Diese Zeit war herausfordernd, aber eine exzellente Vorbereitung auf meine eigenständige Forschung.“ Im eigenen Labor forscht Meisel nun über die Auswirkung der Darmmikrobiota auf das Immunsystem – besonders auf die Entwicklung von Krebs und Autoimmunerkrankungen. Die finanziellen Mittel dafür muss sie selbst einwerben.

In ihrer preisgekrönten Publikation erforschte sie den Einfluss des probiotischen Bakteriums Lactobacillus reuteri, dessen Stoffwechselprodukte auf CD8-T-Zellen wirken. Diese Immunzellen richten sich gegen verschiedene Tumoren, allerdings wehrt sich die Mikro-Umgebung des Tumors gegen den Angriff des Immunsystems. Sie lässt die CD8-T-Zellen „einschlafen“, die dadurch ihre Schutzwirkung einbüßen. Ein Metabolit des Lactobacillus reuteri wiederum, so das Forschungsergebnis von Meisel, kann schlafende CD8-T-Zellen aufwecken und für die Tumorbekämpfung „scharf“ machen. „Wir sehen in der Klinik, dass bei Patienten mit besserem Outcome dieser Metabolit des Lactobacillus reuteri in höherer Konzentration vorhanden ist. Also versuchen wir, seine Bildung zu fördern.“ Essentiell für das Wohlbefinden des Lactobacillus ist Tryptophan. Führt man mit der Nahrung gezielt Tryptophan zu, steigt die Antitumor-Response an – zumindest im Mausmodell. „Klinische Studien dazu sind in Planung“, betont Meisel.

In Zukunft möchte sie verstärkt den heilenden Einfluss von sportlicher Betätigung auf das Darmmikrobiom erforschen. „Ich werde verschiedene Lebensweisen in ihrer Auswirkung auf die Mikrobiota analysieren und dann klären, wie sich diese Veränderung auf das Immunsystem auswirkt.“ Auch die Folgen einer Stuhltransplantation von sportlichen Mäusen auf unsportliche könnte erhellende Erkenntnisse bringen.

Genotoxische Effekte von Sport

Der Sport hat es Meisel privat wie beruflich schon immer an-getan: Schon während ihres Masterstudiums an der Universität Wien widmete sich die Triathletin in ihrer Abschlussarbeit der Forschungsfrage, inwieweit ein Ironman-Triathlon genotoxische Effekte auf die DNA der Athleten ausübt. Einmal Laborluft geschnuppert, war die Leidenschaft geweckt, auch wenn ein Job in diesem wettbewerbsorientierten Forschungsfeld durchaus Kräfte zehrt und regelmäßige Wochenend-Einsätze erfordert. Die Zusammenarbeit mit dem Betreuer ihrer Masterarbeit, Univ. Prof. Karl-Heinz Wagner vom Department für Ernährungswissenschaften der Universität Wien, dauert bis heute an.

Auch die Leidenschaft für den Sport ist ungebrochen. Rund um die Geburt ihres mittlerweile zweieinhalbjährigen Sohnes konnte Meisel nicht wie gewohnt trainieren, aber ihr Ziel ist es, noch vor dem 50. Geburtstag einen Ironman zu schaffen. Drei Halbdistanz-Ironmen hat sie schon absolviert, früher lief sie auch regelmäßig Marathons. Sport – besonders Laufen, Wandern, Radfahren und Schwimmen – bedeutet für Meisel Entspannung. Beim Wandern ist ihr Sohn durchaus gerne dabei. Auch das gemeinsame Backen steht immer wieder am Programm. „Er isst generell eher wenig, aber er mag Kuchen.“

Das Verständnis ihres Partners für das dicht getaktete Leben einer Wissenschafterin ist Marlies Meisel gewiss: Forscht er doch selbst. Kennengelernt hat sich das Paar im PhD-Programm in Innsbruck. Die Forschung von Reinhard Hinterleitner ist der seiner Partnerin nicht unähnlich: „Wir widmen uns beide der Host-Microbiom-Interaktion.“ Er untersucht den Einfluss von Darm-Protisten auf entzündliche Darmerkrankungen.

Sollte an Marlies Meisel der Ruf einer anderen Universität ergehen, müsste jedenfalls für beide ein spannendes Forschungsfeld geboten werden. Noch gefällt es ihr gut in Pittsburgh, wo nicht nur das Immunologie-Department einen exzellenten Ruf genießt, sondern auch die Lebensqualität hoch ist. „Es ist leistbar und es gibt zwei riesige Parks, in denen man sich wie in einem richtigen Wald fühlt.“ Könnte Meisel ohne personelle und finanzielle Einschränkungen forschen, würde sie sich Coley’s Toxins widmen, benannt nach dem US-amerikanischen Onkochirurgen William Coley, der im 19. Jahrhundert Bakteriengifte gegen Krebs eingesetzt hat. „Ich würde dieses Konzept, das er seinerzeit mit ziemlich toxischen Substanzen erprobt hat, gerne unter Verwendung von harmloseren Darmbakterien weiterentwickeln.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 3 / 10.02.2024