Neues Psychotherapiegesetz: Experten am Wort

10.03.2024 | Aktuelles aus der ÖÄK

Gemeinsam mit Vertretern von Fachgesellschaften warnte die Österreichische Ärztekammer in einer gemeinsamen Pressekonferenz vor Fehlentwicklungen durch den Entwurf zum Psychotherapiegesetz (siehe ÖÄZ 4). Nun melden sich weitere Experten zu Wort.

Hans-Peter Kapfhammer (Em. Vorstand Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin der MedUni Graz)

Es gibt es leider keineswegs für alle in Österreich zugelassenen Psychotherapieverfahren eine empirische Evidenz für die Wirksamkeit in der Behandlung psychischer Erkrankungen. Keineswegs ist ein prinzipiell wirksames Psychotherapieverfahren bei allen psychischen Erkrankungen generell und gleichermaßen wirksam wie ein anderes Psychotherapieverfahren und schon überhaupt nicht bei einer definierten Störung mit allen Schweregraden. Grundvoraussetzung für den korrekten Einsatz eines Psychotherapieverfahrens bei einer definierten Störung ist fundiertes Wissen zur differentiellen Psychotherapieforschung, hinreichende Kenntnis der klinischen Verlaufsdynamik einer individuellen psychischen Störung samt ihren bekannten Risiken (Suizidalität, Fremdgefährlichkeit) in der Anamnese sowie ihren psychischen und somatischen Komorbiditäten, zudem auch Wissen um somatopsychische Auswirkungen zugrundeliegender körperlicher Erkrankungen. Prinzipiell ist festzuhalten, dass empirische Evidenzen von bewährten Psychotherapien als monotherapeutische Ansätze vor allem aus Studien mit Patienten stammen, die meist keine dieser speziellen Risiken und Komorbiditäten aufwiesen.

Bei allen Patienten mit allen psychischen Erkrankungen können supportiv-psychotherapeutische Elemente die grundlegende Therapeut-Patienten-Beziehung bereichern. Der Einsatz eines genuinen Psychotherapieverfahren muss aber die grundlegende Frage nach der Voraussetzung einer sinnvollen Durchführung eines solchen Verfahrens beantworten. Eine solche Voraussetzung dürfte bei Patienten mit schwerwiegend psychotischen (schizophren, affektiv, erlebnisreaktiv) oder bedeutsamen organisch-psychischen/suchtbedingten Symptomen nicht vorliegen. Ein monotherapeutischer Psychotherapieansatz sollte in diesen Situationen nicht aufgenommen und erst nach einer verlässlichen Symptomstabilisierung als eventuelle Intervention reflektiert werden. Prinzipielle Voraussetzung, so handeln zu können, ist aber eine hinreichend fundierte klinische Expertise. Orientierendes Wissen über psychiatrisch-klinische Grundlagen sollte bereits fester Ausbildungsbestandteil in den universitären Curricula der Psychotherapiewissenschaft sein. Diese theoretischen Kenntnisse sind aber in jedem Fall durch den Erwerb praktischer Erfahrungen auf einer psychiatrischen Abteilung oder Ambulanz zu verankern und zu vertiefen. Eine Grundorientierung für diese klinischen Aspekte mag ein Praktikum mit der Dauer von mindestens sechs Monaten vermitteln.

Martin Aigner (Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik – ÖGPP)

Psyche und Körper sind immer als Einheit zu sehen. Bei akuten Störungen ist es notwendig, eine multimodale Therapie im multidisziplinären Team abzustimmen. Für Psychotherapeuten ist es unerlässlich, dass diese im Rahmen ihrer Ausbildung Erfahrungen im praktischen Tun der Psychiatrie sammeln, damit es nicht zu Fehleinschätzungen kommt. Im Sinne der Kranken ist es daher unbedingt notwendig, dass künftige Psychotherapeuten praktische Erfahrungen in psychiatrischen Stationen und Ambulanzen sammeln. Ein Nichterkennen akuter und schwerer Zustandsbilder kann zu Chronifizierung oder Sekundärschäden führen.

Alex Hofer (Geschäftsführender Direktor Department Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Medizinische Psychologie, MedUni Innsbruck)

Grundsätzlich spielen sowohl die Psychopharmakotherapie als auch die Psychotherapie bei der Behandlung psychisch kranker Menschen eine wesentliche Rolle und können bei vielen Erkrankungen kombiniert werden. Die fachärztlich zu stellende Indikation für eine bestimmte Behandlungsform hängt jedoch von der Art und dem Schweregrad der jeweiligen Erkrankung ab und erfordert in jedem Fall auch eine ausführliche medizinische Diagnostik, um einerseits somatische Krankheitsursachen auszuschließen und andererseits somatische und psychische Komorbiditäten zu erkennen und leitliniengerecht zu behandeln. Dies ist sowohl für die Betroffenen als auch aus volkswirtschaftlicher Sicht von besonderer Relevanz (Krankschreibungszeiten, Gefahr einer Chronifizierung der Erkrankung bis hin zur Erwerbsunfähigkeit). Evidenzbasierte Leitlinien belegen beispielsweise die vorrangige Bedeutung der Psychopharmakotherapie bei mittel- bis schwergradigen depressiven Erkrankungen, und auch schizophrene Störungen können in der Regel nicht ohne Medikamente behandelt werden. Besonders bei akuten psychischen Erkrankungen (z.B. akute Psychose, Agitation, Suizidalität) ist der Einsatz von Psychopharmaka nicht zuletzt auf Grund des raschen Wirkungseintritts weitgehend unabdingbar und ermöglicht erst in weiterer Folge eine additive psychotherapeutische Behandlung. Psychotherapie kann keine Psychopharmaka ersetzen und umgekehrt.

Theresa Lahousen-Luxenberger (Abteilungsleiterin Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum Klagenfurt)

Aus der Perspektive der stationären Versorgung psychiatrischer Patienten ist die vernetzte Zusammenarbeit mit mehreren Berufsgruppen entscheidend für die längerfristige Behandlungsplanung. Das betrifft insbesondere das Entlassungsmanagement sowie die Vor- und Nachbehandlung der Patienten. Dafür werden unter anderem auch psychiatrisch erfahrene und gut ausgebildete Psychotherapeuten benötigt. Der vorliegende Gesetzentwurf stellt dies jedoch nicht sicher. Es besteht im Rahmen der praktischen Ausbildung von Psychotherapeuten keinerlei Verpflichtung, zumindest Teile dieser Ausbildung an psychiatrischen Facheinrichtungen zu absolvieren. Als Folge davon wird es vermutlich bei vielen der zukünftigen Therapeuten an der Expertise, die zur Behandlung psychisch Kranker erforderlich ist, mangeln. Aus diesem Blickwinkel erstaunt es besonders, dass der Kompetenzbereich von Psychotherapeuten die „eigenverantwortliche psychotherapeutische Diagnostik, Behandlung, Beratung und Betreuung oder Begleitung aller Altersstufen mit emotional, somatisch, intellektuell oder sozial bedingten Verhaltensstörungen und Leidenszuständen umfassen“ soll. Das lässt befürchten, dass medizinisch unzureichend ausgebildete Therapeuten die Grenzen der psychotherapeutischen Heilmethoden nicht immer klar erkennen können und dadurch körperlich und/oder psychisch Erkrankte unzureichend behandeln beziehungsweise potenziell sogar gefährden.

Johannes Wancata (Em. Professor für Sozialpsychiatrie der MedUni Wien, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Sozialpsychiatrie)

Obwohl schon in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts Berichte über Nebenwirkungen von Psychotherapie auftauchten, hat sich die Forschung erst in den letzten zehn bis 15 Jahren mit diesem Thema ausführlicher beschäftigt. Auf Basis der vorliegenden Literatur kann man davon ausgehen, dass etwa fünf bis 20 Prozent aller Patienten, die in Psychotherapie stehen, unter Nebenwirkungen leiden. Einzelne Studien berichten aber auch von deutlich höheren Raten. Zu den am häufigsten berichteten Nebenwirkungen gehören Verschlechterung vorhandener Symptome, Auftreten neuer Symptome, Suizidalität, Konflikte am Arbeitsplatz und Belastungen der Partnerschaft. Die Art und Häufigkeit der genannten Nebenwirkungen werden von zahlreichen Faktoren beeinflusst wie der Diagnose, der Schwere der Krankheit, den Erwartungen der Kranken und den angewandten therapeutischen Techniken. Diese Nebenwirkungen haben aber nichts mit möglichen Kunstfehlern von Psychotherapeuten zu tun, sondern treten auch bei korrekt durchgeführter Therapie auf.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 5 / 10.03.2024