USA: Vorsorge in der Pandemie – Millionen versäumte Untersuchungen

14.07.2023 | Coronavirus, Politik

Auch in den USA wurden besonders Vorsorgeuntersuchungen im ersten Jahr der Pandemie nur erheblich eingeschränkt in Anspruch genommen. So wurden zum Beispiel zwei Millionen Mammographien weniger durchgeführt. Die Zahl der Sexually Transmitted Diseases hingegen steigt.

Nora Schmitt-Sausen

Mit Blick auf die Krebsvorsorge sprechen Forscher der American Cancer Society (ACS) von Millionen von versäumten Vorsorgeuntersuchungen wegen der Corona-Pandemie. Allein die Zahl der Frauen, die an einer Brustkrebsvorsorgeuntersuchung teilnahmen, ging im Jahr 2020 um 2,13 Millionen zurück. Dies sind sechs Prozent weniger als im Vergleichsjahr 2018. Die Zahlen beim Cervixkarzinom-Screening sanken um elf Prozent, was 4,47 Millionen Frauen entspricht.

Die Studie vom Sommer 2022 ergab außerdem, dass die Darmkrebsvorsorgeuntersuchungen bei Männern und Frauen um 16 Prozent zurückgingen. Gleichzeitig kam es zu einem siebenprozentigen Anstieg bei den Hämoccult-Tests. Dies zeige, wie Vorsorge zu Hause auch bei größeren Störungen im Gesundheitswesen aufrechterhalten werden könne, so die Forscher. „Die COVID 19-Pandemie hatte im März und April 2020 unmittelbare Auswirkungen, da die Vorsorgeuntersuchungen zunächst um fast 80 Prozent zurückgingen“, erläuterte Haupt-autor und ACS-Experte Ahmedin Jemal bei der Präsentation der Ergebnisse in einem Statement. Zwar hätten viele Menschen die Vorsorgeuntersuchungen später im Jahr 2020 nachgeholt. Doch: „Insgesamt hat die COVID 19-Pandemie dafür gesorgt, dass die Vorsorgeuntersuchungen über das gesamte Jahr hinweg niedrig waren.

Dass es nicht nur in den ersten Monaten der Pandemie zu Einbrüchen bei der Vorsorge gekommen ist, zeigt auch eine Untersuchung des Health Care Cost Institute. Dafür nutzte die Non-Profit-Organisation Abrechnungsdaten aus 18 US-amerikanischen Bundesstaaten. Das Ergebnis: Die Pandemie habe die Inanspruchnahme bestimmter Gesundheitsleistungen im gesamten Jahr 2020 „erheblich eingeschränkt“, wenn auch Zeichen der Erholung zu erkennen waren.

Die Details:

  • Mammographien und PAP-Abstriche gingen im April 2020 im Vergleich zu 2019 um fast 80 Prozent zurück. Im Laufe des Jahres erholten sich die Werte wieder und lagen noch vor dem Jahreswechsel wieder über dem Niveau von 2019.
  • Koloskopien gingen Mitte April 2020 im Vergleich zum Vorjahr um fast 90 Prozent zurück. Im Dezember lagen sie immer noch etwa 15 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Insgesamt ging die Zahl der Koloskopien gegenüber 2019 um fast 25 Prozent zurück.
  • PSA-Tests brachen Anfang April um etwa 70 Prozent ein, erreichten aber schon wenig später wieder Vorjahresniveau. Im September 2020 lagen sie circa 25 Prozent über dem Wert des Vorjahres.
  • Kinderimpfungen gingen Mitte April 2020 im Vergleich zu 2019 um etwa 60 Prozent zurück. Die Spanne reichte von 75 Prozent bei Meningokokken- und HPV-Impfungen bis zu 33 Prozent bei Rota-Viren und DTP. Im Jahr 2020 wurden Kindern 18 Prozent weniger Impfungen verabreicht als 2019.

Weniger neue Krebsdiagnosen

Im ersten Jahr der Corona-Pandemie gab es 14,4 Prozent weniger neue Krebsdiagnosen als in den Vorjahren. Dies entspricht 200.000 Fällen, wie aus neuen Studien basierend auf Daten der National Cancer Database hervorgeht. Die Zahl der Karzinome ist demnach im März 2020 zurückgegangen und erreichte im April einen Tiefstand, bevor es Mitte des Jahres wieder zu einem Anstieg kam. „Unsere Ergebnisse haben gezeigt, was wir alle befürchtet haben – dass viele Krebsfälle während der frühen Pandemie nicht bekannt geworden sind und sich das im ersten Jahr auch nicht verändert hat, was bedeutet, dass diese ‚unentdeckten Fälle‘ irgendwo da draußen sind“, kommentierte Sharon Lum, Vorsitzende der Abteilung für Chirurgie an der Loma Linda University Health in Kalifornien, die auch an der Veröffentlichung der Studie (JAMA, April 2023) beteiligt war.

Steigende Zahlen werden auch bei Sexual Transmitted Diseases (STD) registriert. Laut einer Untersuchung der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) von April 2023 ist die Zahl der gemeldeten Fälle von Chlamydien, Gonorrhoe und Syphilis zwischen 2020 und 2021 gestiegen. Im Jahr 2021 gab es insgesamt mehr als 2,5 Millionen Fälle. Das ist ein Anstieg von 5,8 Prozent auf 2,39 Millionen gegenüber 2020 und ein Anstieg von sieben Prozent auf 2,37 Prozent gegenüber 2017. Bei Syphilis betrug der Anstieg knapp 32 Prozent, womit die Fallzahlen so hoch wie schon seit 70 Jahren nicht mehr sind. Diese hohen Fallzahlen wurden zumindest teilweise mit der Corona-Pandemie in Verbindung gebracht, weil laut CDC Screenings „auch im zweiten Jahr der Pandemie durch COVID 19-bedingte Störungen beeinträchtigt wurden“.

Die New Yorker Gynäkologin Kameelah Phillips bestätigte dies in einem Interview mit dem US-amerikanischen Sender ABC News: „Im Jahr 2021 kamen aus offensichtlichen Gründen weniger Patienten in die Praxis.“ Für sie sei es jedoch „nur eine Frage der Zeit“ gewesen, bis die Frauen wieder in die Ordination kommen. Vom Anstieg der Fallzahlen, den sie auch in ihrer Ordination bemerkte, sei sie nicht überrascht gewesen. Meist wurde eine STD zufällig im Rahmen einer nachgeholten Routine-Vorsorge festgestellt. Bei vielen ihrer Patienten gab es keinen expliziten Verdacht auf eine Geschlechtskrankheit.


Kein Geld für Vorsorge

Die American Academy of Family Physicians verwies auf ihrer Webseite Anfang dieses Jahres auf eine Studie, wonach in den vergangenen zwölf Monaten fast die Hälfte aller US-amerikanischen Frauen eine präventive Gesundheitsleistung ausgelassen hat. Dabei geht es um jährliche Kontrolluntersuchungen, eine Impfung, einen empfohlenen Test oder eine Behandlung. Als zentraler Grund dafür wurden die Kosten genannt, die aus eigener Tasche zu zahlen sind. Häufig erwähnt wurden auch die Schwierigkeiten, einen Termin zu bekommen. Für die Umfrage, die von der Alliance for Women‘s Health and Prevention (AWHP) in Auftrag gegeben worden war, wurden mehr als 2.000 US-Amerikanerinnen befragt. Weitere Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Vor allem die hohen Eigenleistungen halten Amerikaner davon ab, zur Vorsorge zu gehen, gefolgt von dem schwierigen Zugang zur Versorgung mit wenig verfügbaren Terminen und langen Wartezeiten.

Eine weitere Entwicklung könnte die Gesundheitsvorsorge der Amerikaner nun beeinträchtigen: Durch einen richterlichen Beschluss könnten Amerikaner künftig den Zugang zu einigen bisher kostenfreien Vorsorgeuntersuchungen verlieren. Ein texanischer Richter hatte dies im Ringen um den Affordable Care Act (Obamacare) kürzlich so entschieden. Nach derzeitigem Stand müssen aufgrund des Urteils etwa Medikamente, die eine HIV-Übertragung verhindern, und Screenings auf Depressionen bei Jugendlichen nicht mehr von den Versicherungen übernommen werden. Experten rechnen damit, dass nun auch bei einigen Krebs-Screenings Zuzahlungen notwendig werden. Zentrale, lang etablierte Vorsorgeuntersuchungen bleiben vom Urteil aber wohl unberührt. Rund 100 Millionen Versicherte könnten von der neuen Regelung betroffen sein; weitere juristische Auseinandersetzungen sind zu erwarten.


© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13-14 / 15.07.2023