Portrait Larissa Traxler: Forschungs-Schwenk bei Alzheimer

24.02.2023 | Politik

Mit der Genexpression in den Neuronen von Alzheimer- Patienten und dem Einfluss, den man darauf nehmen kann, befasst sich Larissa Traxler. In der Forschung vollziehe sich gerade ein Schwenk, wie die kürzlich mit dem „For Women in Science“- Stipendium Ausgezeichnete berichtet.

Ursula Scholz

Was haben Alzheimer-Neurone und Krebszellen gemeinsam? Erstaunlich viel, wie Larissa Traxler im Laufe ihrer Forschung entdeckt hat. Die 28-jährige Absolventin der Molekularen Medizin an der Medizinischen Universität Innsbruck richtete ihren Fokus bereits seit ihrem Bachelor auf neurodegenerative Erkrankungen – und arbeitet mittlerweile als Postdoc an der Universität Innsbruck. „Ich habe mich immer für Medizin interessiert, aber ganz besonders für den Hintergrund von Erkrankungen“, erzählt sie. „Daher war das Studium, das sich je zur Hälfte aus medizinischen Lehrveranstaltungen und Laborarbeit zusammensetzt, ideal für mich.“

Neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer-Demenz beträfen ihrer Ansicht nach mittlerweile jeden. „Jeder kennt jemanden mit einem Fall in der Familie …“. So war es auch bei ihr. „Als Kind habe ich nicht verstanden, wie eine derartige Erkrankung nicht nur vergesslich machen kann, sondern gleichzeitig die gesamte Persönlichkeit verändert.“ Aber sie wollte es verstehen. „Ich bin auf einem Bauernhof in Oberösterreich aufgewachsen und habe auch schon immer den Tierarzt mit meinen Fragen gelöchert, wenn er zu uns auf den Hof kam.“ Der Hang zum hartnäckigen Fragen ist ihr geblieben.

Neuronen direkt gezüchtet

„Die Wissenschaft schwenkt in der Alzheimer-Forschung gerade um“, berichtet Traxler aus ihrem Spezialgebiet. „Stand bisher das Entfernen von Amyloid-Plaques aus dem Gehirn im Vordergrund des medikamentösen Eingreifens, beschäftigt sich ein neuer Ansatz mit der Genexpression in den Neuronen von Betroffenen und dem Einfluss, den man darauf nehmen kann.“

Im Labor von Jerôme Mertens, der wissenschaftlichen Heimat von Traxler, wurde eine Methode entwickelt, Hautzellen einer Kohorte von Betroffenen mit Hilfe von speziellen Transkriptionsfaktoren direkt in Neurone umzuwandeln – ohne den bisher erforderlichen Umweg über Stammzellen. „Das hat den Vorteil, dass die von uns gezüchteten Neurone die Informationen über ihr Alter und sämtliche im Laufe des Lebens angesammelten Schäden behalten, woraus wir wiederum unsere Erkenntnisse beziehen.“ Traxler hat sich in ihrer PhD-Arbeit auf den Stoffwechsel in diesen Neuronen konzentriert bei rund einem Dutzend Probanden mit sporadischem Alzheimer und ebenso vielen vergleichbaren gesunden Alten. Die Ergebnisse aus dieser eher überschaubaren Kohorte stellt sie laufend großen Kohortenstudien an Post-mortem-Gehirnen und am Liquor gegenüber.

„Die Ähnlichkeit der Alzheimer-Zellen mit Krebszellen war im Grunde genommen ein Zufallsfund“, erzählt Traxler. Ihr Vorgesetzter war bei der Untersuchung der Gen-Expression in Alzheimer-Neuronen bereits auf Parallelen zu Krebszellen gestoßen. Einen gleichartigen Fund machte Traxler schließlich im Bereich des Zellmetabolismus. „Ich habe mich deshalb auf den Zellstoffwechsel fokussiert, weil sich daraus im besten Fall neue Angriffspunkte für pharmakologische Interventionen ergeben.“ Für ihre Forschung zum Stoffwechsel der Nervenzellen von Alzheimer-Patienten erhielt sie kürzlich das „For Women in Science-Stipendium“ von L´Oréal, UNESCO und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Üblicherweise gewinnen Nervenzellen ihre Energie in den Mitochondrien über den oxidativen Metabolismus. In Neuronen von Menschen, die an Alzheimer-Demenz erkrankt sind, findet aber zusätzlich eine Glykolyse im anaeroben Milieu statt. „Ich gehe davon aus, dass diese in gesunden Nervenzellen unübliche Art von Metabolismus nicht unbedingt der Energiegewinnung dient, da sie eigentlich ineffizienter ist. Vorstellbar wäre, dass die Glykolyse und ihre Metaboliten für eine gestresste Zelle eine Art Überlebensmechanismus darstellen, für den sie jedoch mit Identitätsverlust bezahlt.“

Dieser Metabolismuswechsel hin zur zusätzlichen Glykolyse findet auch sehr häufig in Krebszellen von verschiedensten Entitäten statt. Dabei spielt das Protein PKM2 eine modifizierende Rolle. Traxler untersucht nun, inwieweit PKM2 auch ein Angriffspunkt für ein Alzheimer-Medikament sein könnte. „Wir analysieren gerade in der Zellkultur, ob PKM2 aktiviert oder inhibiert werden soll, um den Zellmetabolismus wieder zu normalisieren, oder ob es reicht, PKM2 daran zu hindern, in den Nucleus vorzudringen“, erläutert Traxler. Reicht es, PKM2 am Einwandern in den Zellkern zu hindern, wären die Nebenwirkungen des medikamentösen Eingreifens vermutlich geringer. Eine weitere Herausforderung besteht darin, die „Compounds“, also PKM2-modulierende Wirkstoffe, die an ein Transportmole-kül gebunden sind, ins Gehirn zu bringen. „Wir verwenden dafür Moleküle, die für die Behandlung von Glioblastomen entwickelt wurden, weil diese nachweislich ins Gehirn vordringen und schon klinisch getestet wurden.“

Auf eigene Art

Dinge auf ihre ganz eigene Art tun – das war Larissa Traxler schon als Kind wichtig. Ihre Eltern ließen sie ihren Weg finden. Trotz aller Eigenständigkeit hat sie ein großes Vorbild: ihre Biologielehrerin, die vor ihrer Tätigkeit als Lehrerin selbst forschte. Sie war es, die Traxler den Mut gab, in die Wissenschaft zu gehen. Mit dem L´Oréal-Stipendium fungiert Traxler nun selbst als Role Model für andere junge Frauen. Eine Rolle, mit der sie gut zurechtkommt: Schließlich hat sie noch drei jüngere Geschwister – ist aber selbst „nur“ die Zweite in der Geschwisterreihe.

Noch in diesem Frühjahr wird Traxler ihrem Chef mit einem zusätzlichen BrightFocus-Stipendium der Alzheimer-Forschung für zwei Jahre nach San Diego folgen, wo sie seinerzeit – auch schon bei ihm – die grundlegende Methodik ihrer Forschungsarbeit erlernt hat. Die in ihrem Job erforderliche örtliche Flexibilität stört sie nicht. „Irgendwann werde ich vielleicht mehr Stabilität benötigen. Aber jetzt ist das Herumkommen einfach spannend und cool.“

Voll und ganz beansprucht

Entspannung findet Larissa Traxler – wie sie selbst meint – nur bei Aktivitäten, die sie ebenso voll und ganz beanspruchen wie ihre berufliche Tätigkeit: beim Weitwandern und Paragleiten. „Ich bin schon sehr ehrgeizig“, gesteht sie. „Auch im Sport.“ Im Sommer wandert sie manchmal nach der Arbeit über den Berg nach Hause. Da sie so gut wie immer in der Früh als Erste im Labor zu arbeiten beginnt, bleibt ihr am Abend genügend Zeit dafür.

Eingebettet in eine internationale Laborgruppe, die meist ohne familiären Anhang nach Österreich gekommen ist, erlebt sie die Kollegenschaft wie eine zweite Familie. Zusammen wird gegrillt und es ist auch ganz normal, mit dem Chef Gleitschirmfliegen zu gehen. „Ich bin vorher schon geflogen. Aber er hat mir den letzten Motivationsschub gegeben, den Flugschein zu machen.“

In San Diego wird sie in nächster Zeit die guten Startplätze des Stubaitals und des Ötztals vermissen. Beirren lässt sich Traxler davon ebenso wenig wie von kleinen Rückschlägen in der Forschungsarbeit. Zum Wassersport wird sie aber vermutlich nicht wechseln: „Das Wasser ist nicht so mein Element wie die Luft. Und schließlich kann man mit dem Gleitschirm auch von einer Klippe starten.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2023