Portrait Kristina Breitenecker: Mehrfach wirksamer Zellrezeptor

15.12.2023 | Politik

Der Zellrezeptor Axl verändert seine Funktion in Abhängigkeit von der Zellart, auf der er exprimiert ist. So erhöht er etwa das Potential der Tumorzellen, Metastasen zu bilden. Biomedizinerin Kristina Breitenecker erforscht die Rolle von Axl bei der Entstehung des hepatozellulären Karzinoms, wo er auf Immunzellen ebenso wirkt wie auf Tumorzellen.

Ursula Scholz

Der Zellrezeptor Axl ist in unterschiedlichen Körperzellen aktiv und bewirkt in jeder Art von Zelle etwas Anderes, er passt sich sozusagen der Umgebung an. Beim hepatozellulären Karzinom taucht er in verschiedenen Phasen der Tumorentwicklung auf – sowohl auf Immunzellen als auch auf den Tumorzellen. Während er auf der Immunzelle exprimiert antiinflammatorisch wirkt, trägt er auf der Tumorzelle dazu bei, dass die Erkrankung fortschreitet. „Mit Axl werden die Zellen invasiv, intravasieren ins vaskuläre System und extravasieren, wobei sie häufig Metastasen bilden“, erklärt Biomedizinerin Kristina Breitenecker vom Zentrum für Krebsforschung der MedUni Wien.

Bei ihrer Forschungstätigkeit beobachtet Breitenecker am Mausmodell auch, wie sich ein hepatozelluläres Karzinom bei jenen Individuen entwickelt, bei denen Axl genetisch ausgeschaltet wurde. Ihre Hypothese: Fehlt Axl zu Beginn einer Hepatitis, die einem Leberkarzinom häufig vorausgeht, entwickelt sich die Entzündung ungebremst weiter, was die Entstehung eines Tumors begünstigt. Fehlt Axl jedoch in einer Phase, in der sich der Tumor bereits manifestiert hat, reduziert dieser Mangel die Fähigkeit der Tumorzellen, ihre Polarität zu verlieren, damit zu einem invasiven Phänotyp zu werden und aus dem Tumor-Zellverband auszubrechen. Daher steigert Axl das Potential der Tumorzellen, Metastasen zu bilden.

„Bei Patienten mit einem fortgeschrittenen hepatozellulären Karzinom wurde beobachtet, dass Axl hochreguliert wird und mit vaskulärer Invasion korreliert. Allerdings wissen wir nicht, ob der invasive Phänotyp durch die Überexprimierung ausgelöst wird oder eine Folgeerscheinung ist, welche die Progression vorantreibt“, so Breitenecker. Erst wenn geklärt ist, in welchem Stadium Axl positiv auf den Gesundheitszustand der Patienten mit einem hepatozellulären Karzinom wirkt und wann er eine schädliche Wirkung zeigt, wird eine Axl-gerichtete Therapie möglich sein.

Medikamente, die Axl beeinflussen, gibt es bereits. Noch zeigt ihr Einsatz bei Patienten mit einem hepatozellulären Karzinom jedoch nicht den gewünschten Erfolg. „Ziel meiner Arbeit ist es, die Grundlage für die Entscheidung zu liefern, welche Patienten eine Axl-gerichtete Therapie erhalten sollen und wann der richtige Zeitpunkt dafür gegeben ist.“

Zukunft in der Krebsforschung

In der Krebsforschung sieht Kristina Breitenecker ihre Zukunft – auch wenn diese ansonsten noch ungewiss ist. Derzeit beendet sie mit dem L‘Oréal-Stipendium „For Women in Science“ ihre Dissertation zu Axl. Mit Jahresende – so ihr Ziel – soll die Arbeit fertiggestellt sein. Ohne selbst eingeworbene Forschungsgelder wäre der weitere Verbleib in der Forschungsgruppe von ao. Univ. Prof. Wolfgang Mikulits am Zentrum für Krebsforschung der MedUni Wien aber nicht gewährleistet gewesen. Schon im Zuge ihrer Masterarbeit hatte sie sich der Krebsforschung gewidmet und davor als Studienkoordinatorin am AKH Wien gearbeitet. „Die Zeit mit ihren vielen Patientenkontakten war sehr lehrreich und prägend“, erzählt Breitenecker weiter. „Sie hat mir aber auch gezeigt, dass meine Studienwahl die richtige war und ich im Labor besser aufgehoben bin.“

Dass sie einmal in Richtung Naturwissenschaften gehen würde, war für Breitenecker von Anfang an klar. Deshalb hat sie sich bewusst für die Matura am Realgymnasium im niederösterreichischen Perchtoldsdorf entschieden, nahe ihrer Heimatgemeinde Breitenfurt. Auch wenn ihre Eltern sie gerne als Ärztin gesehen hätten, wählte sie letztlich ein biomedizinisches Fachhochschulstudium. Im Zuge dessen organisierte sie sich selbst ein Auslandssemester in Antwerpen, wo sie erstmals wissenschaftlich arbeiten konnte. „Ab da war mir klar, dass ich unbedingt in die Forschung gehen möchte.“

Inspirierende Forscherinnen

„Bisher habe ich immer noch sämtliche Karrierepläne verworfen, weil sich in letzter Minute eine attraktivere Möglichkeit aufgetan hat“, erzählt Breitenecker. „Ich will weiter in der Krebsforschung arbeiten und da am liebsten in der Tumorimmunologie, aber ob in Österreich oder im Ausland ist offen. Ich bin sehr flexibel und habe auch nicht den Stress, dass der nächste Job perfekt passen muss.“ Einst träumte sie davon, in New York zu forschen. Nun lautet ihre Anforderung lediglich, in ein auch für Frauen sicheres Land zu gehen.

Ein Frauen-spezifisches Stipendium zu bekommen, hatte für Breitenecker durchaus positive Auswirkungen. „Vor allem als junge Frau in der Forschung wird man oft eher belächelt. Durch das L‘Oréal-Stipendium habe ich viele inspirierende Forscherinnen kennengelernt. Viele davon hatten zunächst ähnliche Schwierigkeiten. Von ihnen konnte ich gute Strategien lernen, mich zu behaupten.“ Auch ihre Mutter, eine Geschäftsfrau in einer von Männern dominierten Branche, ist für Kristina Breitenecker ein Vorbild darin – wie auch in vielem anderen. Im beruflichen Umfeld orientiert sie sich an der Molekularpathologin Anna Obenauf. „Sie betreibt wirklich tolle Forschung und sie tritt selbstbewusst auf und lässt sich von keiner Frage beirren.“

Wissenschaftlicher Ehrgeiz

Sich selbst findet Breitenecker oft ein wenig zu schüchtern. Mit 28 Jahren bleibt ihr auch noch Zeit, über sich hinauszuwachsen. Ihr wissenschaftlicher Ehrgeiz ist hingegen bereits voll ausgebildet, darüber hinaus beschreibt sie sich als empathisch, hilfsbereit und – im positiven Sinne – sensibel. Auch hat sie gelernt, ihre Grenzen gezielt ein wenig zu überschreiten. Als Ausgleich zu ihrer Zeit im Labor geht sie gerne klettern. Zunächst hat sie sich aufs Bouldern beschränkt, mittlerweile versucht sie sich auch im Seilklettern. „Ich habe ein bisschen Höhenangst. Daher muss ich mich beim Seilklettern konzentrieren und damit gelingt es mir auch nach stressigen Arbeitstagen, mich komplett auf etwas Anderes als auf die Laborarbeit zu fokussieren.“

Manchmal klingt ihr Tag auch eher gemütlich beim Kochen aus: „Ich tüftle gerne bis zur Perfektion an einzelnen Gerichten. Da sehe ich durchaus eine Parallele zur Arbeit im Labor“, erzählt sie mit einem Hauch Selbstironie. „Ich probiere gerne die Speisen anderer Länder. Im Sommer beispielsweise experimentiere ich mit vietnamesischen Pho-Suppen.“

Hohe Frustrationstoleranz

Nicht nur in der Küche, sondern auch im Beruf hält sie es für wichtig, möglichst viel Verschiedenes kennenzulernen. „In jedem Fall braucht man für die wissenschaftliche Laborarbeit eine hohe Frustrationstoleranz. Manchmal funktioniert ein Experiment einfach gar nicht, trotz bester Vorbereitungsarbeit.“

Breitenecker hat schon selbst Studierende betreut und bei der Wahl ihrer weiteren Ausbildungsschritte beraten. Diese möge man nicht zu verkopft angehen, ist sie überzeugt. Es gebe mittlerweile so viele hochspezialisierte Masterstudien. „Und am Ende landen wir alle wieder in denselben Labors – egal, welches Studium wir uns ausgesucht haben.“ Oft entscheide der Zufall darüber, in welchem Forschungsbereich man sich letztlich vertiefe – und das sei nicht verkehrt. „Klar, man muss sich auf seinem beruflichen Weg selbst treu bleiben, aber ich zumindest habe letztlich immer dann am meisten gelernt, wenn ich ins kalte Wasser geworfen wurde.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2023