Masern in den USA: Die unge­impf­ten Kinder

26.04.2023 | Politik

Auch in den USA hat die Corona-Pan­de­mie zu einem Ein­bruch bei Masern-Imp­fun­gen geführt. Der Impf­schutz von Kin­der­gar­ten­kin­dern gegen Masern, Mumps und Röteln ist laut den Gesund­heits­be­hör­den damit aktu­ell so nied­rig wie seit einem Jahr­zehnt nicht mehr: Rund 250.000 unge­impfte Kin­der­gar­ten­kin­der gel­ten als gefährdet. 

Nora Schmitt-Sau­sen

Bei den Cen­ters for Dise­ase Con­trol and Pre­ven­tion (CDC) herrscht Anspan­nung: Anfang März 2023 gaben sie eine lan­des­weite War­nung her­aus, um Spi­tals­ärzte und Mit­ar­bei­ter im öffent­li­chen Gesund­heits­we­sen über einen bestä­tig­ten Masern­fall im US-Bun­des­staat Ken­tu­cky zu infor­mie­ren. Das dor­tige Depart­ment for Public Health hatte eine Erkran­kung bei einem Teil­neh­mer einer Groß­ver­an­stal­tung gemel­det. Die unge­impfte infi­zierte Per­son hatte Mitte Februar 2023 an einer reli­giö­sen Ver­samm­lung an der Asbury Uni­ver­sity in Wilm­ore teil­ge­nom­men. Schät­zungs­weise 20.000 Men­schen waren dort – aus den gesam­ten USA und auch aus ande­ren Län­dern. Die Behörde rief unge­impfte oder nicht voll­stän­dig geimpfte Teil­neh­mer der Ver­an­stal­tung auf, sich für 21 Tage in Qua­ran­täne zu bege­ben. Die Angst vor einem mög­li­chen Mas­sen­aus­bruch bestä­tigte sich in die­sem Fall nicht.

Ins­ge­samt ist die Masern-Lage im Land aktu­ell noch ruhig: Im Jahr 2023 sind der CDC bis­lang erst drei Fälle von Masern gemel­det wor­den (Stand: 28. Februar 2023). Doch nach Ansicht von vie­len Gesund­heits­exper­ten ist diese Ruhe trü­ge­risch. Denn auch in den USA hat die Corona-Pan­de­mie für signi­fi­kante Lücken bei Masern-Imp­fun­gen gesorgt, wie meh­rere Erhe­bun­gen zum Thema zei­gen. Dies spie­geln aktu­elle Zah­len der CDC wider. Laut einem im Jän­ner 2023 ver­öf­fent­lich­ten Bericht betrug die Impf­rate gegen Masern,

Mumps und Röteln 

im Schul­jahr 2021/​2022 ledig­lich 93 Pro­zent und somit unter der Ziel­quote von 95 Pro­zent. Im Schul­jahr 2019/​2020 war die 95-Pro­zent-Marke noch erreicht wor­den. Im Schul­jahr 2020/​2021 gab es bereits einen Ein­bruch auf 94 Pro­zent. Der Impf­schutz von Kin­der­gar­ten­kin­dern gegen Masern, Mumps und Röteln sei damit aktu­ell so nied­rig wie seit einem Jahr­zehnt nicht mehr, so die CDC. Fast eine Vier­tel­mil­lion Kin­der­gar­ten­kin­der seien auf­grund des Rück­gangs der Impf­quote wäh­rend der Pan­de­mie gefähr­det, an Masern zu erkranken.

Arzt­be­su­che aufgeschoben

Wäh­rend der Pan­de­mie wur­den auch die US-Ame­ri­ka­ner viele Monate lang gebe­ten, zu Hause zu blei­ben, um die Aus­brei­tung von COVID-19 zu stop­pen. Viele Eltern scho­ben Vor­sor­ge­un­ter­su­chun­gen ihrer Kin­der auf. Auch als sich das Leben nach und nach wie­der nor­ma­li­sierte, waren viele Eltern noch lange besorgt und zöger­lich, mit ihren Kin­dern einen Arzt wegen einer Imp­fung auf­zu­su­chen. Die Angst, dort COVID-19 aus­ge­setzt zu sein, war in den USA sehr ausgeprägt.

Schon gegen Ende des ver­gan­ge­nen Jah­res warnte die CDC zusam­men mit der WHO vor der Gefahr von welt­wei­ten Masern­aus­brü­chen wegen Mil­lio­nen ver­säum­ter Imp­fun­gen durch die Pan­de­mie (siehe Kas­ten). Sie rief die US-ame­ri­ka­ni­schen Päd­ia­ter dazu auf, Impflü­cken schnellst­mög­lich zu schlie­ßen. Die War­nung kam zu einer Zeit, in der die USA einen grö­ße­ren Aus­bruch von Masern zu ver­mel­den hat­ten. In Colum­bus im US-Bun­des­staat Ohio erkrank­ten ab Anfang Novem­ber 2022 ins­ge­samt 85 Kin­der an Masern. 80 davon waren unge­impft, vier nicht voll­stän­dig geimpft, bei einem Kind war der Impf­sta­tus nicht bekannt. Kei­nes der Kin­der starb, doch 36 Kin­der muss­ten im Kran­ken­haus behan­delt wer­den. Bis auf fünf waren alle Kin­der jün­ger als fünf Jahre. Der Aus­bruch begann mit vier Masern-Infek­tio­nen bei unge­impf­ten Kin­dern in einer Kin­der-tages­ein­rich­tung. Ende Feber die­ses Jah­res konnte der Aus­bruch offi­zi­ell für been­det erklärt werden.

Ins­ge­samt ver­zeich­ne­ten die USA, wo Masern seit dem Jahr 2000 als aus­ge­rot­tet gel­ten, im ver­gan­ge­nen Jahr 121 Masern-Fälle – alle bei unge­impf­ten oder nicht voll­stän­dig geimpf­ten Kin­dern. Zum Ver­gleich: Im Jahr 2021 waren es 49 Fälle, im Jahr 2020 ins­ge­samt 13. Im Jahr 2019 ver­zeich­ne­ten die USA 1.274 Masern-Fälle – eine so hohe Zahl wie seit Anfang der 1990er Jahre nicht mehr. Eine Viel­zahl der Fälle war damals auf einen Aus­bruch in New York zurück­zu­füh­ren, als ein unge­impf­tes Kind von einer Aus­lands­reise mit Masern zurückkehrte.

Die USA ver­fol­gen ganz gene­rell ein strik­tes Impf­pro­gramm, in dem viele Rou­tine-imp­fun­gen für Kin­der vor­ge­se­hen sind, dar­un­ter auch die MMR-Imp­fung. Aller­dings haben die Bun­des­staa­ten viel Frei­heit dar­über, wie strikt sie Emp­feh­lun­gen umset­zen und las­sen vie­ler­orts Frei­stel­lun­gen aus reli­giö­sen oder medi­zi­ni­schen Grün­den zu. Ein wei­te­rer gro­ßer Risi­ko­herd für Aus­brü­che im Land sind unge­impfte Rei­sende, die das Virus einschleppen.

Debatte über Sinn von Impfungen

Die Corona-Pan­de­mie scheint nicht nur mit Blick auf aktu­elle Impflü­cken eine Rolle zu spie­len. Es gibt Anzei­chen, dass die in den USA teils sehr hef­tig geführte Debatte über den Sinn, die Gefah­ren und die Ver­läss­lich­keit der Corona-Imp­fun­gen einen Ein­fluss auf die Ein­stel­lung der US-Ame­ri­ka­ner gegen­über der Masern-Imp­fung hat.


40 Mil­lio­nen Kin­der gefährdet 

Laut den von der WHO und der CDC gemein­sam ver­öf­fent­lich­ten Daten haben im Jahr 2021 fast 40 Mil­lio­nen Kin­der eine Impf­do­sis gegen Masern ver­passt – ein Rekord­hoch, wie es heißt. Im Detail: 25 Mil­lio­nen Kin­der ver­pass­ten ihre erste Impf­do­sis; wei­tere 14,7 Mil­lio­nen die zweite Dosis. Ein Blick in das Jahr 2021 belegt die Dyna­mik, die durch Lücken bei der Immu­ni­sie­rung ent­ste­hen kann: Nach Anga­ben von WHO und CDC gab es welt­weit geschätzte neun Mil­lio­nen Masern-Fälle und 128.000 Tote. 22 Län­der erleb­ten große und dis­rup­tive Ausbrüche.
Rück­gänge bei der Durch­imp­fung, eine ver­rin­gerte Masern­über­wa­chung sowie anhal­tende Unter­bre­chun­gen und Ver­zö­ge­run­gen bei Impf­ak­ti­vi­tä­ten auf­grund von COVID-19 und anhal­tende große Aus­brü­che im Jahr 2022 bedeu­te­ten, dass Masern in jeder Region der Welt eine unmit­tel­bare Bedro­hung dar­stell­ten, urteil­ten WHO und CDC. Es sei von ele­men­ta­rer Bedeu­tung, dass „Impf­pro­gramme wie­der auf Kurs gebracht wer­den“. CDC und WHO for­dern koor­di­nierte und gemein­same Maß­nah­men aller Part­ner auf glo­ba­ler, natio­na­ler und regio­na­ler Ebene, um Bemü­hun­gen zu prio­ri­sie­ren, alle unge­schütz­ten Kin­der zu fin­den und zu impfen.


Im COVID-19 Vac­cine Moni­tor der US-ame­ri­ka­ni­schen Gesund­heits­stif­tung Kai­ser Family Foun­da­tion heißt es im Dezem­ber 2022: „Wäh­rend die meis­ten Men­schen wei­ter­hin Ver­trauen in die Vor­teile von Imp­fun­gen gegen Masern, Mumps und Röteln in der Kind­heit haben, schei­nen die Erfah­rung der COVID-19-Pan­de­mie und die Debat­ten über Impf­an­for­de­run­gen und Impf­vor­schrif­ten Aus­wir­kun­gen auf die öffent­li­che Ein­stel­lung zu Impf­an­for­de­run­gen für MMR-Imp­fun­gen in öffent­li­chen Schu­len gehabt zu haben.“

Die Umfrage ergab, dass 71 Pro­zent der Erwach­se­nen sagen, dass gesunde Kin­der gegen Masern geimpft sein soll­ten, um öffent­li­che Schu­len besu­chen zu kön­nen. Bei einer Umfrage des Pew Rese­arch Cen­ter vor der Pan­de­mie im Okto­ber 2019 waren es noch 82 Pro­zent. Gegen Ende 2022 gaben 28 Pro­zent der Befrag­ten an, dass Eltern ent­schei­den soll­ten, ob ihre schul­pflich­ti­gen Kin­der geimpft wer­den sol­len – auch wenn dies Gesund­heits­ri­si­ken für andere berge. Zum Ver­gleich: 16 Pro­zent hat­ten diese Posi­tion im Jahr 2019.

Wie so häu­fig in den USA spielt auch bei die­ser Frage die poli­ti­sche Gesin­nung eine Rolle: Bei Repu­bli­ka­nern und ihnen nahe­ste­hen­den unab­hän­gi­gen Wäh­lern gab es einen Anstieg von 20 Pro­zent auf 44 Pro­zent. Ten­den­zen in Rich­tung mehr Impf-Skep­sis gab es bereits vor der Pan­de­mie. Das Mei­nungs­for­schungs­in­sti­tut Gal­lup berich­tete schon Anfang 2020 in einer Erhe­bung über die all­ge­meine Impf­be­reit­schaft von einem Rück­gang der Unter­stüt­zung von Eltern gegen­über Imp­fun­gen in den USA. Dabei wurde deut­lich, dass es sich nicht um einen kurz­zei­ti­gen Trend, son­dern um eine lang­jäh­rige, schlei­chende Ent­wick­lung handelt.

Die Gal­lup-Umfrage zeigte, dass 84 Pro­zent der Ame­ri­ka­ner es für extrem oder sehr wich­tig hal­ten, dass Eltern ihre Kin­der imp­fen las­sen. Das ent­spricht dem Wert einer Erhe­bung aus dem Jahr 2015. Aller­dings: Im Jahr 2001 sahen noch 94 Pro­zent der US-Ame­ri­ka­ner das Imp­fen als wich­tig an. Laut den Exper­ten des Gal­lup-Insti­tuts habe es einen „Bruch“ in der Hal­tung der US-Ame­ri­ka­ner gegen­über Kin­der­imp­fun­gen gegeben.

Dar­über hin­aus gibt es bei der Masern-Imp­fung ein spe­zi­el­les Pro­blem bei der Akzep­tanz: Hart­nä­ckig hält sich in den USA das Gerücht, die MMR-Imp­fung könne zu Autis­mus füh­ren. Auch bei dem 2022er-Aus­bruch in Ohio spiel­ten der­ar­tige Sor­gen nach Anga­ben der Behör­den zufolge wohl eine große Rolle.

Auch aktu­ell – Ende März 2023 – gab es wie­der einen Masern-Fall in Salt Lake City im US-Bun­des­staat Utah. Dabei han­delt sich um einen unge­impf­ten Rei­se­rück­keh­rer. Seit 2017 hatte sich in Utah nie­mand mehr mit Masern infiziert.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 8 /​25.04.2023