Kommentar Lukas Stärker: Studienplatzbedingter Ärztemangel: EU ist gefordert

25.06.2023 | Politik

Etwa ein Drittel der Absolventen des Medizinstudiums in Österreich wird nie in die Ärzteliste eingetragen, wird also nicht in Österreich ärztlich tätig. Dieses Drittel fehlt unserem Land und unserem Gesundheitssystem.

Lukas Stärker*

In Österreich gibt es an den staatlichen Universitäten circa 1.710 Humanmedizin-Studienplätze pro Jahr; hinzu kommen noch circa 200 Studienplätze an den privaten Medizinischen Universitäten. Diese Zahl stellt in etwa auf den in Österreich bestehenden und zu erwartenden Bedarf ab. Da jedoch nur etwa zwei Drittel der Absolventen des Medizinstudiums nach Studienabschluss auch wirklich in Österreich ärztlich tätig werden, entsteht hier eine Lücke, die die Ärzteknappheit in Österreich weiter verschärft.

Jetzt würde an sich ja nichts dagegensprechen, dass junge Ärztinnen und Ärzte eine Zeit ihre Tätigkeit im Ausland ausüben wollen, etwa um internationale Erfahrungen zu sammeln, zu sehen, wie anderswo mit den jeweiligen Fragestellungen umgegangen wird, wie Spitäler im Ausland funktionieren etc. Dies gilt gleichermaßen für den Wunsch junger Leute, in einem anderen Land Medizin zu studieren. Dass dies nicht funktioniert, liegt meines Erachtens vor allem daran, dass bestimmte Länder wie etwa Deutschland deutlich zu wenige Medizin-Studienplätze zur Verfügung stellen, als es die Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung der Bevölkerung in Deutschland erfordern würde. Die so ausgelöste Welle von deutschen Staatsbürgern, die in Österreich Medizin studieren wollen, führte in weiterer Folge dann dazu, dass Österreich eine 75-prozentige Inländerquote einführen musste, um dem Ansturm der deutschen Studenten halbwegs Herr werden zu können. Besser als nichts, aber dennoch ist der in Österreich bestehende Nachbesetzungsbedarf auch trotz Quote beeinträchtigt, weil auch ein Teil der deutschen Studienabsolventen Österreich nach dem Studium wieder verlässt und das inländische Studienplatzangebot wie erwähnt auf den im Inland bestehenden Bedarf abstellt.

Verschärft wird dies dadurch, dass Deutschland Schätzungen zufolge jedes Jahr um mehr als 5.000 Medizin-Studienplätze zu wenig anbietet. Um dennoch die medizinische Versorgung der deutschen Bevölkerung sicherstellen zu können und weil man es sich leisten kann, wirbt Deutschland Medizinabsolventen aus vielen anderen europäischen Ländern ab. Mit diesem Rosinenpicken spart sich Deutschland die Finanzierung Tausender Medizin-Studienplätze. Der solcherart entstehende „Absaugeffekt“ führt dann zu Ärztemangel und Versorgungsproblemen in anderen europäischen Ländern wie insbesondere in Polen, Rumänien, aber auch in Österreich. Ähnliche Konstellationen wie zwischen Österreich und Deutschland bestehen auch zwischen Belgien und Frankreich.

Mindeststudienplätze in jedem EU-Land

Von Seiten der EU werden die EU-Grundfreiheiten wie freier Waren-, Personen- und Dienstleistungsverkehr samt der Freiheit, zu studieren, wo man möchte, zu Recht hochgehalten. Gleichzeitig stört des die EU bis dato aber nicht, dass einige Länder bewusst zu wenige Medizin-Studienplätze anbieten. Solcherart werden andere EU-Mitgliedstaaten ausgenützt, indem der Medizinernachwuchs zum Teil im Ausland und auf Kosten anderer Mitgliedstaaten ausgebildet wird. Die dann in diesen Ländern in weiterer Folge entstehenden Mangelsituationen wurden bis dato ausgeblendet.

Diese Kombination aus Grundfreiheiten und zu geringer Anzahl an Medizin-Studienplätzen in einigen EU-Mitgliedstaaten wie etwa Deutschland führt zu einer faktischen Schieflage. Das muss endlich beseitigt werden! Dies ist meines Erachtens nur auf europäischer Ebene möglich. Die Lösung schaut aus meiner Sicht so aus, dass

  1. eine EU-weit einheitliche Berechnungsformel für den Ärztebedarf in jedem EU Mitgliedstaat ausgearbeitet wird und
  2. dass sich jeder EU-Mitgliedstaat verpflichtet, zumindest im Ausmaß dieser Mindestzahl Medizin-Studienplätze anzubieten.

Deswegen der Appell an Europapolitiker und Gesundheitspolitiker: dafür zu sorgen, dass endlich eine konsistente Mindeststudienplatzvorgabe für jedes EU-Land kommt.

*) Doz. (FH) Dr. Lukas Stärker ist Kammeramtsdirektor der ÖÄK

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 / 25.06.2023