Schild­drüse: Mali­g­ni­täts­ri­siko einschätzen

10.02.2023 | Medizin

Bei Ver­laufs­kon­trol­len von Schild­drü­sen­kno­ten sollte man sich nicht nur auf regel­mä­ßige Kon­trol­len ver­las­sen; es sollte auch eine Risi­ko­ein­schät­zung durch Ultra­schall, Ana­mnese und Labor­werte erfol­gen. Immer­hin: Jeder zweite über 50-Jäh­rige hat Schilddrüsenknoten.

Mar­tin Schiller

Ein Schild­drü­sen­kno­ten ist in vie­len Fäl­len ein Zufalls­be­fund. „Ent­deckt wird der Kno­ten bei den meis­ten Pati­en­ten, weil aus einem ande­ren Grund eine Ultra­schall­un­ter­su­chung durch­ge­führt wurde“, sagt Univ. Prof. Michael Krebs von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Innere Medi­zin III der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien. Die drei wesent­li­chen Fra­gen sind:

1) Löst der Kno­ten eine Hyper­thy­reose aus?
2) Ist er bereits so groß, dass Atem­be­schwer­den oder Schluck­stö­run­gen bestehen?
3) Ist er bösartig?

Michael Krebs wei­ter: „Wenn ein Kno­ten bereits sicht­bar und tast­bar ist, sollte die Abklä­rung sehr rasch erfol­gen.“ Die Häu­fig­keit die­ser gro­ßen Kno­ten habe aber durch die Ver­bes­se­rung der Jod­ver­sor­gung deut­lich­ab­ge­nom­men, wie der Experte aus­führt: „Die Böden im Alpen­raum sind sehr jod­arm, wes­halb Öster­reich stets ein klas­si­sches Jod­man­gel­ge­biet war. Die­ses Pro­blem hat sich durch die Jodie­rung von Koch­salz ver­bes­sert.“ Krebs bedau­ert, dass es für die ver­gan­ge­nen Jahre keine guten Erhe­bun­gen gibt, ob die Jod­ver­sor­gung in Öster­reich wirk­lich aus­rei­chend ist und ob bei­spiels­weise die WHO-Ziel­werte für die Jod­aus­schei­dung im Urin erreicht wer­den. Er fände es daher wün­schens­wert, flä­chen­de­ckende Sta­tus­er­he­bun­gen durchzuführen.

Kri­te­rien für Feinnadelpunktion

Nach der Detek­tion eines Kno­tens im Rah­men der Ultra­schall­un­ter­su­chung ist eine wei­tere Abklä­rung not­wen­dig, wie Univ. Prof. Rein­hard Mit­ter­mair von der Abtei­lung für All­ge­mein- und Vis­ze­ral-Chir­ur­gie am Kli­ni­kum Kla­gen­furt erläu­tert. „Es wird dann mit­tels Szin­ti­gra­fie geklärt, ob ein kal­ter oder ein hei­ßer Kno­ten vor­liegt. Der kalte Kno­ten ist ent­we­der eine Zyste oder ein Tumor. Der heiße Kno­ten kann eine Schild­drü­sen­über­funk­tion oder Schild­drü­sen­au­to­no­mie erzeu­gen.“ Krebs hin­ge­gen meint: „Der Ultra­schall spielt bei der Beur­tei­lung, ob ein Kno­ten ver­däch­tig ist, die wich­ti­gere Rolle als die Szin­ti­gra­fie. Diese sollte vor allem bei nied­ri­gen TSH-Wer­ten zum Ein­satz kom­men, um einen hei­ßen Kno­ten ent­de­cken zu können.“

Wird ein kal­ter Kno­ten dia­gnos­ti­ziert, stellt die Fein­na­del­punk­tion laut den bei­den Exper­ten die beste Unter­su­chung dar, um suspekte Läsio­nen zu ermit­teln. „Dadurch lässt sich mit gro­ßer Wahr­schein­lich­keit sagen, ob der Kno­ten gut­ar­tig ist oder es sich um eine ver­däch­tige Läsion han­delt. In rund 95 Pro­zent der Fälle ist der Kno­ten gut­ar­tig und kein Ein­griff not­wen­dig“, sagt Krebs. Bei der Beur­tei­lung, ob eine Fein­na­del­punk­tion zum Aus­schluss eines Kar­zi­noms not­wen­dig ist, unter­stützt das stan­dar­di­sierte Ver­fah­ren TIRADS (Thy­reoid Ima­ging Report­ing and Data­base Sys­tem). Dabei wird aus Kri­te­rien wie Form des Kno­tens, Echo­ge­ni­tät, Begren­zung und Kal­zi­fi­zie­rung ein Score zwi­schen 1 und 5 ermit­telt, der das Mali­g­ni­täts­ri­siko beschreibt.

Bethesda-Skala zur Klassifizierung

Für die zyto­lo­gi­sche Klas­si­fi­zie­rung nach einer Fein­na­del­punk­tion steht die Bethesda-Skala zur Ver­fü­gung. Basie­rend auf dem Zell­bild han­delt es sich um ein sechs­gra­di­ges Sys­tem mit Emp­feh­lun­gen für die wei­tere Vor­ge­hens­weise. „Ab Stufe vier sollte eine Lobek­to­mie durch­ge­führt wer­den“, sagt Mit­ter­mair. Bei Stufe fünf und sechs sei das Mali­g­ni­täts­ri­siko sehr hoch, was eine Thy­reo­idek­to­mie erfor­der­lich mache. Bei Stufe drei auf der Skala sollte laut Mit­ter­mair nach sechs bis zwölf Mona­ten wie­der ein Ultra­schall durch­ge­führt wer­den, um mög­li­che Ver­än­de­run­gen oder Ver­grö­ße­run­gen des Kno­tens zu über­prü­fen. Krebs hin­ge­gen emp­fiehlt an die­ser Stelle eine neu­er­li­che Punk­tion. Mit­ter­mair betont aber auch: „Solange ein klei­ner Kno­ten unter ein Zen­ti­me­ter ohne suspekte radio­lo­gi­sche Zei­chen vor­liegt und auf der Bethesda-Skala nur Stufe drei besteht, besteht keine Indi­ka­tion zur Operation.“

Ver­laufs­kon­trolle mit­tels Ultraschall

Ist eine Ope­ra­tion der Schild­drüse nicht indi­ziert, wird ein­mal jähr­lich eine Ver­laufs­kon­trolle in Form einer Ultra­schall­un­ter­su­chung durch­ge­führt. Krebs gibt aller­dings zu beden­ken, dass eine sichere Unter­schei­dung zwi­schen gut­ar­ti­gen und bös­ar­ti­gen Kno­ten damit nicht mög­lich ist: „Bezüg­lich der Geschwin­dig­keit des Wachs­tums kön­nen gut­ar­tige und bös­ar­tige Kno­ten nicht von­ein­an­der unter­schie­den wer­den. Es ist daher manch­mal trü­ge­risch, sich aus­schließ­lich auf regel­mä­ßige Kon­trol­len zu ver­las­sen.“ Bes­ser sei es, eine Risi­ko­ein­schät­zung des Kno­tens durch Ultra­schall, Ana­mnese und Labor­werte durch­zu­füh­ren. Das Risiko für eine mög­li­che Ent­ar­tung besteht beson­ders dann, wenn in der Fami­lie bös­ar­tige Schild­drü­sen­kno­ten auf­ge­tre­ten sind oder eine Bestrah­lung im Hals­be­reich statt­ge­fun­den hat. „Das betrifft zum Bei­spiel ehe­ma­lige Pati­en­ten mit einem Hodgkin-Lym­phom, bei denen eine Strah­len­the­ra­pie durch­ge­führt wurde. Wenn dies in der Kind­heit oder Jugend gesche­hen ist, besteht ein deut­lich erhöh­tes Risiko für bös­ar­tige Ver­än­de­run­gen an der Schild­drüse.“ Falls in der Fami­lie meh­rere bös­ar­tige Schild­drü­sen­er­kran­kun­gen auf­ge­tre­ten sind – vor allem medul­läre Schild­drü­sen­kar­zi­nome –, rät Krebs zu einer gene­ti­schen Unter­su­chung. Eine Bestim­mung des Cal­ci­to­nin-Werts im Labor gebe außer­dem einen Hin­weis auf das Vor­lie­gen eines sel­ten vor­kom­men­den medul­lä­ren Schild­drü­sen­kar­zi­noms. „Es gibt sel­tene gene­ti­sche Erkran­kun­gen, die Schild­drü­sen­kar­zi­nome aus­lö­sen kön­nen wie die Mul­ti­ple endo­krine Neo­pla­sie Typ 2, wes­we­gen in die­sen Fäl­len eine gene­ti­sche Abklä­rung wich­tig ist“, erklärt Krebs.


Aus­sa­ge­kraft des Calciumspiegels

„Die Labor­dia­gnos­tik in Form der Bestim­mung von TSH, T3, T4, Para­thor­mon und Cal­cium dient im Rah­men einer Rou­ti­ne­un­ter­su­chung dazu, den Groß­teil der schwer­wie­gen­den Schild­drü­sen­er­kran­kun­gen wie Mor­bus Base­dow, Hash­i­moto-Thy­reo­idi­tis und Neben­schild­drü­sen­er­kran­kun­gen wie Hypop­a­ra­thy­reo­idis­mus zu erken­nen“, erklärt Mit­ter­mair. Sind T3 und T4 exor­bi­tant erhöht und das TSH extrem nied­rig, soll­ten die Betrof­fe­nen zu einem Fach­arzt für Nukle­ar­me­di­zin über­wie­sen wer­den, damit eine adäquate medi­ka­men­töse The­ra­pie ein­ge­lei­tet wer­den kann.

Wurde ein Kno­ten dia­gnos­ti­ziert, ist die Bestim­mung des Cal­ci­um­spie­gels des­we­gen sinn­voll, um zwi­schen Schild­drü­sen­a­de­nom und Neben­schild­drü­sen­a­de­nom dif­fe­ren­zie­ren zu kön­nen. „Diese Unter­schei­dung ist näm­lich mit­tels Ultra­schall allein nicht in allen Fäl­len mög­lich“, betont Mit­ter­mair. „Ist der Cal­ci­um­wert deut­lich erhöht und bestehen häu­fig Nie­ren­be­schwer­den, liegt mit Sicher­heit ein Neben­schild­drü­sen­a­de­nom vor.“


Wie erfolgt die medi­ka­men­töse The­ra­pie nach einem ope­ra­ti­ven Ein­griff? Mit­ter­mair: „Nach einer Thy­reo­idek­to­mie beginnt man mit einer Initi­al­do­sis von täg­lich 50 Mikro­gramm L‑Thyroxin und stellt nach einer Woche auf 100 Mikro­gramm um. Nicht in allen Fäl­len ist diese Dosis jedoch fixiert. Die rich­tige Ein­stel­lung kann post­ope­ra­tiv sechs Wochen bis drei Monate dau­ern. Es kann also durch­aus sein, dass ein Pati­ent zwi­schen 75 Mikro­gramm und 150 Mikro­gramm pen­delt.“ Daher sollte im Monats­rhyth­mus eine Über­prü­fung der Labor­werte statt­fin­den, bis eine Dosie­rung gefun­den ist, die dann lebens­lang ein­ge­nom­men wird. Außer­dem sei die Selbst­aus­kunft des Pati­en­ten wich­tig, wie Mit­ter­mair betont: „Wie ist der All­ge­mein­zu­stand? Besteht Müdig­keit? Schwitzt man häu­fig? Kommt es zu Tachy­kar­die? Ant­wor­ten auf diese Fra­gen hel­fen dabei, die rich­tige Dosie­rung zu fin­den.“ Im Fall einer Lobek­to­mie beginnt man mit einer täg­li­chen Dosis von 25 Mikro­gramm L‑Thyroxin und beob­ach­tet, ob der Pati­ent damit gut ein­ge­stellt ist. „Reicht diese Dosis nicht aus, wird auf 50 Mikro­gramm erhöht“, berich­tet Mittermair.

Schild­drü­sen­kno­ten tre­ten mit stei­gen­dem Alter ver­mehrt auf. Laut Krebs bestehen sie bei rund der Hälfte der 50-jäh­ri­gen Men­schen, sie sind aber in den meis­ten Fäl­len gut­ar­tig. Nach Ansicht von Mit­ter­mair sollte ein Ultra­schall der Schild­drüse ana­log zu ande­ren Vor­sor­ge­un­ter­su­chun­gen wie der Kolo­sko­pie rou­ti­ne­mä­ßig ab 50 durch­ge­führt wer­den: „Gibt es eine fami­liäre Vor­ge­schichte bezüg­lich eines Schild­drü­sen­kar­zi­noms oder einer auto­im­mu­nen Schild­drü­sen­er­kran­kung, kann diese Unter­su­chung aber durch­aus auch schon frü­her gemacht werden.“

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 3 /​10.02.2023