Pruritus: Je älter, umso eher

12.04.2023 | Medizin

Während bei Frauen neuropathische und somatoforme Erkrankungen Auslöser für einen Pruritus darstellen, dominieren bei Männern Dermatosen und systemische Erkrankungen. Zwar kann Pruritus in jedem Lebensalter erstmals auftreten. Jedoch sind über 60-Jährige und Patienten mit Komorbiditäten besonders betroffen.

Manuela-C. Warscher

Einer von fünf Patienten erhält im Lauf seines Lebens die Diagnose Pruritus. Dabei kann er zwar in jedem Lebensalter erstmalig auftreten, doch sind über 60-Jährige und Patienten mit Komorbiditäten besonders betroffen. Außerdem liegen geschlechterspezifische Ursachen zugrunde. So sind bei Frauen eher neuropathische und somatoforme Erkrankungen die Auslöser, während bei Männern Dermatosen und systemische Erkrankungen dominieren. Somit stelle der chronische Pruritus eine diagnostische und therapeutische Herausforderung dar, erklärt Univ. Prof. Paul-Gunther Sator von der Dermatologie der Klinik Hietzing in Wien. Und weiter: „Ein Pruritus, der länger als sechs Wochen anhält, gilt als chronisch.“

Individuelle Diagnostik

Der chronische Pruritus präsentiert sich im Gegensatz zum akuten als ein schwer behandelbares Symptom von verschiedenen Erkrankungen. Daher kommt der individuellen Diagnostik auch entscheidende Bedeutung zu. „Eine nochmalige Diagnostik abhängig vom Verlauf ist jedenfalls einmal pro Jahr empfohlen“, sagt Sator. Vor allem psychosomatische und psychische Faktoren und Komorbiditäten müssten hinlänglich berücksichtigt werden, „weil sie Auslösung, Ausprägung und Verlauf“ beeinflussen.

Chronischer Pruritus kann einerseits Erkrankungen wie etwa Morbus Hodgkin oder Polycythaemia vera Jahre vor dem eigentlichen Ausbruch ankündigen (prämonitorischer Pruritus). Andererseits könne er aber auch „unabhängig von der eigentlichen Ursache“ persistieren. In Folge kommt es durch das chronische Kratzen zur Ausprägung eines „Juck-Kratz-Zirkels“. Dabei handle es sich um Prurigo nodularis, erklärt Sator. Dieser häufigste Subtyp der chronischen Prurigo ist als eigenständige Erkrankung definiert und durch „zahlreiche, meist symmetrisch verteilte, derbe, hyperkeratotische, weiß-pinke bis livid-rote Knoten mit hyperpigmentierten Rändern“ gekennzeichnet. Kratzen führt zu Exkoriationen und blutigen Krusten.

Juck-Kratz-Zirkel durchbrechen

Um den Juck-Kratz-Zirkel zu durchbrechen, ist „ein eigenständiges Therapiekonzept“ basierend auf der symptomatisch-antipruritischen Therapie, der interdisziplinären Diagnostik und Therapie der auslösenden Erkrankung und Behandlung der sekundären Folgesymptome notwendig. „Der individuelle Therapieplan berücksichtigt Alter, bestehende Erkrankungen und Medikation sowie die Schwere der Symptomatik“, fasst Sator zusammen und verweist darauf, dass derzeit keine zugelassenen Therapien zur Verfügung stehen. „Mit den verfügbaren Therapiekonzepten ist lediglich eine begrenzte Kontrolle der Anzeichen und Symptome des Prurigo nodularis möglich.“ Mit dem Ansprechen der Therapie kann in der Regel erst nach drei Monaten gerechnet werden. Sistiert der Pruritus, wird das stufenweise Ausschleichen der Therapie empfohlen. „Wichtig ist, dass der Patient darüber informiert wird, dass die Therapie sehr lange dauern kann.“ Der Therapieplan umfasst eine Basistherapie mit Emollientien allein oder in Kombination mit spezifischen topischen oder systemischen Wirkstoffen und/oder einer UV-Phototherapie. „Für die kurzfristige Therapie einer steroidresponsiven Dermatose und von sekundären entzündlichen Kratzläsionen können topische Glukokortikosteroide eingesetzt werden“, sagt Sator. Neue Biologika, die Interleukine inhibieren, werden derzeit in klinischen Studien getestet. „So ist beispielsweise der monoklonale Antikörper gegen IL-4/13 bereits zugelassen. Weitere werden bald folgen.“

Sonderform hepatischer Juckreiz

Ausmaß und Häufigkeit des hepatischen Pruritus hängen von den Ursachen der zugrundeliegenden Erkrankung wie chronische Niereninsuffizienz, hepatobiliäre und hämatologische Erkrankungen ab. Bis zu 80 Prozent aller Patienten mit einer primär biliären Cholangitis (PBC) oder primär und sekundär sklerosierender Cholangitis (PSC/SSC) leiden neben der Grunderkrankung zumindest vorübergehend unter Pruritus; seltener tritt er bei extrahepatischer Cholestase wie einem Gallengangsverschluss durch einen Gallenstein auf. „Dabei ist die Beschwerdesymptomatik teilweise dermaßen stark ausgeprägt, dass sogar Suizidgedanken entstehen können“, erklärt Univ. Prof. Martin Wagner von der Klinischen Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie der Medizinischen Universität Graz. Außerdem unterliege der hepatische Juckreiz tageszeitlichen Schwankungen, trete verstärkt am Abend und in den frühen Nachtstunden auf. Ferner sind spezifische Prädilektionsstellen typisch: an der Schulter, an der Hand und auf den Fußsohlen.

Der hepatische Juckreiz kann sich zudem bei prämenstruellen Frauen, bei Hormonersatztherapien und im letzten Trimester der Schwangerschaft verschlimmern. Bei der intrahepatischen Schwangerschafts-Cholestase geht man davon aus, dass er neben hormonellen und Umwelteinflüssen auch genetisch mitbedingt ist, betont Wagner. „Hat die Mutter in der Schwangerschaft unter Pruritus gelitten oder bestand bereits in einer ersten Schwangerschaft eine Schwangerschafts-Cholestase, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass in einer neuerlichen Schwangerschaft wieder eine Schwangerschafts-Cholestase auftritt.“ Die Behandlung des cholestatischen Pruritus hat sich in den vergangenen Jahren weiterentwickelt. Demnach ist das erste Mittel der Wahl bei chronisch cholestatischen Lebererkankungen wie der PBC und PSC/SSC Bezafibrat. „Vor einer Verordnung muss in jedem Fall die Nierenfunktion geklärt werden“, betont der Experte. Rifampicin als Mittel der zweiten Wahl „hat potente biotransformierende und entgiftende Wirkung und kann, sollte die Standardtherapie mit Ursodeoxycholsäure nicht helfen, auch bei Schwangeren angewendet werden“.

Für den niedergelassenen Allgemeinmediziner empfiehlt Wagner neben rückfettenden Hautcremen zunächst einen Therapieversuch mit Cholestyramin und in Folge Sertralin, „das die Juckreizintensität verbessert“. Bei Ineffektivität sollte jedoch Hilfe in hepatologischen Ambulanzen oder bei hepatologischen Fachärzten geholt werden, um weiterführende Therapiealternativen anhand eines Stufenschemas zu evaluieren. Juckreiz sollte – so der Experte abschließend – nicht unterschätzt werden, denn „er kann bis zur Suizidalität führen und im äußersten Fall eine Lebertransplantation notwendig“ machen.


Auf einen Blick

1) Ursachen des chronischen Juckreizes sind bei Frauen neuropathische und somatoforme Erkrankungen; bei Männern Dermatosen und systemische Erkrankungen.
2) Bei der Diagnostik sind psychosomatische, psychische Faktoren und Komorbiditäten zu berücksichtigen, weil sie Auslöser sein können und den Verlauf beeinflussen.
3) Chronischer Pruritus kann schon im Vorfeld einer Erkrankung (u.a. Rezidive) oder als eigenständige Erkrankung – Prurigo nodularis – auftreten.
4) Die Therapie von Prurigo nodularis basiert auf antipruritischer Behandlung, der Therapie der auslösenden Erkrankung sowie der sekundären Folgesymptome.
5) Hepatischer Pruritus ist ein Sonderfall. Die Stufentherapie umfasst Bezafibrat, Rifampicin, Cholestyramin, Opiatantagonisten und Sertralin.


© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2023