Lyme-Bor­re­liose: Saug­zeit entscheidet

24.02.2023 | Medizin

In der nörd­li­chen Hemi­sphäre ist Lyme-Bor­re­liose die häu­figste durch Zecken über­tra­gene Erkran­kung. In Öster­reich sind jähr­lich bis zu 80.000 Men­schen davon betrof­fen. Jede fünfte Zecke ist mit Bor­re­lien infi­ziert. Ent­schei­den­der Fak­tor für eine Infek­tion ist die Saugzeit.

Mar­tin Schiller

Rund 20 Pro­zent der Zecken hier­zu­lande sind mit Bor­re­lien infi­ziert. Der Mani­fes­ta­ti­ons­in­dex nach einem Zecken­stich liegt zwi­schen zwei und vier Pro­zent“, sagt Univ. Doz. Robert Mül­leg­ger von der Abtei­lung für Der­ma­to­lo­gie und Vene­ro­lo­gie am Lan­des­kli­ni­kum Wie­ner Neu­stadt. Ein wesent­li­cher Fak­tor für die Ent­wick­lung einer Infek­tion ist die Saug­zeit, wie Univ. Prof. Ste­fan Wink­ler von der Kli­ni­schen Abtei­lung für Infek­tio­nen und Tro­pen­me­di­zin an der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien berich­tet: „Über 70 Pro­zent der Bor­re­lien wer­den von Zecken über­tra­gen, die mehr als 24 Stun­den gesaugt haben. Das zei­gen Stu­dien aus Öster­reich und Slo­we­nien sehr deutlich.“

In mehr als 80 Pro­zent der Fälle mani­fes­tiert sich die Lyme-Bor­re­liose zunächst kutan in Form des Ery­thema migrans. Zwi­schen dem Zecken­stich und dem Erst­auf­tre­ten des Ery­thems lie­gen typi­scher­weise drei bis 30 Tage. „Es han­delt sich um ein nicht erha­be­nes Ery­them, des­sen Rand rela­tiv gut abge­grenzt ist. Manch­mal bestehen auf­ge­hellte Stel­len inner­halb des Rin­ges. Der Durch­mes­ser beträgt min­des­tens fünf Zen­ti­me­ter. Die Ein­stich­stelle im Zen­trum ist meist gut sicht­bar“, beschreibt Wink­ler die typi­schen Merk­male. Bei rund 25 Pro­zent der Betrof­fe­nen kommt es zusätz­lich zu Sym­pto­men eines grip­pa­len Infekts wie Fie­ber, Gelenk­schmer­zen und Kopfschmerzen.

In man­chen Fäl­len über­sieht der Pati­ent das Ery­them – wenn es sich bei­spiels­weise am Gesäß oder am Rücken befin­det. „Das bedeu­tet jedoch nicht, dass das Ery­thema migrans zwin­gend in eine andere Organ-Mani­fes­ta­tion über­geht“, erklärt Mül­leg­ger. Das Immun­sys­tem könne Bor­re­lien sogar ziem­lich suf­fi­zi­ent spon­tan eli­mi­nie­ren. Ohne Behand­lung kommt es nach Aus­sage des Exper­ten in 20 bis 30 Pro­zent der Fälle zu einer ande­ren Organ-Mani­fes­ta­tion. In der Folge kann es zur Neu­rob­or­re­liose, Lyme-Kar­di­tis oder Lyme-Arthri­tis kom­men. Der Groß­teil der kuta­nen, neu­ro­lo­gi­schen und kar­dio­lo­gi­schen Mani­fes­ta­tio­nen kann mit Anti­bio­tika sehr gut behan­delt wer­den und ist rever­si­bel. Bei der Lyme-Arthri­tis kommt es in circa zehn Pro­zent der Fälle zu einer Chro­ni­fi­zie­rung. Eine irrever­si­ble Kar­dio­myo­pa­thie ist äußerst selten.

Mit­tel der ers­ten Wahl bei der Behand­lung der Bor­re­liose ist Doxy­cy­clin: zwei­mal täg­lich 100 mg oder ein­mal täg­lich 200 mg. Auch für Amoxi­cil­lin exis­tiert Ia Evi­denz mit einer emp­foh­le­nen Dosie­rung von drei­mal täg­lich 500 bis 1.000 mg. Alter­na­ti­ven sind Azi­thro­my­cin und Cefu­ro­xim. Mül­leg­ger weist auf die spe­zi­fi­schen Vor­teile von Doxy­cy­clin hin: „Doxy­cy­clin pas­siert die Blut-Hirn-Schranke bes­ser als andere Anti­bio­tika. Es kommt nicht sel­ten vor, dass es bereits im Rah­men einer Haut­ma­ni­fes­ta­tion zu einer Dis­se­mi­na­tion der Erre­ger in das Zen­tral­ner­ven­sys­tem kommt, ohne dass man es kli­nisch bemerkt. Hier erweist sich die Gabe eines Anti­bio­ti­kums, das die Blut-Hirn-Schranke gut pas­siert, als sehr güns­tig.“ Außer­dem wirke Doxy­cy­clin auch gegen andere Zecken-über­tra­gende Erre­ger wie Ana­plas­men, was bei Beta-Lac­tam-Anti­bio­tika nicht der Fall ist. Amoxi­cil­lin wie­derum sei eine gute Wahl, wenn ein Pati­ent wäh­rend der Ein­nahme ver­mehrt dem Son­nen­licht aus­ge­setzt ist: „Doxy­cy­clin führt zu einer gestei­ger­ten Emp­find­lich­keit gegen Son­nen­licht. Ist ein Pati­ent beruf­lich expo­niert oder steht ein Urlaub mit UV-Licht-Expo­si­tion bevor, ist Amoxi­cil­lin die bes­sere Wahl“, erläu­tert Müllegger.

Sowohl bei Doxy­cy­clin als auch bei Amoxi­cil­lin liegt die emp­foh­lene Ein­nah­me­dauer bei zehn bis 14 Tagen, wobei laut Wink­ler die Ten­denz zu einem kür­ze­ren Zeit­raum gehe: „In einer slo­we­ni­schen Publi­ka­tion aus dem Herbst 2022 zeigte sich für eine ein­wö­chige Ein­nahme von Doxy­cy­clin eine gleich­wer­tige Wir­kung wie bei Anwen­dung über einen Zeit­raum von 14 Tagen. Fest steht auch, dass man nicht län­ger als zwei Wochen behan­deln sollte.“

Keine Blut­un­ter­su­chung angezeigt

Bei einem Ery­thema migrans ist keine Blut­un­ter­su­chung ange­zeigt, beto­nen beide

Exper­ten. „Eine sero­lo­gi­sche Bestim­mung in die­sem Sta­dium würde in den meis­ten Fäl­len zu falsch nega­ti­ven Ergeb­nis­sen füh­ren, weil noch keine Sero­kon­ver­sion statt­ge­fun­den hat. Es dau­ert rund 14 Tage, bis man eine Anti­kör­per­ant­wort nach- wei­sen kann“, erklärt Mül­leg­ger. Auch bei einer nicht ein­deu­ti­gen kli­ni­schen Symp- toma­tik sei eine Blut­un­ter­su­chung bei Ery­the­men nicht sinn­voll. „Dabei kann es zu falsch-posi­ti­ven Ergeb­nis­sen kom­men, denn rund 20 Pro­zent der Bevöl­ke­rung sind durch frü­here Zecken­sti­che sero­po­si­tiv. Dar­aus ergibt sich aber kein Krank- heits­wert und die Ursa­che für das Ery­them wäre damit nicht geklärt“, so Mül­leg­ger. Wink­ler ergänzt: „Man muss den Betrof­fe­nen genau auf­klä­ren, wes­halb auf eine Blut­un­ter­su­chung ver­zich­tet wird. Damit ver­hin­dert man, dass ein Pati­ent irri­tiert ist, wenn die Kli­nik nicht mit sei­nem posi­ti­ven Blut­be­fund übereinstimmt.“

Bei ande­ren Organ­ma­ni­fes­ta­tio­nen ist eine Anti­kör­per­be­stim­mung ange­zeigt. Wink­ler erklärt die Vor­gangs­weise bei einer neu­ro­lo­gi­schen Mani­fes­ta­tion: „Nach Sta­tus­er­he­bung wird der Liquor auf Anti­kör­per gegen Bor­re­lien unter­sucht und diese mit den Anti­kör­pern im Blut ver­gli­chen.“ Dabei wird der dar­aus resul­tie­ren de Bor­re­lien-Anti­kör­per-IGG Index (BORGI) als Stan­dard-Dia­gnose her­an­ge­zo­gen. Dar­über hin­aus stehe mit dem Che­mo­kin CXCL13 aus dem Liquor ein wei­te­rer Mar­ker für eine akute Neu­rob­or­re­liose zur Ver­fü­gung. „Die­ser Mar­ker wird etwas frü­her posi­tiv als BORGI und fällt durch die ent­spre­chende Behand­lung schnel­ler wie­der ab“, berich­tet Winkler.

Die beste prä­ven­tive Maß­nahme ist die Unter­su­chung auf Zecken­sti­che nach einem

Auf­ent­halt im Freien. „Da viele Über­tra­gun­gen durch das Vor­sta­dium Nym­phe erfol­gen, die mit 1,5 Mil­li­me­ter Größe sehr klein und außer­dem durch­sich­tig sind, können

sie dem Auge leicht ent­ge­hen“, sagt Mül­leg­ger. Es sei daher not­wen­dig, den Kör­per sehr gründ­lich abzu­su­chen. Wink­ler ortet Auf­klä­rungs­be­darf in der Bevöl­ke­rung, was die Ent­fer­nung von Zecken anlangt: „Ob diese mit oder gegen den Uhr­zei­ger­sinn statt­fin­det, ist uner­heb­lich. Wich­ti­ger ist viel­mehr, die Zecke gut zu fas­sen. Man sollte mit der Pin­zette oder Zecken­zange etwas unter den Kopf der Zecke kom­men, um wirk­lich alles ent­fer­nen zu können.“

KASTEN

Anti­bio­tika-Pro­phy­laxe nach Zeckenstich?

In den USA wird nach Zecken­sti­chen fall­weise die ein­ma­lige Ein­nahme von 200 mg Doxy­cy­clin pro­phy­lak­tisch ver­ord­net. In Europa steht man die­ser Vor­gangs­weise aber ableh­nend gegen­über, wie Mül­leg­ger aus­führt: „Aktu­ell gibt es sechs Stu­dien dazu, wovon die größte aller­dings metho­disch unzu­läng­lich war. Aus den bis­he­ri­gen Stu­dien lässt sich zwar eine gewisse Evi­denz für die Wir­kung der pro­phy­lak­ti­schen Ein­nahme ablei­ten, diese ist aber nicht sehr hoch.“

In den vor­lie­gen­den Stu­dien wurde unter­sucht, ob nach dem Zecken­stich und der Ein­nahme von Doxy­cy­clin ein Ery­thema migrans ent­steht. Ergeb­nis: Es kam sel­te­ner zu einem Ery­them als in den Ver­gleichs­grup­pen. Mül­leg­ger schränkt jedoch ein: „Man hat nicht nach­ver­folgt, ob es zu einem spä­te­ren Zeit­punkt zu ande­ren Mani­fes­ta­tio­nen gekom­men ist.“ Außer­dem erzeuge auch eine ein­ma­lige Ein­nahme des Anti­bio­ti­kums bei eini­gen Pati­en­ten Neben­wir­kun­gen. Das gelte es auch vor dem Hin­ter­grund zu beden­ken, dass man­che Men­schen meh­rere Zecken­sti­che pro Jahr erlei­den. Wei­ters stelle sich die Frage der Prak­ti­ka­bi­li­tät bei der Ver­schrei­bung, da ein­zelne Tablet­ten nicht ver­füg­bar sind. Sinn ergebe die Ein­nahme auch nur in Gebie­ten, in denen die Lyme-Bor­re­liose ende­misch ist und dann wie­derum sei die Anhaf­tungs­zeit zu berück­sich­ti­gen. „Doch wer weiß wirk­lich, wann der Stich erfolgt ist“, stellt Mül­leg­ger zur Diskussion.

Um rou­ti­ne­mä­ßig eine Anti­bio­tika-Pro­phy­laxe nach einem Zecken­stich durch­zu­füh­ren, „bräuchte es dazu noch eine grö­ßere Stu­die“, schränkt Mül­leg­ger ein. Ebenso werde auch die pro­phy­lak­ti­sche Anwen­dung von anti­bio­ti­schen Sal­ben der­zeit nicht empfohlen.

KASTEN ENDE

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 3 /​10.02.2023