Interview Peter Fickert: Jahrestagung der ÖGGH – „Hepatologie wird endoskopischer“

26.05.2023 | Medizin

Gezielte Leberbiopsien und Abszessdrainagen im Rahmen von endoskopischen Ultraschalluntersuchungen gewinnen zunehmend an Bedeutung, erklärt Univ. Prof. Peter Fickert von der Klinischen Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie der Medizinischen Universität Graz und Kongresspräsident der Jahrestagung der ÖGGH Mitte Juni in Graz. Das Gespräch führte Martin Schiller.

Welche Neuigkeiten aus der Hepatologie werden bei der Jahrestagung präsentiert? Demnächst erscheint der Billroth-IV-Report, die aktualisierte Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des portalen Hypertonus und dessen Komplikationen bei fortgeschrittenen Leber-erkrankungen. Sie ist unter Federführung einer Arbeitsgruppe aus dem Wiener AKH entstanden und betont die Bedeutung der Risikostratifizierung und Dekompensationsprävention bei fortgeschrittenen Lebererkrankungen. Ein wesentlicher Punkt darin ist der zunehmende Stellenwert von nicht-invasiven Testverfahren zur Früherkennung von Risikopatienten. Ohne diese nicht-invasiven Testverfahren wie Leberelastographie, FIB-4-Index und vielleicht auch von-Willebrand-Faktor ist eine moderne Hepatologie nicht mehr denkbar.

Gibt es neue Entwicklungen in der interventionellen Hepatologie? Es stehen neue und erweiterte diagnostische sowie therapeutische Methoden in der interventionellen Hepatologie zur Verfügung. Das Spektrum an Ultraschallverfahren wird laufend erweitert, immer öfter erfolgt eine endoskopische Steuerung von Interventionen vom Magen oder Duodenum aus, also die endoskopische Ultraschalluntersuchung. Diese endoskopischen Ultraschalluntersuchungen bei gezielten Leberbiopsien, Gallengangsdrainagen und Abszessdrainagen gewinnen zunehmend an Bedeutung. Die Hepatologie wird also endoskopischer und invasiver. Das ist spannend, innovativ und freut mich.

Welche Fortschritte bestehen in der Behandlung des hepatozellulären Karzinoms? Das zunehmende Therapiespektrum für das hepatozelluläre Karzinom ist derzeit das Highlight in der Hepatologie. Neben den bisherigen interventionellen Verfahren gibt es nun mehrere potente medikamentöse Kombinationstherapien, die im Rahmen der Jahrestagung in Form eines Updates zu den Barcelona Clinic Liver Cancer Staging System-Kriterien beleuchtet werden. Wir erleben einen Paradigmen-wechsel beim hepatozellulären Karzinom und wahrscheinlich auch beim cholangiozellullären Karzinom. Diese positive Entwicklung verläuft vor dem Hintergrund, dass das hepatozelluläre Karzinom in Mitteleuropa leider immer häufiger auftritt, bedingt vermutlich durch die Zunahme an Fettlebererkrankungen und alkoholbedingten Lebererkrankungen.

Seit dem Vorjahr gibt es eine nationale Empfehlung für ein organisiertes Darmkrebs-Screening-Programm. Was erwarten Sie sich davon? Diese Empfehlung des Screening-Komitees für Krebserkrankungen, einem Beratungsgremium des Gesundheitsministeriums, ist ein absoluter Fortschritt. Sie sieht ein organisiertes Darmkrebs-Screening mittels Koloskopie oder FIT-Stuhlbluttest ab dem Alter von 45 Jahren vor. Mit einer flächendeckenden Umsetzung dieser Empfehlung wird es möglich sein, Darmkrebs häufiger und früher zu diagnostizieren. Dabei stellt sich dann aber auch die Frage, wer wo und wann alle FIT-positiven Patienten koloskopieren kann. Damit muss man sich lösungsorientiert auseinandersetzen. Wir diskutieren im Rahmen der Tagung State of the Art das neue Screeningprogramm anhand von Fallbeispielen.

Ein Programmpunkt der Veranstaltung ist auch das Thema Dysphagie. Welche Inhalte erwarten die Teilnehmer? Wenn immer wieder Speisereste im Ösophagus steckenbleiben oder bei Schluckbeschwerden und gleichzeitig bestehenden allergischen Erkrankungen muss an eine eosinophile Ösophagitis gedacht werden. Diese Erkrankung wird heute häufiger diagnostiziert als noch vor einigen Jahren. Die Inzidenz dürfte insgesamt gestiegen sein. Erkrankungen wie allergisches Asthma bronchiale oder Neurodermitis sind häufig damit assoziiert, aber die Awareness, dass es dabei zu Dysphagien kommen kann, muss noch gesteigert werden. Dazu soll die Tagung einen Beitrag leisten. Im Idealfall fragt man zum Beispiel bei einem Patienten mit allergischem Asthma nach, ob es immer wieder Probleme beim Schlucken gibt oder ob der Betreffende trinken muss, um die Nahrung besser schlucken zu können. Weiters sollte man immer daran denken, bei solchen Beschwerden eine makroskopisch unauffällig erscheinende Speiseröhre zu biopsieren, um die eosinophile Ösophagitis zu diagnostizieren.

Ein thematischer Schwerpunkt bei der Tagung ist Untergewicht. Gibt es hier bestimmte Aspekte, die eine noch größere Aufmerksamkeit erfordern? Wir haben eine beträchtliche Zahl an Patienten, die denken, immer weniger Nahrungsmittel zu sich nehmen zu dürfen, obwohl der Nachweis für eine Unverträglichkeit fehlt. Sie gehen beispielsweise davon aus, Gluten und Zucker schlecht zu vertragen oder Fleisch nicht gut zu verdauen. Daraus ergeben sich oftmals sehr rigide Diäten und große Einschränkungen bei der Zusammenstellung der täglichen Nahrung. Diese selbstverordneten Restriktionen können zu Mangelernährung und Mangel erscheinungen führen. Solche orthorektischen Krankheitsbilder haben sowohl gesellschaftspolitisch als auch gesundheitsökonomisch Relevanz, weil sie oftmals Koloskopien und Gastroskopien bedingen. Die frühzeitige Erkennung und Zuordnung dieser Essstörungen ist eine Naht- und Schnittstellenproblematik und erfordert auch verstärkte Aufmerksamkeit in der Gastroenterologie und Hepatologie.

Beim Thema Übergewicht gab es zuletzt Innovationen. Wie beurteilen Sie diese? Neben den bei Adipositas gut etablierten diätetischen und chirurgischen Methoden gelangen nun auch neue und attraktive medikamentöse Optionen auf den Markt wie etwa die GLP-1-Rezeptor-Agonisten. Diese sind zweifelsohne hochwirksame Medikamente zur Gewichtsabnahme. Aber sowohl zu Langzeiteffekten als auch zu Off-Target-Effekten ist uns derzeit noch wenig bekannt. Daher ist eine Standortbestimmung notwendig und derzeit noch sorgfältige Überlegungen, wie man hier weiter vorgeht.


Details zum Kongress

  1. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie (ÖGGH
    14. bis 17. Juni 2023
    Congress Graz
    Details und Anmeldung: www.oeggh.at

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 25.05.2023