Arz­nei­mit­telex­an­theme: Warn­zei­chen erkennen

24.03.2023 | Medizin

Zu Reak­tio­nen vom Spät­typ kommt es gehäuft nach der Injek­tion von nie­der­mo­le­ku­la­ren Hepa­ri­nen und auch nach bestimm­ten Rönt­gen-Kon­trast­mit­teln. Aber auch NSAR füh­ren häu­fig zu Exan­the­men. Schwel­lun­gen im Kopf-Hals-Bereich nach der Ein­nahme von ACE-Hem­mern sind durch Bra­dy­ki­nin bedingt. 

Mar­tin Schiller

Einem 50-jäh­ri­gen Pati­en­ten sollte ein Peni­cil­lin ver­schrie­ben wer­den, jedoch fin­det sich im All­er­gie­aus­weis ein Hin­weis auf eine ent­spre­chende All­er­gie. In vie­len Fäl­len ist die Vor­ge­schichte ein Aus­schlag in der Kind­heit und das Prä­pa­rat, das der Aus­lö­ser gewe­sen sein könnte, nicht bekannt. „Dass man in sol­chen Fäl­len tat­säch­lich von einer All­er­gie aus­ge­hen muss und der sei­ner­zei­tige Aus­schlag ein Arz­nei­mit­telex­an­them war, ist häu­fig zu hin­ter­fra­gen“, sagt Univ. Prof. Wolf­ram Höt­zenecker von der Kli­nik für Der­ma­to­lo­gie und Vene­ro­lo­gie am Kep­ler Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Linz. Er rät zu einer all­er­go­lo­gi­schen Abklä­rung, denn laut Lite­ra­tur lasse sich die All­er­gie nur in 20 Pro­zent der Fälle tat­säch­lich nach­wei­sen. „Zu 80 Pro­zent kann man Pati­en­ten jedoch von einer Peni­cil­lin­all­er­gie frei­spre­chen. Der Aus­schlag, der aus Kind­heits­ta­gen beschrie­ben wird, war in sol­chen Fäl­len dann ein viral gepräg­tes Exan­them und stammte nicht vom Peni­cil­lin. Es lag nur ein zeit­li­cher Zusam­men­fall vor.“ Univ. Prof. Wer­ner Abe­rer von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Der­ma­to­lo­gie und Vene­ro­lo­gie in Graz ergänzt: „Wenn ein Kind einen Infekt hat, geht die­ser häu­fig mit einem Exan­them ein­her. Die­ses kann makulo-papu­lös, mor­bi­li­form, urti­ka­ri­ell, scar­la­ti­ni­form, mul­ti­forme-artig aus­se­hen. Eine Viel­falt ist mög­lich. Wird Peni­cil­lin ver­ab­reicht wegen des Ver­dachts auf Schar­lach und es tritt nach drei bis vier Tagen ein Exan­them auf, ver­mu­tet man schnell eine Peni­cil­lin-All­er­gie. Bei der genauen Abklä­rung stellt man aber häu­fig fest, dass das Exan­them nicht auf­grund des Medi­ka­ments, son­dern im Rah­men des Infekts ent­wi­ckelt wurde.“ Er mahnt auch zur Zurück­hal­tung bei der Inter­pre­ta­tion von IgE-Anti­kör­pern gegen Peni­cil­lin auf dem Blut­be­fund. „Das kann der Beweis für eine Peni­cil­lin-Sofort­typ-All­er­gie sein. Der Befund kann aber auch falsch-posi­tiv, also irrele­vant sein.“ Die Dia­gnose All­er­gie dürfe also kei­nes­wegs zu schnell erfolgen.

Das Prin­zip von Abe­rer, um sol­che Erzäh­lun­gen von ver­meint­li­chen Peni­cil­lin-All­er­gien aus der Kind­heit zu veri­fi­zie­ren, lau­tet: „Ana­mnese, Ana­mnese, Ana­mnese. Gut doku­men­tie­ren, was der Pati­ent angibt, den zeit­li­chen Zusam­men­hang erfra­gen und auch nach­fra­gen, ob es ein leich­ter Zwi­schen­fall oder doch eine gefähr­li­che Reak­tion war.“ Beson­ders bei leich­ten Zwi­schen­fäl­len in der Ver­gan­gen­heit könne man ein Medi­ka­ment im eng­ma­schi­gen ärzt­li­chen Set­ting durch­aus wie­der ver­su­chen. „Das ist natür­lich eine Grat­wan­de­rung“, räumt der Experte ein, „aber harm­lose Zustands­bil­der kann man mit Kor­ti­kos­te­ro­iden und Anti­hist­ami­nika auch gut kontrollieren.“

Das klas­si­sche Arz­nei­mit­telex­an­them ist laut Höt­zenecker eher eine Spät­ty­pre­ak­tion, die T‑Zell-ver­mit­telt ist. Spricht man von einer All­er­gie, ist meist die Reak­tion vom Sofort­typ gemeint, bei der die Urti­ka­ria im Vor­der­grund steht. „Diese Reak­tio­nen auf Arz­nei­mit­tel­ge­brauch tre­ten aber meist inner­halb von Minu­ten auf. Eine Abgren­zung ist somit schon auf­grund der Zeit­spanne mög­lich.“ Abe­rer fügt hinzu: „Es kann auch sein, dass ein Pati­ent im Rah­men der Ein­nahme sen­si­bi­li­siert wird, und erst in der Folge ein Exan­them auf tritt. Der zeit­li­che Zusam­men­hang kann also ein sehr fle­xi­bler sein.“

Hepa­rine und NSAR als Auslöser
Zu einem Peni­cil­lin-beding­ten Exan­them kommt es typi­scher­weise zwi­schen dem ach­ten und zwölf­ten Tag nach Beginn der Ein­nahme. Höt­zenecker nennt aber noch wei­tere klas­si­sche Aus­lö­ser eines Arz­nei­mit­telex­an­thems: „Rela­tiv häu­fig sind Spät­typ-Reak­tio­nen auf nie­der­mo­le­ku­lare Hepa­rine. Meist kommt es dabei zu roten Fle­cken im Bereich der Ein­stich­stelle. Auch auf bestimmte Rönt­gen­kon­trast­mit­tel reagie­ren viele Pati­en­ten ein bis zwei Tage nach der Unter­su­chung mit einem Aus­schlag. Es han­delt sich dabei nicht um eine Jod­all­er­gie, son­dern um eine Reak­tion auf das Kon­trast­mit­tel per se, das Hist­amin-libe­rie­rend wirkt.“ Mit einer ent­spre­chen­den Prä­me­di­ka­tion könn­ten sol­che Reak­tio­nen im Vor­feld aber gut abge­fan­gen werden.

Abe­rer macht auf eine wei­tere Arz­nei­mit­tel­gruppe auf­merk­sam, die Exan­theme aus­lö­sen kann: nicht-ste­ro­idale Anti­rheu­ma­tika (NSAR). „Gerade Ent­zün­dungs­hem­mer und Schmerz­mit­tel wie Aspi­rin und Ibu­profen füh­ren häu­fig zu Exan­the­men.“ Gar nicht so sel­ten komme es durch die Ein­nahme von ACE-Hem­mern zu Schwel­lun­gen im Kopf-Hals-Bereich. Abe­rer dazu: „Das Gewebs­hor­mon Bra­dy­ki­nin wird in sol­chen Fäl­len schlecht abge­baut. Die Schwel­lung beruht also auf einem nicht-immu­no­lo­gi­schen Mecha­nis­mus. Wir haben aber keine Test­me­thode, mit der man die Unver­träg­lich­keit bewei­sen kann. Die Umstel­lung auf Alter­na­ti­ven ist ratsam.“

Zu 98 Pro­zent gutartig
„98 Pro­zent der Arz­nei­mit­telex­an­theme ver­lau­fen glück­li­cher­weise gut­ar­tig und zwei Pro­zent neh­men einen schwe­ren Ver­lauf, der mit­un­ter lebens­be­droh­lich sein kann“, berich­tet Höt­zenecker. Genau diese Fälle müsse man recht­zei­tig erken­nen. „Kli­ni­sche Warn­zei­chen sind Bla­sen­bil­dung auf der Haut, das Vor­lie­gen von Haut­ero­sio­nen, die Mit­be­tei­li­gung der Schleim­häute – wenn bei­spiels­weise die Mund­schleim­haut ero­siv impo­niert –, Pro­bleme beim Essen und beim Schlu­cken, die Mit­be­tei­li­gung der Kon­junk­ti­ven sowie die Schmerz­emp­find­lich­keit der Haut bei Berüh­rung.“ In der Labor­dia­gnos­tik kommt als Warn­zei­chen eine hohe Anzahl von eosi­no­phi­len Gra­nu­lo­zy­ten hinzu.Welche Mög­lich­kei­ten für die wei­tere Vor­ge­hens­weise gibt es, sofern keine kli­ni­schen Warn­zei­chen bestehen? Höt­zenecker: „Man kann das aus­lö­sende Medi­ka­ment sofort abset­zen. Oder man ver­sucht bei stren­ger Indi­ka­tion, durch­zu­the­ra­pie­ren, wenn zum Bei­spiel bei einer Pneu­mo­nie spe­zi­fisch die­ses eine Anti­bio­ti­kum benö­tigt wird. Häu­fig tritt bei Wei­ter­be­hand­lung mit dem Medi­ka­ment auch nach drei oder vier Tagen eine Bes­se­rung des Exan­thems ein, weil eine Tole­ranz­in­duk­tion ein­setzt.“ Um die Abhei­lung zu beschleu­ni­gen, könne man auch topisch Kor­ti­kos­te­ro­ide ein­set­zen. „Zielt man auf eine noch schnel­lere Abhei­lung des Exan­thems ab, kön­nen sie auch sys­te­misch ver­ab­reicht wer­den“, sagt Höt­zenecker. Er ver­weist außer­dem auf orale Anti­hist­ami­nika, um all­fäl­li­gen Juck­reiz zu lindern.

Risi­ko­grup­pen beachten
Men­schen mit HIV sowie jene mit Erkran­kun­gen des Mast­zell­sys­tems reagie­ren laut Höt­zenecker stär­ker auf Arz­nei­mit­tel – auch im Bereich der Haut. Einen Unter­schied zwi­schen den Alters­grup­pen ganz gene­rell gebe es hin­ge­gen nicht. „Ältere Men­schen nei­gen zwar zu Reak­tio­nen vom Spät-Typ. Das liegt aber nur daran, dass sie oft meh­rere Medi­ka­mente ein­neh­men und die Poly­phar­ma­zie ein Risi­ko­fak­tor für Haut­aus­schläge ist.“

Abe­rer macht auf mög­li­che Wech­sel­wir­kun­gen von Medi­ka­men­ten auf­merk­sam, rät aber dazu, Anga­ben aus Inter­ak­ti­ons­da­ten­ban­ken nicht als abso­lut zu sehen. „Diese Daten­ban­ken haben einen hohen Wert. Sie sind jedoch auch sehr eng gefasst. Dem­entspre­chend hätte fast jeder ältere Pati­ent mit Poly­prag­ma­sie Neben- oder Wech­sel­wir­kun­gen.“ Für Ärzte sei es wich­tig, die mög­li­chen Inter­ak­tio­nen zu ken­nen. Abe­rer wei­ter: „Die Daten­bank soll zum Nach­den­ken anre­gen. Aber nicht alles davon ist in der täg­li­chen Pra­xis relevant.“

Arz­nei­mit­telex­an­theme stell­ten auch ein Pro­blem für die Com­pli­ance dar, wie Höt­zenecker berich­tet. „Stu­dien zei­gen, dass Rötun­gen, Juck­reiz und auch ein all­er­gi­scher Aus­schlag der Haut nach Anti­bio­tika-Ein­nahme häu­fig dazu füh­ren, dass Pati­en­ten die Medi­ka­tion eigen­mäch­tig abset­zen.“ Mit Auf­klä­rung über mög­li­che Haut­re­ak­tio­nen könne im Vor­feld ein „gewis­ser Bei­trag“ (Höt­zenecker) zur För­de­rung der Com­pli­ance geleis­tet wer­den. Den­noch: „Das Thema The­ra­pie­treue bleibt aber in sol­chen Fäl­len trotz­dem schwie­rig“, räumt der Experte ein.

Zwei Drit­tel der Pati­en­ten geben eine All­er­gie gegen ein Medi­ka­ment an, berich­tet Höt­zenecker. Bei genaue­rer Betrach­tung sei der Unter­schied zwi­schen Selbst­an­gabe und einer tat­säch­lich vor­lie­gen­den Mul­ti­ple-drug-hyper­sen­si­vity aber groß. „Nach der Abklä­rung blei­ben nur noch ein bis drei Pro­zent übrig, die Medi­ka­mente aus meh­re­ren Grup­pen nicht ver­tra­gen.“ Meist wür­den die Betrof­fe­nen Neben­wir­kun­gen als All­er­gie inter­pre­tie­ren. Der Mecha­nis­mus sei trotz Über­schnei­dun­gen bei Beschwer­den jedoch ein ande­rer. „Auch die Wahr­schein­lich­keit für eine Kreuz­re­ak­tion, die man bei All­er­gien hat, besteht bei Unver­träg­lich­kei­ten nicht.“


© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 6 /​25.03.2023