Präventionsmedizin: Ungenutztes Potential

10.09.2023 | Aktuelles aus der ÖÄK

Nach wie vor fristet die Präventionsmedizin ein Schattendasein. Von Investitionen in die Gesundheitsvorsorge profitieren aber alle. Experten fordern daher rasch einen nationalen Schulterschluss.

Sophie Niedenzu

Durch eine gesunde Lebensweise und die Vorsorgeuntersuchen könnten 30 bis 50 Prozent aller Krebserkrankungen vermieden werden. Das betonte Paul Sevelda, Gynäkologe und Präsident der Österreichischen Krebshilfe, im Rahmen einer Pressekonferenz der Österreichischen Ärztekammer. Leider sei beispielsweise die Teilnahmerate von etwa 50 Prozent bei Mammographien viel zu niedrig, um eine deutliche Senkung der Mortalität zu erreichen: „Deshalb ist es sehr zu begrüßen, dass im verbesserten Brustkrebsfrüherkennungsprogramm alle zwei Jahre ein Beratungsgespräch über die Bedeutung der Brustkrebsfrüherkennung auch von den Kassen den Ärzten refundiert wird“, sagte Sevelda. Bewegung orte er auch bei der Früherkennung und Vorsorge von Dickdarmkrebs. Ein entsprechendes Früherkennungsprogramm sei in den evidenzbasierten Durchführungsempfehlungen vom nationalen Screening Komitee bereits abgeschlossen und sehe ab dem 45. Lebensjahr entweder alle zwei Jahre eine Blutstuhluntersuchung durch den FIT-Test vor oder die Koloskopie alle 10 Jahre bei unauffälligem Befund: „Der politische Wille ist vorhanden, auch dieses organisierte Früherkennungsprogramm umzusetzen, die Detailverhandlungen mit den Kassen und der Ärztekammer sollten absehbar beginnen“, so Sevelda.

Prävention lohnt sich

Gesundheitsorganisationen wie die WHO und internationale Gesundheitsexperten fordern schon lange die Verstärkung der Prävention, betonte auch Ernährungsmediziner Kurt Widhalm, Präsident des Österreichischen Akademischen Institutes für Ernährungsmedizin: „Laut neuesten epidemiologischen Studien kann ein gesunder Lebensstil bis zu 20 gesunde Jahre „schenken“ “, sagt er. In den OECD-Mitgliedsländern würden bereits etwa acht Prozent des Gesundheitsbudgets für die Behandlung von ernährungsabhängigen Erkrankungen aufgewendet werden: „Dem gegenüber steht die Kostenberechnung, dass ein Euro, der in die Prävention investiert wird, sich mit einem „return“ von sechs Euro rentiert“, so Widhalm. Ein erfolgreiches Präventionsprogramm sei „EDDY“, das vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung gefördert werde. Sieben- bis neunjährige Kinder in einer Wiener Volksschule erhalten – im Vergleich zu zwei anderen Volksschulen ohne Intervention – 20 Stunden Ernährungsschulung und Sporttraining durch Profis des Instituts für Sportmedizin der Universität Wien: „Die Kinder der Interventionsschule weisen nach einem Jahr bereits eine geringere Häufigkeit von Übergewicht und eine bessere körperliche Performance auf“, sagte Widhalm.

Vorsorge an erster Stelle

Für Harald Schlögel, geschäftsführender ÖÄK-Vizepräsident, ist unverständlich, warum die Kasse beispielsweise keine Medikamente zur Behandlung von Adipositas bezahle, dafür aber ab einem gewissen BMI einen operativen Eingriff: „In dieser Logik müsste der Arzt also seinem adipösen Patienten raten, noch ordentlich zuzunehmen, damit er zu einer – wohlgemerkt maximalinvasiven – Behandlung seiner Krankheit kommt“, kritisierte er. Und das sei nur eines von vielen Beispielen. Schlögel verwies auf die aktuelle Resolution der ÖÄK, in der die Vorsorge an erster Stelle steht. Die HPV-Impfung und die kostenlose Influenza-Impfung seien positive Beispiele, aber das kostenfreie Impfprogramm müsse um alle im nationalen Impfplan empfohlenen Impfungen erweitert werden. Investitionen in die Prävention würden sich lohnen, und zwar „in Form von Lebensqualität, von mehr gesunden Lebensjahren und nicht zuletzt in Form von einer deutlichen Entlastung unseres Gesundheitssystems“, betonte Schlögel.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2023