Präventionsmedizin: Die Werte zählen

09.03.2023 | Aktuelles aus der ÖÄK

Parameter wie die Blutfettwerte geben Einblick in den allgemeinen Gesundheitszustand. Wer regelmäßig zu den Vorsorgeuntersuchungen geht, hilft bei der Früherkennung und kann sich vor vielen Zivilisationskrankheiten schützen.

Sophie Niedenzu

Hohe Blutfettwerte sind Vorboten für gesundheitliche Probleme, die eines Tages in Erscheinung treten: „Lassen Sie Ihre Blutwerte kontrollieren, besser heute als morgen“, plädierte daher Edgar Wutscher, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte im Rahmen einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der Sozialversicherung der Selbstständigen. Prävention statt Reparatur – unter diesem Motto verrechnet die SVS für die Versicherten, die ihre Vorsorgeuntersuchungen machen, einen Bonus über 100 Euro. Dieser muss nicht explizit beantragt oder eingefordert werden, sondern wird nach dem „No-stop-Prinzip“ automatisch überwiesen. 75.000 Vorsorge-Hunderter wurden bereits ausgezahlt. SVS-Generaldirektor Hans Aubauer sprach von einem „ganz besonders niederschwelligen Angebot“. Wutscher, der als Allgemeinmediziner in der Ordination den Fokus sehr stark auf Vorsorgeuntersuchungen setzt, betonte, wie wichtig es als Arzt sei, aktiv auf die Patienten zuzugehen und an die regelmäßige Vorsorge zu erinnern. Patienten würden oft davor zurückschrecken aus Angst, man könne eine Krankheit finden: „Das ist aber der falsche Ansatz, denn der Fokus liegt darauf, unseren Patienten mehr gesunde Lebensjahre zu ermöglichen und Parameter zu beobachten, die auch ohne die klassische Medizin positiv beeinflussbar sind“, erklärte er. Werden zu hohe Blutfettwerte rechtzeitig erkannt, bewirken bereits moderate Lebensstil-

Veränderungen deutliche Verbesserungen. Patienten, die sich trotz anfänglicher Unsicherheit dann zur Vorsorge angemeldet hätten, seien davon überzeugt: „Oft ist es dann so, dass die gesamte Familie zu mir kommt, weil sie aufgrund der positiven Erfahrungen in der Familie die Vorsorgeuntersuchung machen möchte“, erzählte Wutscher. Dennoch nimmt nur ein Bruchteil der Bevölkerung das Angebot der kostenlosen Vorsorgeuntersuchung in Anspruch – die meisten davon ab 50 Jahren. Frauen gehen mit 54,3 Prozent häufiger zur allgemeinen Vorsorgeuntersuchung als Männer mit 45,7 Prozent. Erste Ansprechperson bei der allgemeinen Vorsorge ist der Allgemeinmediziner. Das zeige, so Wutscher, einmal mehr, wie wichtig eine wohnortnahe Versorgung ist: „Der Vertrauensarzt kann bei Hinweisen auf gesundheitliche Beschwerden in der Frühphase rasch handeln“, sagt er. Umso wichtiger sei es, die offenen Kassenstellen in der Allgemeinmedizin nachzubesetzen: „Der Allgemeinmediziner ist der erste Ansprechpartner für die allgemeine Vorsorgeuntersuchung und leitet den Patienten durch das Gesundheitssystem“, betonte Wutscher. Eine flächendeckende Primärversorgung ist dabei Voraussetzung für eine weiter verbesserte Gesundheitsvorsorge. Wutscher verweist in diesem Zusammenhang auf eine aktuelle Petition der Österreichischen Ärztekammer (https://www.aerztekammer.at/petition) zur ärztlichen Versorgung, besonders im ländlichen Bereich. „Wenn wir als Allgemeinmediziner unsere Patienten aufgrund des Vorsorgeprogramms regelmäßig sehen, eine Übersicht über ihre Vitalwerte und gesundheitlichen Probleme bekommen, dann können wir auch zeitgerecht gegensteuern“, betonte der Allgemeinmediziner.

Vorsorge zahlt sich aus

Neben der allgemeinen Vorsorgeuntersuchung besteht die Prävention in Österreich auch aus der kostenfreien gynäkologischen Vorsorgeuntersuchung. Diese ist insbesondere für die Krebsvorsorge wichtig, und zwar in Kombination mit der HPV-Impfung, die seit neuestem bis zum 21. Lebensjahr in Österreich kostenfrei zur Verfügung steht: „Die Erweiterung des kostenfreien HPV-Impfprogramms ist ein wichtiger Meilenstein in der Präventionsmedizin“, sagt Wutscher. Immerhin infizieren sich 80 Prozent aller Männer und Frauen zumindest einmal im Jahr mit Humanen Papillomaviren, die für einen Großteil der Krebserkrankungen von Frauen und Männern im mittleren Rachenraum und an den Geschlechtsorganen verantwortlich sind: „Die Kombination aus der HPV-Impfung, die nicht nur erfolgreich vor Gebärmutterhalskrebs schützt, und der regelmäßigen gynäkologischen Vorsorgeuntersuchung reduziert erwiesenermaßen das Risiko für ein Zervixkarzinom bzw. hilft, Krebsvorstufen rechtzeitig zu erkennen“, sagt Wutscher. Ähnlich wie beim Zervixkarzinom können durch die Darmkrebsvorsorge Krebsvorstufen diagnostiziert werden. Von 1.000 Menschen zwischen 53 und 77 Jahren, die ohne Beschwerden ihren Darm untersuchen lassen, erhalten 11 bis 12 innerhalb der nächsten 20 Jahre die Diagnose Darmkrebs, etwa zwei dieser 1.000 Personen sterben daran. Von 1.000 Menschen zwischen 53 und 77 Jahren, die sich nicht untersuchen lassen, wird innerhalb von 20 Jahren bei 23 Darmkrebs diagnostiziert, etwa sechs dieser 1.000 Personen sterben daran. Diese Zahlen würden eindrucksvoll zeigen, dass durch eine regelmäßig durchgeführte Koloskopie – ähnlich wie bei den gynäkologischen Vorsorgeuntersuchungen – Krebsvorstufen erkannt und Darmpolypen rasch und effizient entfernt werden können, bevor sich der Krebs tatsächlich entwickelt, betont Wutscher: „Diese medizinische Chance, rechtzeitig zu reagieren, sollte von den Patienten noch viel mehr genutzt werden.“ Auch in der Brustkrebsvorsorge ist die Früherkennungsmammografie alle zwei Jahre ein fixer Bestand im Vorsorgeprogramm. Von 1.000 Frauen, die zur Mammografie gehen, werden 30 zu einer weiteren Untersuchung eingeladen. 24 davon erhalten einen unbedenklichen Befund, sechs erhalten die Diagnose Brustkrebs und können frühzeitig die richtige

Behandlung bekommen. Laut ÖGK liegt die Teilnahme am Früherkennungsprogramm bei maximal 43 Prozent, problematisch sei die Wiederteilnahmerate nach dem vorgesehenen Intervall von zwei Jahren von 60 Prozent. Damit gehen 40 Prozent jener, die schon am Früherkennungsprogramm teilgenommen haben, verloren. Ein Grund dafür ist auch die Corona-Pandemie, die dazu geführt hat, dass Vorsorgeuntersuchungen verschoben worden sind: 2020 nahmen um 12,5 Prozent weniger am Brustkrebs-Früherkennungsprogramm teil als im Jahr 2019. Das seien alarmierende Zahlen: „Denn auch hier gilt: Je früher wir Brustkrebs erkennen, desto besser“, sagt Wutscher.

Angebote sichtbar machen

Prävention ist nicht nur für jeden Einzelnen, sondern auch für die Gesellschaft als Ganzes vorteilhaft: Der Wandel von einer Reparaturmedizin hin zu einer Vorsorgemedizin sei der Schlüssel zu einem starken und finanzierbaren Gesundheitssystem, betonte SVS-Obmann Peter Lehner. Und Wutscher ergänzte, man könne nicht oft genug wiederholen, dass Vorsorge besser als Nachsorge sei: „Leider nehmen noch zu wenig die Vorsorgemöglichkeiten wahr und wir Ärzte sind viel zu oft mit reparieren beschäftigt und würden unsere Patienten gerne in einem gesünderen Zustand betreuen.“ Die Motivation der Patienten sei hier einer der Wege zum Erfolg – letztlich führe eine bessere Gesundheitskompetenz auch zu mehr gesunden Lebensjahren. Leider nimmt die Gesundheitskompetenz laut dem jüngsten Rechnungshofbericht zur Gesundheitsförderung und Prävention ab: „Der Systemwandel besteht aus drei Elementen, die aufeinander aufbauen: das Angebot der Systempartner, der Anreiz, das Angebot zu nutzen, und die Akzeptanz in der Bevölkerung“, sagte Lehner und führte weiter aus: „Mit dem Mutter-Kind-Pass haben wir ein starkes Anreizsystem geschaffen. Dieser deckt die erste Lebensphase ab und ist die Basis für eine aktive Rolle. Das Angebot der Vorsorgeuntersuchungen wird dagegen heute nur von 15,1 Prozent der Bevölkerung wahrgenommen.“  Finanzielle Anreize wie der SVS-Vorsorgebonus fördern die Entscheidung des Einzelnen, ist Lehner überzeugt. Fünfzig Prozent der chronischen Krankheiten seien lebensstilbedingt, führte der SVS-Obmann im Rahmen der Pressekonferenz aus: „Gesundheit kann man nicht im Supermarkt kaufen oder bei der Sozialversicherung abrufen, wir brauchen eine Präventionskultur, die auf Gesundheitskompetenz aufbaut und von Eigeninitiative und Eigenverantwortung angetrieben wird.“ Und Wutscher ergänzte: „Das Motto soll sein: Früh anfangen, früh abfangen.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 5 / 10.03.2023