Interview Johannes Steinhart: „Vernunft und voller Einsatz haben gesiegt“

24.11.2023 | Aktuelles aus der ÖÄK

In letzter Minute konnten im geplanten Gesetzestext zu den 15a-Vereinbarungen dank der umfassenden Mobilisierung der Ärztekammer wesentliche Gefahren für das Gesundheitssystem entschärft werden. Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, erklärt im Gespräch mit Sascha Bunda, wie das gelingen konnte und welche Rolle dabei der Rückhalt in der Standesvertretung gespielt hat.

Der Entwurf zu den 15a-Vereinbarungen im Rahmen des Finanzausgleichs hat für großes Aufsehen und heftige Kritik seitens der Ärztekammern geführt. Abgesehen von den Inhalten, wie interpretieren Sie die Vorgehensweise an sich? Dass die Ärztekammern nicht eingebunden wurden, obwohl sie massiv von den Änderungen betroffen sind, zeigt mir, dass man offensichtlich die Chance gesehen hat, es sich in Zukunft leichter machen zu können. Auch die nicht vorgesehene Begutachtung passt da ins Bild. Zum Glück konnten sich die Ärztekammern durch vehementes und vor allem einheitliches Auftreten noch Gehör verschaffen und so mit ihren konstruktiven Vorschlägen die schlimmsten Fehlentwicklungen für das Gesundheitssystem noch abwenden.

Als erste Reaktion hatte die Bundeskurie niedergelassene Ärzte die Beendigung der ÖGK-Gesamtverträge angekündigt, sollte der Gesetzestext so umgesetzt werden. Wie beurteilen Sie diesen Schritt? Der Gesamtvertrag ist wie ein Kollektivvertrag. Die Interessensvertretung möchte ich sehen, die das stillschweigend hingenommen hätte. Eine solche Interessensvertretung hätte aus meiner Sicht keine Existenzberechtigung. Was glauben Sie, was die Metaller machen würden, wenn ihnen der Kollektivvertrag künftig einseitig vorgegeben würde?

Zudem wurde von Bundeskurie und Länderärztekammern viel Geld für eine Informationskampagne aufgestellt. Warum? Die Auswirkungen dieses Gesetzesentwurfes wären derart massiv gewesen, dass wir in diesem Fall selbstverständlich unbedingt die Öffentlichkeit informieren wollten, was ihr hier droht. Das Prozedere ohne Begutachtung barg die große Gefahr, dass die Änderungen an der Bevölkerung vorbei durchgeschleust worden wären. Unser Ziel war daher, dass niemand mehr sagen kann, dass ihm das nicht bewusst gewesen wäre: Keine Vertragssicherheit – keine Vertragsärzte. Das Kassensystem wäre noch unattraktiver geworden. Denn welcher junge Arzt hätte dann noch einen Kassenvertrag abgeschlossen, wenn man ihm die Planbarkeit und seine wirtschaftliche Grundlage wegnimmt?

Die Angriffe auf das Mitspracherecht der Ärztevertretung hat sicher auch eine Rolle darin gespielt, soviel Geld aufzustellen? Selbstverständlich. Weil es für das System zwingend nötig ist, dass diejenigen mitgestalten können, die die Leistung erbringen. Es hat mich maßlos geärgert, dass der Ärztekammer eine Blockadehaltung vorgeworfen wurde. Dass wir nicht zu jedem unausgegorenen Vorschlag sofort Ja und Amen sagen, hat schon zu vielen Verbesserungen geführt, von denen wir alle heute noch profitieren.

Zum Beispiel? Nehmen Sie zum Beispiel ELGA. Unsere lautstarke Ablehnung ist immer noch im Gedächtnis. Aber wir haben nie nur abgelehnt, sondern immer auch Verbesserungen eingefordert. Gerade bei ELGA wurde auf unsere Vorschläge hin ein System geschaffen, das sowohl vom Datenschutz her als auch von der Anwenderfreundlichkeit heute zumindest brauchbar ist, auch wenn es immer noch viel Luft nach oben gibt. Und auch hier haben wir längst konstruktive Verbesserungsmöglichkeiten auf den Tisch gelegt. Aber noch wichtiger ist: Im Vordergrund stand für uns die drohende Fehlentwicklung im Gesundheitssystem und deren Auswirkung auf Patienten und Ärzte gleichermaßen.

Die Beendigung der Gesamtverträge hätte aber auch große Auswirkungen auf die Patienten. Das ist richtig, ich muss dazu aber festhalten: Die Ärztekammern und auch ich persönlich haben uns immer zum Gesamtvertrag und zur solidarischen Gesundheitsversorgung bekannt. Die Beendigung der Gesamtverträge war das letzte, was wir wollten. Aber es war wichtig, der Politik zu signalisieren, dass man uns nicht ohne Einbindung einfach Verträge nach Gutdünken vorlegen kann. Die Konsequenzen für die Kassenmedizin wären für die Patienten noch wesentlich dramatischer und vor allem langfristiger geworden. Es ist bedauerlich, dass es offenbar nötig ist, Drohungen aussprechen zu müssen, damit etwas passiert. Die Politik hätte sich viel Verunsicherung bei den Patienten ersparen können, wenn man gleich offen und auf Augenhöhe mit uns gesprochen und uns eingebunden hätte. Schon beim Mutter­Kind­Pass hat erst die Drohung mit der Vertragskündigung zu Gesprächsbereitschaft auf der anderen Seite geführt. Das ist eine Entwicklung, die ich bedauere, weil ich fest davon überzeugt bin, dass Dialog und partnerschaftlicher Umgang dieses Land groß gemacht haben. Hier haben die Gespräche der letzten Tage gezeigt, wie es auch gehen kann: Ab dem Zeitpunkt, an dem wir involviert waren, gab es einen konstruktiven Dialog mit Handschlagqualität auf beiden Seiten, wobei ich vor allem die größere Regierungspartei hervorheben muss.

Bei der Gründung von Ambulatorien sehen Sie noch Klärungsbedarf. Warum? Wer über die Grenzen nach Deutschland und in die Schweiz schaut, wo Supermarktketten und Kaffeeröstereien schon jetzt im großen Stil medizinische Einrichtungen betreiben, der ist zurecht für das Thema Ökonomisierung des Systems sensibilisiert. Wir wollen nicht, dass Patienten zu einer Kosten­Nutzen­Rechnung degradiert werden. Zudem könnte man investorengelenkte Einrichtungen nicht mehr daran hindern, die Preise zu diktieren, sobald sie marktrelevante oder gar marktdominierende Stellungen erreicht haben. Dann wird das System nicht nur ineffizienter und patientenunfreundlicher, sondern auch teurer – auf Kosten der Versicherten und für den Profit der Investoren. Diese Gefahr ist aus unserer Sicht vor allem für Großstädte nicht ganz vom Tisch. Wir warnen weiterhin vor Entwicklungen wie in Deutschland, wo internationale gewinnorientierte Konzerne durch die Gründung von medizinischen Einrichtungen die Existenz der unabhängigen, freien Ärzte, die zum Wohle der Bürger tätig sind, massiv in Frage stellen.

In letzter Minute hat die Politik dann aber doch noch eingelenkt. Wie ist es aus ihrer Sicht dazu gekommen? Entscheidend dabei war das große Engagement und die Einigkeit der Ärztekammern. Als die Politik gesehen hat, wie vehement wir uns für dieses Thema einsetzen und mit welch starker Stimme wir uns artikuliert haben, gab es plötzlich Gesprächsbereitschaft. Diese Gespräche selbst sind dann von Beginn an auch konstruktiv und ehrlich verlaufen. In diesem Klima war dann ein Kompromiss recht schnell ausgearbeitet, die größten Giftzähne der Reform konnten gezogen werden. Vernunft und voller Einsatz haben also gesiegt. Wenn ich auf diese Tage zurückschaue, kann ich mich nur bei jedem Einzelnen bedanken, der an dieser Lösung mitgearbeitet hat. Und ich bedanke mich auch bei den Kollegen, die uns auf imposante Weise Rückhalt und Unterstützung für alle Maßnahmen signalisiert haben und auch bei den Standesvertretern, die mit ihrem konzertierten und einigen Vorgehen nach außen signalisiert haben, wie ernst uns das Thema ist und wie groß unsere Einsatzbereitschaft ist. Ich hoffe, dass alle Ärzte des Landes gesehen haben, wie wichtig eine starke Standesvertretung ist und was sie im Interesse von Ärzten und Patienten gleichermaßen erreichen kann.

Beim ärztlichen Stellenplan kam es zur Änderung, dass vor Beschlussfassung im Regionalen Strukturplan Gesundheit das Thema künftig verpflichtend in der Landesgesundheitsplattform zu besprechen ist. Dort nehmen auch Vertreter der Ärztekammern teil. Warum ist es so wichtig, dass die Standesvertretung mitreden kann? Es ist wichtig, dass die Ärztekammern in die Planung einbezogen werden, weil sie ein Korrektiv bei Unter­ oder Überversorgung oder bei Veränderungen in der Bevölkerungszahl bilden. Mit der neuen Gestaltung bietet sich eine ganz neue Bühne, um dort unsere Vorstellungen konstruktiv einzubringen – das ist ein großer Erfolg. Man darf nicht vergessen, dass ursprünglich zur Debatte stand, dass die Standesvertretung der Leistungserbringer gar nicht mehr mitreden soll.

Wie wird es nun im Gesundheitssystem weitergehen? Welche Schritte werden Sie setzen? Wir werden den positiven Geist der vergangenen Wochen mitnehmen und uns weiterhin und mit noch mehr Einsatz für die Weiterentwicklung des Gesundheitssystems stark machen. Im Rahmen des Finanzausgleichs gibt es nach den intensiven Verhandlungen kurz vor Schluss auch noch viel Detailarbeit zu leisten. Wir werden weiter klar unter Beweis stellen, dass wir ein konstruktiver Partner mit viel Expertise sind.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 22 / 25.11.2023