Interview Harald Mayer: Ein ganzes Alphabet an Aufgaben

25.01.2023 | Aktuelles aus der ÖÄK

Im Juni 2022 wurde Harald Mayer als Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte in seine fünfte Amtsperiode gewählt. Im Gespräch mit Thorsten Medwedeff blickt der 2. Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer auf bewegte Monate zurück und wagt einen Ausblick auf die künftigen Herausforderungen – von A wie Ausbildung bis Z wie Zwangsverpflichtung.

Wie ein roter Faden hat Sie das Thema Ärztemangel auch durch das Jahr 2022 begleitet, wird sich das bald ändern? Ich befürchte, nein. Ich bin mir sicher, dass das leider nicht der Fall sein wird. Wir haben als Standesvertretung schon vor Jahren begonnen, auf den drohenden Ärztemangel hinzuweisen – ernst genommen hat uns niemand. Im Gegenteil: die Landespolitik hält am Opt-Out des KA-AZG fest, um ihr Versagen in der ärztlichen Bedarfsplanung zu kompensieren. Wenn etwas so absehbar ist, wie der Mangel an Ärzten, dann kann man sich auch mal Gedanken machen, wie man das stoppen und nachhaltig verhindern könnte. Planlos zuzusehen, wie uns die Ärzte davonlaufen, anstatt initiativ zu werden, das ist jedenfalls keine gute Idee. Ich rechne nicht damit, dass 2023 ein echter Drive in diese Problematik kommt. Dass die „Babyboomer“ jetzt „langsam“ in Pension gehen, ist alles andere als überraschend. Allein wenn ich mir die angekündigte Reform der Finanzierungsstruktur und Aufgabenteilung im heimischen Gesundheitswesen im Zusammenhang mit dem Finanzausgleich anschaue, erkenne ich keinen Willen, in die wichtigste Ressource im Spital, nämlich das Personal, zu investieren.

Sie haben im vergangenen Jahr mehrfach Ihre Lösungsansätze präsentiert – können Sie diese bitte nochmals kurz skizzieren? Ich habe schon in der ÖÄZ 11 vom Vorjahr meinen Zehn-Punkte-Plan erläutert und ihn der Politik angeboten, wenn die Verantwortlichen schon selbst keine Ideen haben. Sie müssten nur zugreifen und diese Lösungsansätze abarbeiten, dann wären wir auf einem guten Weg. Im Wesentlichen geht es um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Spital, unter anderem durch die Besetzung offener Dienststellen; um ein leistungsgerechtes Gehalt für Spitalsärzte im Vergleich zu Gehältern im Ausland, aber auch im Vergleich mit jenen im niedergelassenen Bereich; um die Einhaltung des KA-AZG ohne versteckte Überstunden; um flexible, den Lebensumständen im 21. Jahrhundert entsprechende Arbeitszeitmodelle; um die Auflösung der strikten Trennung zwischen angestellt und freiberuflich; und auch darum, die Ausbildung endlich ernst zu nehmen, offene, bereits genehmigte Ausbildungsstellen nicht brach  liegen zu lassen und in jeder Abteilung, in der ausgebildet wird, mindestens einen Ausbildungsoberarzt zu installieren.

Apropos Ausbildung: seit Jahresbeginn 2023 liegt die Verantwortung für die Bewilligung der Ärzteausbildungsstellen bei den Ländern, ein Fehler? Wir als Ärztekammer haben jahrelang mit hoher medizinischer Perspektive und Expertise unabhängig geprüft, wie viele Ausbildungsstellen an jeder Abteilung in Österreich möglich sind und für sehr hohe Qualität gesorgt. Dass das nun in Händen der Länder liegt, ist unverständlich. Schon jetzt sind viele Ausbildungs- und Dienststellen durch die Länder unbesetzt, die Länder befeuern mit dieser Haltung den Ärztemangel. Die Situation wird sich kaum verbessern, denn jetzt überprüfen sich die Bundesländer quasi auch noch selbst – sie sind ja die Betreiber der meisten Krankenanstalten. Das kann nur in einen gewaltigen Qualitätsverlust bei der Ausbildung münden. Das Gesundheitsministerium ist seit Monaten säumig, darzulegen, wer wofür genau zuständig ist und wie die Qualitätskontrolle z.B. bei Visitationen aussieht. Wir werden alles versuchen, dass diese Kompetenz dorthin zurückkommt, wo sie hingehört, nämlich in die Ärztekammer. Wir haben jetzt selbst eine Initiative gestartet, um die Ärzte-Ausbildung in Österreich detailliert zu evaluieren – Ende Februar startet eine groß angelegte Umfrage. Wir kooperieren dabei mit der ETH Zürich, die bei Ausbildungsevaluierungen über eine jahrzehntelange Expertise verfügt. Ich möchte an alle unsere Ärzte appellieren, dabei bitte zahlreich mitzumachen und die Fragebögen ehrlich auszufüllen.

2022 gab es auch einige abstruse Ideen für Maßnahmen gegen den Ärztemangel – erinnern Sie sich? Natürlich, zum einen schwappt immer wieder refluxartig die Forderung hoch, dass wir mehr Medizin-Studienplätze brauchen. Manche träumen sogar von einer Verdoppelung der Studienplätze. Das ist Nonsens. Das zeigt, dass die Politik noch immer nicht begriffen hat, worum es im Kampf gegen den Ärztemangel geht. Wir müssen zuerst einmal schauen, dass wir jene, die derzeit bei uns ausgebildet werden, mit attraktiven Angeboten in Österreich halten. Und ich erinnere mich auch an die völlig abstruse Idee von Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker, sozusagen eine Zwangsverpflichtung für Spitalsärzte einzuführen und diese zu zwingen, nach ihrer Ausbildung in öffentlichen Wiener Spitälern weitere Jahre im öffentlichen Spitalssystem arbeiten zu müssen – derartige Versklavungs-Phantasien sind kontraproduktiv und habe ich persönlich auf das Schärfste zurückgewiesen. Das treibt die jungen Mediziner nur schneller weg – und das von Anfang an. Hier sind freiwillige Stipendien sicherlich ein besserer Ansatz.

Zu dieser Diskussion passt ja auch jene zur Reform des Aufnahmetests MedAT – wie stehen Sie dazu? Dieses Thema ist wichtig und wird uns 2023 intensiv beschäftigen. Ich bin für eine umfassende Evaluierung des Aufnahmetests an den heimischen Medizin-Unis und denke, dass es ratsam und zeitgemäß wäre, den Test-Teil, in dem es um das Erfassen sozial-emotionaler Kompetenzen sowie um soziales Entscheiden geht, stärker in die Beurteilung des MedAT einfließen zu lassen – da geben mir ja viele Experten Recht. Ziel der Analyse des Tests und einer möglichen Reform muss es sein, dass man treffsicherer die besten Ärzte unter den Bewerbern findet. Wir suchen die besten Ärzte, nicht nur gute Studenten. Wir als Ärztekammer stehen gerne mit unserer Expertise zur Verfügung. Ich betrachte es als Muss, dass wir hier mit eingebunden werden.

Die Jungen liegen Ihnen besonders am Herzen – welche Initiativen gab und gibt es auf diesem Sektor? Wir haben 2022 ein neues Referat für Jungmedizinerinnen und Jungmediziner initiiert, über das die ÖÄZ in der letzten Ausgabe ausführlich berichtet hat. Das Referat fungiert unter der Leitung des steirischen Ärztekammerpräsidenten Michael Sacherer als Anlaufstelle für junge Kollegen, die sich mit Anfragen, Wünschen, Ideen, aber auch Beschwerden dorthin wenden können – und zwar zu allem, was die Jungen beschäftigt, von Fragen zu Ausbildung und Arbeitszeit sowie Entlohnung bis hin zur optimalen Vereinbarkeit von Familie und Beruf, aber auch bei Problemen in der eigenen Abteilung. Im September gab es eine erste Spitals-Enquete zu dem Thema „Wieviel Personal braucht das Spital?“, an der zahlreiche Top-Experten teilgenommen haben. Das wollen wir nun mit einer weiteren am 10. Mai 2023 in Linz unter dem Titel „Was wollen die Jungen wirklich?“ fortsetzen – und auch eine Enquete zum Thema „MedAT – quo vadis?“ wird angedacht. Und wir sind wieder als Mitglied in die EJD, die European Junior Doctors-Vereinigung, eingetreten, um den internationalen Austausch und die Koordinierung ‚junger‘ Themen auf europäischer Ebene zu verbessern.

Vor knapp drei Jahren schlitterte die Welt in die Corona-Pandemie – was sind die Lehren aus dieser Zeit? Die Pandemie ist ja noch nicht vorbei – nur sind wir durch die wirksamen Impfungen und durchgemachten Covid-19-Erkrankungen besser geschützt. Wichtiger Faktor ist immer, ob die Spitäler überlastet sind, oder nicht – derzeit sind sie es in Österreich gottseidank nicht. Man kann aber mit der Ressource Spital nicht so fahrlässig umgehen und diese regelmäßig bis zum Äußersten ausreizen. Trotzdem dürfen wir nicht darauf vergessen, Pandemiepläne zu entwickeln. In Österreich gibt es diesen noch immer nicht – es wäre fatal, wenn wir aus den Erfahrungen dieser schwierigen Zeit nichts gelernt hätten. Wo sind diese denn, Herr Minister Rauch? Was die Pandemie noch gezeigt hat, ist, wie sehr die EU bei grundlegenden Medizinprodukten – etwa auch bei medizinischer Schutzausrüstung – und Medikamenten von anderen Staaten abhängig war. Ziel muss es sein, in diesem Bereich unabhängig agieren zu können.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 1-2 / 25.01.2023