Gesundheitsreform: Raum für Flexibilität

24.02.2023 | Aktuelles aus der ÖÄK

Rund um die derzeit laufenden Finanzausgleichsverhandlungen und die damit verbundene Gesundheitsreform betont die Österreichische Ärztekammer einmal mehr die Wichtigkeit, in konstruktiven Diskussionen auf die ärztlichen Bedürfnisse einzugehen und flexible Rahmenbedingungen zu verhandeln.

Sophie Niedenzu

Der Auftakt zu den Finnanzausgleichsverhandlungen war medial nicht zu übersehen: Da warfen der Gesundheitsminister und ÖGK Arbeitnehmer-Vertreter Andreas Huss der Ärztekammer vor, sich bei Reformen querzustellen und neue Formen der Patientenversorgung zu blockieren. Gesundheitsminister Johannes Rauch, der die Finanzausgleichsverhandlungen als Chance für eine Gesundheitsreform sieht, zeigte unter anderem Unverständnis darüber, dass die Ärztekammern sich bei Errichtungen von Primärversorgungszentren „quer stellen“ würde. Sollte es bis Jahresende zu keinen Einigungen kommen, müssten dem Minister zufolge die gesetzlichen Rahmenbedingungen verändert werden und den Ärztekammern das „Vetorecht“ entzogen werden. Ein „Vetorecht“ in dieser Form haben die Ärztekammern jedoch nicht, sondern Ärztekammern und Sozialversicherung müssen sich konsensual um die Ausgestaltung von Kassenstellen, deren Zahl von der Landeszielsteuerungskommission über die Regionalen Strukturpläne Gesundheit (RSG) festgelegt wurden, kümmern: „In Wien haben wir erst kürzlich die zehnte Primärversorgungseinheit (PVE) eröffnet, bis Mitte des Jahres sind fünf weitere Eröffnungen geplant – da kann man uns sicher keine Verweigerungshaltung vorwerfen“, reagierte ÖÄK-Präsident Johannes Steinhart auf die Aussagen des Gesundheitsministers. Es gebe immer Fälle, in denen ein Partner seinen Wunsch nicht durchsetzen konnte, etwa seien in Wien lange Gruppenpraxen von der Kasse abgelehnt worden. „Klar ist aber auch, dass es nie an guten Ideen und Einsatzfreude der Ärztekammern mangelt“, sagt Steinhart. Ein Beispiel sei der auf Bundesebene in jahrelanger harter Arbeit erarbeitete einheitliche Leistungskatalog. Zudem gebe es in jedem Bundesland erfolgreiche Konzepte und Ideen, die die Landesärztekammern entweder entwickelt oder mitgestaltet haben. Diese wurden in einer gemeinsamen Aussendung aller neun Präsidenten dokumentiert und eine Gesprächseinladung an den Gesundheitsminister ausgesprochen: „Setzen wir uns zusammen und reden wir auf Augenhöhe und konstruktiv über die Herausforderungen der kommenden Jahre. Das bringt uns und der gesamten Bevölkerung mehr als uns gegenseitig Vorwürfe auszurichten“, sagte Steinhart stellvertretend für die Präsidenten der Landesärztekammern. Schließlich sei eine starke und leistungsfähige niedergelassene Versorgung ein großes gemeinsames Anliegen, das auch zur Entlastung der Spitäler diene.

Kein Schubladendenken

Primärversorgung umfasst die gesamte niederschwellige und wohnortnahe Gesundheitsversorgung, unabhängig davon, ob sie in Einzelordinationen, Gruppenpraxen oder in einer Primärversorgungseinheit stattfindet: „PVEs sind zwar ein wichtiger Baustein der Versorgung, aber sicher kein Allheilmittel“, betont Edgar Wutscher, Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte. „Im städtischen Bereich sind PVEs zielführend und auch etwas leichter umsetzbar – wenn aber in ländlichen Gebieten zwei Ortschaften weiter eine neue PVE entsteht, aber gleichzeitig im Ort kein Allgemeinmediziner mehr gefunden werden kann, ist die Sinnhaftigkeit zu überdenken“, sagt Wutscher. Vielmehr solle sich Herr Huss lieber dringend die Frage stellen, warum immer weniger Ärzte in ‚seinem‘ Kassensystem arbeiten wollen. Die Antwort dazu liefert Wutscher gleich mit: „Weil es Ärzte gibt, die nicht in diesem starren Korsett der Fünf-Minuten-Medizin und der bürokratischen Schikanen arbeiten wollen. Sie wollen Arbeit und Familie unter einen Hut bringen können, sie wollen in Karenz gehen können. Sie wollen sich Zeit nehmen können für ihre Patienten, um sie bestmöglich zu betreuen.“ Aber anstatt gemeinsam für Verbesserung zu sorgen, wolle Huss lieber junge Menschen in dieses System zwingen und ein System, das gut funktioniert, das Wahlarztsystem, kaputtschlagen, kritisiert Wutscher.

Zwangsehen nicht sinnvoll

Was das starre Korsett angeht, sei auch die Errichtung von Primärversorgungseinrichtungen viel zu wenig flexibel. So sei es unverständlich, dass bei Pensionierung eines Arztes in einer PVE die beiden übrigen nicht frei wählen dürfen, wen sie gern als Nachfolger hätten: „Stattdessen ist es aktuell so, dass eine Zwangsverheiratung mit dem nächstgereihten Arzt arrangiert wird“, kritisiert Wutscher. Das sei unzumutbar, denn schließlich überlege man sich genau, mit wem man die nächsten Jahre und Jahrzehnte zusammenarbeiten möchte. Das Beispiel sei nur eines von vielen, das aufzeige, dass es das enge Korsett sei, das die Bildung von Primärversorgungseinheiten verhinderte, nicht aber die Ärztekammer. „Wir arbeiten natürlich gerne an der Lösung dieser Probleme mit, wie wir es schon immer getan haben, aber man muss sich auch mit uns an einen Tisch setzen, anstatt uns über die Medien die Schuld zuzuschieben“, sagt Wutscher. Von einer effizienten Patientenversorgung mit dem richtigen Angebot am richtigen Ort profitieren alle: Die Patienten, die Ärzte, das gesamte Gesundheitssystem – immerhin würde ein adäquates wohnortnahes Angebot auch die Spitäler entlasten. Davon profitiert auch die Wirtschaft, denn die Spitäler sind ein hoher Kostenfaktor im Gesundheitssystem. Primärversorgungszentren seien dort, wo sie sinnvoll sind und die Gesundheitsversorgung der Menschen verbessern, gut und richtig, betont Harald Mayer, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte. Aber: „Die Probleme der Gesundheitsversorgung werden nicht nur durch ein paar weitere PVEs gelöst, denn die Patienten gehen oft zuallererst ins Spital, das ist in den Köpfen fest verankert“, sagt er. Es sei daher wichtiger, die Patienten zielgenauer durchs Gesundheitssystem zu lenken, offene Dienststellen in den Spitälern sofort zu besetzen und den ambulanten Bereich auszubauen, damit eine 24-Stunden-Versorgung der Patienten möglich gemacht wird: „Wir Ärzte sind dazu bereit, aber nicht, wenn das auf den Rücken derer ausgetragen wird, die wegen hausgemachten Personalmangels ohnehin schon mit ihren Kräften am Ende sind, weil sie die von den Trägern mutwillig in Kauf genommenen Löcher in der Personaldecke stopfen müssen“, sagt Mayer.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2023