Gesundheitsreform: Gemeinsam reformieren

24.11.2023 | Aktuelles aus der ÖÄK

Nachdem die Österreichische Ärztekammer vehement auf die drohenden Fehlentwicklungen bei möglichen Reformen im Zuge der Finanzausgleichsverhandlungen hingewiesen hat, konnte ein guter Kompromiss – insbesondere in Bezug auf den Gesamtvertrag – gefunden werden. Details seien aber noch zu verhandeln, betont die ÖÄK.

Sascha Bunda, Sophie Niedenzu

Das Gesundheitssystem in Österreich hat zwar Reformbedarf, ist aber im internationalen Vergleich nach wie vor eines der besten. Durch einen Entwurf zur Gesundheitsreform im Rahmen der Finanzausgleichsverhandlungen drohte die Politik mit der Aufkündigung der Sozialpartnerschaft. Die Österreichische Ärztekammer, die in die Verhandlungen nicht involviert wurde, schlug Alarm. Die größten Kritikpunkte und drohenden Fehlentwicklungen wurden sowohl innerhalb der Ärzteschaft, als auch in Politik und Öffentlichkeit thematisiert. „Erst mit dem starken Engagement der Ärztevertretung ist es dann zu Gesprächen gekommen, die davor immer kurzfristig verschoben oder abgesagt wurden“, sagt Edgar Wutscher, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte. Es seien fundierte Lösungsvorschläge auf den Tisch gelegt worden.

Kompromisse gefunden

„Ab dem Zeitpunkt, an dem wir eingebunden wurden, fanden die Gespräche mit der Politik in konstruktiver und zielorientierter Atmosphäre statt“, fasst Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, den Verhandlungsmarathon der vergangenen Tage zusammen. Mit dem Ergebnis könne man leben, alle Beteiligten hätten gemeinsam ein gutes Paket zustande gebracht. „Das ist nicht nur für die Patienten erfreulich, sondern auch für die Ärzte. Das hat gezeigt, dass die Mitwirkung einer unabhängigen und starken Interessensvertretung von höchster Bedeutung für das gesamte Gesundheitssystem ist“, so Steinhart. Die Arbeit sei aber damit noch nicht getan, viele Punkte seien noch offen oder sollten verhandelt werden: „Es ist ein Teilerfolg, aber es gibt noch viel zu tun“, resümiert Wutscher.

In den zahlreichen Gesprächen kurz vor dem Beschluss im Minister rat konnte Einigung erzielt werden, Maßnahmen gegen die Sozialpartnerschaft im Gesundheitswesen sowie die Wirkstoffverschreibung aus dem Paket zu streichen. „Dieser Kompromiss ist aus unserer Sicht völlig zurecht und im Sinne der Versorgung unserer Patienten zustande gekommen“, sagt Wutscher. Aufgrund des Verhandlungsergebnisses sei selbstverständlich eine Beendigung der Gesamtverträge vom Tisch, unterstrich er. Letzteres war in den vergangenen Wochen als Ultima Ratio im Raum gestanden.

Der ursprüngliche Entwurf habe beispielsweise den Verlust der Stellenplankompetenz der Ärztekammern beinhaltet: Ursprünglich geplant sei lediglich eine Konkretisierung der örtlichen Verteilung nach Vorgabe der Regionalen Strukturpläne Gesundheit (RSG). Mit den Verhandlungen sei nun festgelegt worden, dass bei den ärztlichen Stellenplänen vor Beschlussfassung im RSG das Thema künftig verpflichtend in der jeweiligen Landesgesundheitsplattform zu besprechen sei. Das ermögliche wieder eine Mitgestaltung, betont Wutscher: „Mit der neuen Gestaltung bietet sich eine ganz neue Bühne, um dort unsere Vorstellungen konstruktiv einzubringen.“

Voller Erfolg bei Gesamtvertragsregelung

Der größte Kritikpunkt der Österreichischen Ärztekammer bezog sich darauf, dass bei einer Nichteinigung der Verhandlung zum Gesamtvertrag mit der ÖGK bis Ende 2024 ab 2025 die Honorare eingefroren worden wären. Denn eine Nichteinigung hätte zur Folge habe, dass die Gesamtverträge der Bundesländer weiter gültig sind – aber ohne Valorisierung. „Eine Nichteinigung wäre der ÖGK dadurch natürlich kostengünstiger gekommen und die Ärztekammer massiv unter Druck geraten, innerhalb der genannten Frist eine Einigung zu erzielen“, sagt Wutscher. Diese geplante Einschränkung ist nun aufgelassen worden. Übrig geblieben ist ein klarer und einfacher Satz, wonach die Österreichische Ärztekammer gemeinsam mit der Österreichischen Gesundheitskasse einen Gesamtvertrag für ganz Österreich verhandeln müsse – ohne Fristangaben.

Was die Vertragsregelung angeht, hätte der Entwurf es ermöglicht, künftig Einzelverträge mit Sondervereinbarungen auch ohne Zustimmung der Ärztekammer und damit Kassenverträge außerhalb des Gesamtvertrags abzuschließen. Damit wäre der Gesamtvertrag obsolet geworden: „Wer sollte unter diesen Bedingungen dann noch ins Kassensystem wechseln?“ fragt sich Dietmar Bayer, stellvertretender Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte der Österreichischen Ärztekammer. Denn wer die nötige Geduld mitbringe, könne problemlos auf lukrative Sondervereinbarungen warten. Die Folge? „Das System wird dadurch deutlich teurer“, warnt Bayer. Und damit nicht genug, würde man Ärzte sogar aktiv aus dem Kassensystem vertreiben. Die Österreichische Ärztekammer hat daher in den Wochen vor der Einigung davor gewarnt, die Kassenmedizin zu schwächen. Das Ergebnis der Verhandlungen: Der Passus, wonach die Sozialversicherung Nebenabsprachen mit Einzelordinationen ohne Mitwirkung der Ärztekammer abschließen kann, wurde deutlich relativiert.

Gesprächsbedarf

Insgesamt gebe es noch Abklärungsbedarf bei den Ambulatorien, hier sei die Bedrohung vor allem für Großstädte nicht ganz vom Tisch. „Wir warnen weiterhin vor Entwicklungen wie in Deutschland, wo internationale gewinnorientierte Konzerne durch die Gründung von medizinischen Einrichtungen die Existenz der unabhängigen, freien Ärzte, die zum Wohle der Bürger tätig sind, massiv in Frage stellen“, so Steinhart. Der ÖÄK­Präsident verweist damit auf den im Entwurf geplanten Wegfall der Parteienstellung der Ärztekammern im Ambulatoriumsverfahren. Dieser würde es leichter für Konzerne machen, Ambulatorien zu gründen. „Wer wissen will, wohin das führen kann, braucht nur einmal in unsere Nachbarländer zu schauen: In der Schweiz ist eine Supermarktkette mittlerweile der größte Anbieter von Hausarztmedizin und in Deutschland gehört ein guter Teil der Zahnarztpraxen bereits einer Kaffeerösterei“, sagt Dietmar Bayer, stellvertretender Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte. Dass Finanzinvestoren natürlich eine Rendite für ihre Investitionen erwarten, liege auf der Hand. Es drohe eine Behandlung nach ökomischen statt nach medizinischen Gesichtspunkten. „Auf der Strecke bleiben die Patienten, deren Behandlung sich aus verschiedenen Gründen nicht mehr ‚rechnet‘ – und natürlich unser gesamtes solidarisches Gesundheitssystem“, warnt Bayer. Die Gefahr sei aber noch deutlich größer: Wenn Investoren mit ihren medizinischen Standorten in einzelnen Regionen marktrelevante oder gar ­beherrschende Größe erreichen, werde man sie schwer daran hindern können, auch die Preise zu diktieren. Hier sieht die ÖÄK noch Gesprächsbedarf. Als positiv bewertet wurde auch die nun festgelegte Priorisierung des niedergelassenen Bereichs durch Primärversorgungseinheiten in Form von Gruppenpraxen, Gruppenpraxen und Einzelordinationen – bei der Planung des extramuralen ambulanten Bereichs. Im Vergleich zum Entwurf ist es damit für private Investoren schwieriger geworden, Ambulatorien zu gründen.

Was die Spitalsambulanzen angeht, werden Mittel zur Entlastung des stationären Bereichs zur Verfügung gestellt. „Kritisch sehen wir dabei, dass per Verordnung die Aufgaben der Spitalsambulanzen erweitert werden können“, sagt Harald Mayer, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte und verweist darauf, dass die Spitalsambulanzen bereits jetzt überfüllt seien. Was das Medikamentenboard angehe, sei positiv zu vermerken, dass dieses nur mehr Empfehlungen abgibt und nicht mehr die medikamentöse Behandlung verpflichtend vorschreibt, wie es im Entwurf ursprünglich angedacht gewesen sei: „Damit bleibt die Therapiefreiheit des Arztes gewahrt“, sagt Mayer. „Was mir jetzt aber noch fehlt, wäre eine verbindliche, objektive und funktionierende Lenkung der Patientenströme zur nachhaltigen Entlastung der Ambulanzen“, so Mayer

Codierung in Ordinationen

Auch im Bereich der Codierung in Ordinationen konnte eine Einigung erzielt werden. Konsens herrscht darüber, dass die niedergelassenen Ärzte zukünftig verpflichtend codieren müssen. Von der ÖÄK kritisiert wurde jedoch, dass im Entwurf die Art der Codierung über die Köpfe der Ärzte hinweg entschieden worden wäre. „Hier hat das hohe Risiko bestanden, dass ein unpassendes Codierungssystem gewählt wird“, sagt Bayer. Denn die im Entwurf zum Finanzausgleich erwähnte Codierung nach ICD­10­Standard sei untauglich für den Arbeitsalltag im niedergelassenen Bereich. Es sei eine Fehlplanung zu glauben, man könne ein Codierungssystem, das zur Abrechnung in den Spitälern verwendet werde, Eins zu Eins in den niedergelassenen Bereich übertragen. ICD­10 sei eine Diagnosecodierung, die bei Entlassung des Patienten aus dem Spital eingetragen werden. Ein Beispiel sei ein Patient, der mit Schulterschmerzen ins Spital käme und mit der Diagnose Herzinfarkt nach erfolgreicher Behandlung entlassen worden sei. Wenn hingegen ein Patient mit Schulterschmerz zum Hausarzt gehe, dann müsse zuerst eine Arbeitsdiagnose erfasst werden – etwa Probleme mit der Bauchspeicheldrüse, Gallenblase oder tatsächlich mit dem Schulterapparat. Sinnvoller in Ordinationen sei daher eine strukturierte Codierung, die Symptome chronologisch erfassen würde. Wenn ein unpassendes System verpflichtend umgesetzt werde, dann würden falsche Daten gesammelt werden: „Die wiederum führen zu falschen Entscheidungen, wodurch das System immens teuer werden wird. Das müssen dann Steuerzahler ausbaden und die Versicherten gleich doppelt“, warnte Bayer eindringlich. Es habe auch in Absprache mit der ÖGK Ideen zur Verwendung anderer Codierungssysteme gegeben. Die konstruktiven Verhandlungen haben nun dazu geführt, dass Ärzte zukünftig eine Diagnosecodierung nach verordneter Klassifikation verwenden.

e-Card-Pflicht für Wahlärzte

Die e­Card­Pflicht für Wahlärzte sieht Bayer mit gemischten Gefühlen. „Gut ist, dass dann endlich die Versorgungswirksamkeit von Wahlärzten endlich offengelegt und außer Zweifel gestellt wird. Zudem wissen wir aus Befragungen, dass es unter Wahlärzten eine deutliche Bereitschaft gibt, in das e­Card­System einzusteigen.“ Wutscher ergänzt, dass hier noch Gesprächsbedarf bestehe, um die Umsetzung entsprechend den Vorstellungen der Wahlärzte zu ermöglichen.

Der Grundtenor sei jedenfalls optimistisch: „Wir werden den positiven Geist der vergangenen Wochen mitnehmen und uns weiterhin und mit noch mehr Einsatz für die Weiterentwicklung des Gesundheitssystems stark machen“, gaben Steinhart, Mayer und Wutscher die Richtung für die Zukunft vor. Alle drei bedankten sich ausdrücklich bei den Ärztinnen und Ärzten für die große Unterstützung in den vergangenen Tagen und Wochen: „Wir hoffen, dass wir allen Ärztinnen und Ärzten des Landes beweisen konnten, wie wichtig eine starke Standesvertretung ist und was sie im Interesse von Ärzten sowie Patienten gleichermaßen erreichen kann.“ Damit werde man nahtlos weitermachen: „Im Rahmen des Finanzausgleichs gibt es nach den intensiven Verhandlungen kurz vor Schluss auch noch viel Detailarbeit zu leisten. Wir werden weiter klar unter Beweis stellen, dass wir ein konstruktiver Partner mit viel Expertise sind“, sagte Steinhart.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 22 / 25.11.2023