BKAÄ: Überlastung der Spitalsärzte: Wege aus dem Tal

25.06.2023 | Aktuelles aus der ÖÄK

Wer denkt, dass sich die prekäre Situation in den Spitälern allein durch das von der WHO ausgerufene Ende des Gesundheitsnotstands Corona-Pandemie entspannt hat, der irrt. Viele Ärzte sind ausgelaugt und verlassen das System – ein Brennpunkt-Bericht mit Hoffnungsschimmern und Lösungsansätzen.

Thorsten Medwedeff

Ärzte, die die Spitäler und das solidarische Gesundheitssystem desillusioniert verlassen oder als Fachärzte in die Niederlassung gehen, obwohl das nie ihr Lebenstraum war. Ärzte, die ins Ausland gehen, wo die Gehälter und die Karrierechancen besser sind: Österreich gehen die Ärzte aus – die Folge sind ausgedünnte Teams in den Spitälern und Frustration bei denen, die noch da sind und die Gesundheitsversorgung mit letzter Kraft aufrecht halten.

In der Steiermark geht dies quer durch alle Bereiche, so Gerhard Postl, Facharzt für Innere Medizin am LKH Graz II und erster Kurienobmann-Stellvertreter der angestellten Ärzte der Ärztekammer Steiermark: „Die Chirurgie in der Obersteiermark und in Weiz, die Notaufnahmen an den Hotspots, die Gynäkologie in Hartberg und die Interne Abteilung in Knittelfeld, um nur einige zu nennen – da sind die Mannschaften in einzelnen Abteilungen schon sehr ausgedünnt. Dadurch entstehen Defizite in der ärztlichen Besetzung von Diensträdern und Ambulanzen. Diese müssen von den Kollegen ausgeglichen werden und führen zu enormen Belastungen und vermehrten Journaldiensten.“

Und doch gibt es Ideen für Wege aus dieser Talsohle. In Kooperation von Politik, Ärztekammer und Spitalsträgern gibt es Pläne, die hoffen lassen. „Alle Stakeholder im Gesundheitssystem haben erkannt, dass es so nicht weitergehen kann“, sagt Postl. Dementsprechend herrsche ein gutes Verhandlungsklima bei den S1-Verhandlungen mit der KAGes, bei denen es um die Gehälter im Gehaltsschema des Landes geht. Aber Geld ist nicht alles, betont er: „Wenn es heißt, es geht den Ärzten nur ums Geld, stimmt das einfach nicht. Es ist traurig genug, aber manche Kollegen betonen, dass sie es nicht mehr aushalten, auch wenn sie mehr verdienen würden. Niemand möchte, wenn er 45 ist, noch 20 Jahre so im Spital weiterarbeiten.“

Der unbedingt notwendige finanzielle Anreiz kann nur der erste Schritt sein, den überlasteten Ärzten durch das Tal zu helfen, damit sie nicht vorher resignieren und die Spitäler verlassen. „Ein Paket mit höheren Gehältern soll spätestens mit 1. Jänner 2024 schlagend werden, darauf liegt unser Fokus. Wenn diese Verhandlungen scheitern, laufen wir Gefahr, in finanzieller Hinsicht gegenüber den anderen Bundesländern und dem niedergelassenen Bereich nicht mehr konkurrenzfähig zu sein – dies hätte fatale Folgen.“ Dass das eine wirksame Maßnahme sein kann, habe die Anhebung der Gehälter bei den Notärzten in der Steiermark gezeigt – dort gibt es seither keinen Mangel mehr. „Aber danach müssen die nächsten Schritte gesetzt werden, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, die Nachbesetzung von unbesetzten Dienststellen und die Befreiung von bürokratischen Aufgaben etwa durch die Möglichkeit, Assistenzen einzustellen.“

Ungelenkte Patientenströme stoppen

In Tirol ist es ähnlich, wobei die Zahl derer, die von Spitalsarzt auf Arzt in der Niederlassung umsatteln, noch eher gering ist, betont Klaus Kapelari, Vizepräsident der Ärztekammer für Tirol und Leiter der Ambulanz am Department für Kinder- und Jugendheilkunde (Uniklinik Innsbruck): „Wenn, dann wechseln sie eher in ein anderes Angestelltenverhältnis, etwa als Notarzt.“ Noch größer sei in Tirol ohnehin das Problem fehlender Pflegekräfte und folglich gesperrter Betten. „Wir betrachten uns im Spital als Teams – in der Gesundheitsversorgung greifen ärztliche Betreuung und Pflege wie Zahnräder ineinander, wenn aber eines der Räder fehlt, dann wird es holprig und die zweite Gruppe muss das kompensieren.“ Das führe dann zu dem Paradoxon, dass die eine Gruppe eigentlich keine Patienten mehr aufnehmen könne, die andere aber aufgrund der medizinischen Notwendigkeit genau darauf bestehen muss.

Kapelari wüsste Abhilfe: „Wir müssen, und das haben wir als Ärztekammer ja mehrfach betont, die ungelenkten Patientenströme stoppen. Viel zu viele Menschen kommen ins Spital, obwohl sie keine Betreuung in einer Ambulanz brauchen.“ In Innsbruck habe man zwischen Anmeldung im Spital und Ambulanz eine allgemeine Versorgungspraxis eingerichtet und so die Ambulanzen entspannt. Allerdings, so Kapelari: „Der große medizinische Nachteil dabei ist es, dass wir damit praktisch unsere Triage auf den Kopf stellen – denn jetzt werden jene, die eigentlich gar nicht ins Spital gehören, am schnellsten behandelt. Daher brauchen wir Triage-Systeme vor der Anmeldung im Spitalssystem.“

Bewährt habe sich das Manchester-Triage-System im anglo-amerikanischen Raum oder in Deutschland: Diese Telefon-Triage wurde in England entwickelt, mit dem Ziel, Wartezeiten je nach medizinischer Dringlichkeit zu verringern und die Patienten exakt vorab zu steuern. „Dazu braucht es nicht einmal medizinische Fachkräfte – es gibt eine zertifizierte Ausbildung dafür, damit man einen vorgegebenen Entscheidungsbaum richtig lesen und initial die richtigen Fragen an die Patienten stellen kann – dadurch ergibt sich dann die Dringlichkeit und der Ort der Behandlung. Das ließe sich bei uns über 1450, das ja während der Corona-Pandemie zu einem schnellen und effizienten Tool geworden ist, abwickeln und würde deutlich für Entlastung sorgen – allein, es fehlt bis jetzt der politische Wille für diese zeitgemäße Adaptierung des Angebots von 1450.“

Was sich Kapelari noch wünschen würde: Eine bessere Vernetzung der Spitalsambulanzen mit den Pflegeheimen. „Viel zu rasch werden zu Pflegende in die Spitalsambulanzen gebracht – und bleiben dort viel zu lange. Das ließe sich durch kompatible, digitale Schnittstellen zwischen den Ambulanzen und Heimen oft ohne Ambulanzbesuch lösen, denn oft geht es nur um die Beseitigung kleiner Fehlerquellen, zum Beispiel wenn jemand vergessen hat, seine Medikamente einzunehmen.“

System Krankenhaus neu aufstellen

Einen „Drehtür-Effekt“, nämlich, dass Patienten, nachdem sie einmal im Spital waren, immer wieder zurückkommen, stellt auch Anna Kreil, zweite Obmann-Stellvertreterin der Kurie angestellte Ärzte in der Wiener Ärztekammer und Fachärztin für Innere Medizin und Primaria der Zentralen Notaufnahme, Klinik Landstraße, immer wieder fest. „Aber dafür fehlen uns – insbesondere wegen Mangel an Pflegekräften – die Betten.“ Daher appelliert auch sie dafür, dass Patientenströme besser gelenkt werden und die Versorgung im niedergelassenen Bereich ausgebaut werden muss.

„Dazu ist es aber notwendig, den niedergelassenen Kollegen auch die Zeit zu geben, ihre Patienten zu behandeln – aber Zeit wird von der Kasse nicht bezahlt“, nimmt sie die Sozialversicherung in die Pflicht. Außerdem gebe es, so Kreil, einige Untersuchungsbereiche, die derzeit nur im Spital als Kassenleistung bezahlt würden, aber nicht in der Niederlassung. „Da gäbe es einiges, was man auslagern könnte, etwa im kardiologischen, urologischen oder gynäkologischen Bereich sowie bei der Gesprächstherapie. Es bringt auf Dauer nichts, wenn nur Interventionen bezahlt werden. Da wird sich die ÖGK etwas einfallen lassen müssen.“

Etwas einfallen lassen müsse man sich auch ganz generell im heimischen Spitalswesen. Auch in Wien verlassen viele Spitalsärzte das System oder wechseln vermehrt in den Wahlarztbereich. „Das System Krankenhaus muss generell auf neue Beine gestellt werden, dazu braucht es einen System- und Kulturwandel. Außerdem muss das Spital entstaubt werden, etwa von überfälliger Bürokratie und Zettelwirtschaft. Das alles braucht Zeit. Bis es soweit ist, müssen wir schauen, unsere nach wie vor hoch motivierten Ärztinnen und Ärzte zu halten. Und nicht nur das, wir müssen auch danach trachten, den einen oder anderen, der das System bereits verlassen hat, zurück zu gewinnen oder aus der Pension oder aus dem Ausland zurückzuholen.“

Das geht kurzfristig nur – und da ist sich Kreil einig mit ihren Kollegen aus der Steiermark und aus Tirol, mit finanziellen Anreizen für das Personal: „Wir müssen die Menschen, die jetzt noch da sind und als Arzt für die Patienten und unsere Gesundheitsversorgung arbeiten wollen, mit Geld beruhigen. Wenn wir jetzt zögern, zu investieren und finanzielle Anreize zu setzen, wird bald niemand mehr da sein, der es machen wird.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 / 25.06.2023