BKAÄ: Standpunkte zum FAG – Interview Harald Mayer: Vorausschauend Vorsorgen

14.07.2023 | Aktuelles aus der ÖÄK

Von der optimierten Patientenlenkung bis hin zu Investitionen in die Ausbildung und dem Ermöglichen lebenszeitgerechter Arbeitszeitmodelle: Thorsten Medwedeff sprach mit Harald Mayer, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) und Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte, über die konkreten BKAÄ-Standpunkte in der FAG-Resolution der ÖÄK.

Welche Maßnahmen im Spitalsbereich hat die Resolution zur Folge? Das lässt sich am besten unter dem Slogan ‚vorausschauend vorsorgen‘ zusammenfassen – und nicht nur für den Spitalsbereich. Wir müssen endlich eine vorausschauende Gesundheitspolitik betreiben. Das ist in den vergangenen Jahren nicht gelungen. Alles, was dazu in Österreich aktuell gemacht wird, ist reaktiv. Und reagiert wird oft zu spät. Wir stopfen lieber die Löcher im System, anstatt sie proaktiv erst gar nicht aufkommen zu lassen. Das ist der zögerliche Weg, der bisher bestritten wurde und den wir nun mit unserer Resolution beendet wissen möchten. Wir müssen jetzt in Vorleistung gehen, aktive Gesundheitspolitik machen und vorsorgen, dass es künftig keine Lücken mehr bei der Gesundheitsversorgung der Österreicher – insbesondere aufgrund des Personalmangels bei Ärzten und in der Pflege – gibt.

Was sind die dringlichsten Forderungen? Allen voran muss eine funktionierende Patientenlenkung her. Da es genau diese nicht gibt und jeder ungebremst in die Spitalsambulanzen kommen kann, werden die Arbeitsbedingungen in unseren Spitälern immer schlechter. Der Weg des Patienten muss ganz klar von der Politik vorgegeben sein und erfolgt stufenweise: Zuerst gibt es Kontakt mit einem niedergelassenen Arzt – unter Umständen auch digital – erst dann geht es, wenn nötig, in einer Spitalsambulanz oder stationär weiter. Es darf keinen Eintritt in eine Spitalsambulanz ohne entsprechende Überweisung geben. Menschen, die das nicht einhalten, müssen am Eingang des Krankenhauses aufgefangen werden. Bewährt haben sich auch zusätzliche Versorgungseinheiten vor oder in den Spitälern wie etwa die Erstversorgungsambulanz im Wiener AKH. Nur so können wir die Ambulanzen nachhaltig entlasten und verhindern, dass uns jene Ärzte, die bei uns top-ausgebildet wurden, davonlaufen.

Apropos Ausbildung: Welche Rolle spielt sie im Gesundheitssystem? Die Ausbildungsqualität ist ein wichtiger Faktor im Wettbewerb um junge Mediziner, zudem ist sie die wesentliche Grundlage für eine effiziente und optimale Patientenversorgung. Der Fokus der Politik muss darauf gerichtet werden, dass Ausbildung eine zentrale Aufgabe ist und daher die notwendige Zeit und die damit verbundenen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden müssen. Dazu gehören mindestens ein Ausbildungsoberarzt pro Abteilung, an der ausgebildet wird, klare Strukturen bei der Ausbildung und deren strikte Einhaltung, Visitationen der Ausbildungsabteilungen durch die ÖÄK und eine jährliche Ausbildungsevaluierung unter unserer Leitung.

Die größte jemals durchgeführte Ausbildungsevaluierung wurde vor Kurzem beendet – wann gibt es Ergebnisse? Wir haben unsere Verantwortung wahrgenommen und diese zwischen März und Mai durchgeführt – mit einer Rücklaufquote von knapp 45 Prozent, das ist dreimal mehr als bei den bisherigen Evaluierungen. Die Ergebnisse werden wir Anfang September präsentieren.

Ebenso wichtig wie gute Ausbildung sind gute Arbeitsbedingungen – was ist hier zu tun? Die Politik muss den Ärzten endlich zuzuhören und berücksichtigen, wie sie jetzt und in Zukunft arbeiten wollen – unter Arbeitsbedingungen, die den Anforderungen des 21. Jahrhunderts entsprechen. Mit mehr Geld im System und damit mehr Personal, ohne Zwang und mit der Möglichkeit zu flexiblen Arbeitszeitmodellen. Mit ausreichend Zeit für das, wofür man studiert und sich zum Arzt ausbilden hat lassen, nämlich für die Patienten da zu sein. Wir als Bundeskurie angestellte Ärzte hören schon lange genau hin und lassen sowohl die Jungen als auch die Ärzte der Generation 50 plus zu Wort kommen. Im Mai hatten wir eine Enquete, bei der wir diskutiert haben, wie die Jungen künftig arbeiten wollen – und am 9. November 2023 wird es eine weitere geben, bei der wir mit Experten aus Politik, Wirtschaft und Arbeitsrecht darüber reden, wie wir die Ärzte der Generation 50 plus, den Motor unserer Gesundheitsversorgung, am Laufen halten können. Es geht um lebensphasengerechte Arbeitszeitmodelle, etwa ein alters- und belastungsadäquates Nachtdienstmodell, steuerbegünstigte Teilzeit-Modelle für Ärzte im Pensionsalter, deren Expertise wir dringend für Ausbildungszwecke benötigen, aber auch um die Planbarkeit von Diensten, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eine flächendeckende Kinderbetreuung zu den Zeiten, zu denen Ärzte arbeiten – also auch an Wochenenden und Feiertagen.

Auch die Digitalisierung in der Medizin soll zu verbesserten Arbeitsbedingungen beitragen … Korrekt. Zu viel der ärztlichen Arbeitszeit in den Spitälern geht für dokumentarische und bürokratische Schreibarbeiten drauf. Alles, was digital gemacht werden kann, ist begrüßenswert, zum Beispiel der Ausbau einer einheitlichen IT-Infrastruktur in den Spitälern oder die Entwicklung von digitalen Apps zur Unterstützung bei der Patientendokumentation. Der Staat muss die Krankenhäuser derart technisch aufrüsten, dass es taugliche EDV-Schnittstellen gibt, die die Arbeit erleichtern. Dahingehend gibt es ja ein Bekenntnis des Gesundheitsministers hin zu einer Digitalisierungsoffensive – das können wir nur begrüßen.

Alle genannten Maßnahmen werden viel Geld kosten – ist abschätzbar, wie viel? Unseren Berechnungen entsprechend bräuchten wir zur Deckung der Kosten für ausreichend Personal, die Attraktivierung der Arbeitsbedingungen, die Entwicklung neuer Arbeitsmodelle sowie Investitionen in die Digitalisierung eine Aufstockung des Budgets für den spitalsambulanten sowie stationären Bereich von jährlich 5,3 Mrd. Euro. Das entspricht rund zehn Prozent der Gesundheitskosten. Das sollten uns unsere Gesundheit und die Versorgung in den Spitälern schon wert sein.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13-14 / 15.07.2023