BKAÄ: Arbeiten im Spital – Veränderte Bedürfnisse

09.06.2023 | Aktuelles aus der ÖÄK

Individuelle Arbeitszeiten, bessere Kinderbetreuung, weniger Bürokratie – und damit eine optimale Vereinbarkeit von Beruf, Freizeit und Familie sowie mehr Zeit für die Patienten. Die Bundeskurie angestellte Ärzte der Österreichischen Ärztekammer hat sich die aktuellen Wünsche der Jungärzte genau angehört.

Thorsten Medwedeff

Zuerst die sehr gut besuchte Enquete „Arbeitsplatz Spital – wie die Jungen künftig arbeiten wollen“ in Linz, wenige Tage später ein Pressetermin mit großem Medienecho zum selben Thema in Graz – die Bundeskurie angestellte Ärzte der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) hat im Mai 2023 beim Thema Ärztenachwuchs und wie dieser sich das künftige Arztsein im Spital und die besten Rahmenbedingungen dafür vorstellt, ernst gemacht.

Nicht ohne ernsten, wenn nicht besorgniserregenden, Hintergrund: Denn mehr als 30 Prozent der jungen Ärzte, die in Österreich ausgebildet werden, arbeiten nach dem Medizinstudium nicht im heimischen Gesundheitswesen: „Der Großteil von ihnen geht ins Ausland, weil die Bedingungen dort besser sind“, weiß Michael Sacherer, Präsident der Ärztekammer für Steiermark und Leiter des Referats für Jungmedizinerinnen und Jungmediziner der ÖÄK. Daher müsse man dringend auf die Bedürfnisse der jungen Ärzte eingehen, um die medizinische Versorgung für die Zukunft abzusichern und nicht noch mehr von den bei uns ausgebildeten Mediziner zu verlieren.

Medizin wird weiblicher –  Familienstrukturen ändern sich Die Bedürfnisse sehen im 21. Jahrhundert völlig anders aus als etwa noch vor rund 20 Jahren. Das liegt unter anderem daran, dass die Medizin „weiblicher“ geworden ist und die ärztliche Betreuung zu 50 Prozent oder knapp darüber in weiblicher Hand liegt, was Auswirkungen auf die Familienstrukturen und die nötigen Ressourcen für die Kinderbetreuung hat. Aber es gibt auch den Trend dazu, dass Geld schon lange nicht mehr alles ist und individuelle (Teilzeit-)Arbeitsmodelle gewünscht sind.

Ein weiterer wichtiger Punkt: die bessere Planbarkeit der Dienste im Spital. „Wir Ärztinnen und Ärzte sind auch Menschen und wir haben Familien, auch wir wollen ‚echte‘ 40 Stunden arbeiten – es darf nicht zur Normalität werden, dass wir für 50 oder 60 Wochenstunden eingeteilt werden“, sagt Cornelia Sitter, Jungmediziner-Referentin der ÖÄK und Turnusärztin in Steyr. Daher würden viele junge Ärzte ihre Normalarbeitszeit auf offiziell 30 Stunden pro Woche reduzieren und auf Geld verzichten, um auf eine annähernd planbare Stundenanzahl und damit ein geregeltes Familienleben zu kommen. „Mit den Überstunden, die man sowieso einplanen muss, kommt man dann vielleicht gerade so auf die angepeilten 40 Stunden. Bei einem Vollzeitvertrag muss man von durchschnittlich 48 bis 55 Wochenstunden ausgehen, in Einzelwochen bis zu 72 Stunden – das ist mit einem gesunden Familienleben nur mit größten Schwierigkeiten vereinbar.“

In diesem Zusammenhang sind auch die Herausforderungen zu sehen, die ein oft sehr früher Dienstbeginn, Nacht- oder Wochenenddienste mit sich bringen, denn die regulären Öffnungszeiten von Kindergärten oder Krippen können da nicht mithalten. Daher fordert Sacherer: „Die Spitalsträger und die Politik müssen geeignete Modelle entwickeln, am besten eine flächendeckende Kinderbetreuung zu den Zeiten, zu welchen Ärzte arbeiten – auch an Wochenenden und Feiertagen müssen Lösungen her. Ich kann ja meine Fünfjährige nicht plötzlich alleine lassen, wenn ich Rufbereitschaft habe.“

Lebensmodelle respektieren

Aber natürlich gebe es auch andere Arbeitsmodelle, daher müsse ein flexibles Spektrum angeboten werden, so Sacherer. „Das jeweilige, aktuelle Lebensmodell muss respektiert werden – egal ob Teilzeit oder Vollzeit. Das darf nicht nur am Papier existieren, sondern muss in den jeweiligen Abteilungen auch gelebt werden. Es geht konkret um eine lebensphasenkonzentrierte Arbeitszeit.“ Nämlich auch in die andere Richtung, betont er: „Leistung muss sich auszahlen. Diejenigen, die mehr leisten und mehr arbeiten wollen, sollen dies bei entsprechender Bezahlung auch können.“ Zu diesen Modellen gehört auch, Elternkarenz zu ermöglichen. Sitter meint dazu: „Durch eine Karenz, egal, wer sie in Anspruch nimmt, dürfen keine Karriere-Nachteile entstehen. Dasselbe gilt für Teilzeitmodelle. Für alle Modelle muss dieselbe Wertschätzung gegeben sein.“ Zusatz: „Der Wiedereinstieg ist aktuell oftmals mit vielen unnötigen Hürden gepflastert – unser Bestreben im Jungmediziner-Referat ist es, gemeinsam mit den Verantwortlichen Karenz für Mütter und Väter besser zu ermöglichen und den Wiedereinstieg deutlich zu erleichtern.“

Zuviel Bürokratie

Erschwerend zu allen genannten Faktoren kommt hinzu, so Sitter, dass viel zu viel der ärztlichen Arbeitszeit in den Krankenhäusern für dokumentarische und bürokratische Schreibarbeiten vergeudet werde. „Daher wünschen wir uns schon lange administrative Unterstützung, damit wir jene Arbeit machen können, für die wir auch ausgebildet wurden und die uns am Herzen liegt – nämlich Ärztin oder Arzt zu sein und ausreichend Zeit für unsere Patienten zu haben.“ Die Österreichische Ärztekammer fordert seit langem, dass Dokumentationsassistenten auf den Stationen angestellt werden müssen, die dabei unterstützen und die Ärzte freispielen. Sacherer beschreibt, wie es aktuell aussieht: „Wegen der vielen Bettensperren verbringen wir im Nachtdienst Stunden damit, herumzutelefonieren und freie Betten für Patienten zu finden. Dazu ist eigentlich kein Arzt nötig.“

Mehr Zeit für Ausbildung

Ein weiterer wichtiger Faktor für die Jungen ist die Qualität der Ausbildung: Bis Mitte Mai hat die bisher größte Evaluierung der ärztlichen Ausbildung stattgefunden – in Kooperation von Österreichischer Ärztekammer und ETH Zürich. Die Ergebnisse werden im September präsentiert und sollen dazu beitragen, die Qualität der Ausbildung abzusichern. „Wir wissen, dass die Ausbildung für die jungen Ärztinnen und Ärzte extrem wichtig ist und dass diese jederzeit bereit sind, in ein anderes Land zu gehen, wenn dort die Ausbildung und die Karrierechancen besser sind. Die Ausbildung muss genutzt werden, um ärztliche Kompetenz zu erwerben. Dazu muss sie ernst genommen werden.“, betont Sacherer.

Das unterstreicht Harald Mayer, Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte und Vizepräsident der ÖÄK: „Seit Jahren fordern wir, dass in Österreich an jeder Abteilung, an der ausgebildet wird, mindestens ein Ausbildungsoberarzt eingesetzt werden muss. Noch ist dies leider nicht der Fall. Hier wird von den Spitalsträgern am falschen Fleck gespart, die Ressourcen für die Ausbildung müssen drastisch erhöht werden. Die Arbeitsbelastung der Ärzte in den Spitälern nimmt weiter zu, Ausbildung kann nicht als ‚Hobby‘ unserer Ärzte betrachtet werden – es wäre ein überfälliges Zeichen der Wertschätzung, wenn die Spitalsträger flächendeckend Ausbildungsoberärzte installieren würden.“

Richtige Schlüsse ziehen

Die Bedürfnisse der Jungen zu hören ist das eine, daraus zu lernen und die richtigen Schlüsse zu ziehen, das andere: „Wir müssen nun daran arbeiten, diesen Katalog an Wünschen auch konkret umzusetzen. Die Generation, die das Gesundheitssystem künftig tragen wird, setzt dabei ihre Hoffnungen in uns – so wie wir unsere Hoffnungen in sie setzen, was die zukünftige Gesundheitsversorgung in Österreich angeht. Nur wenn wir das schaffen, wird einerseits der Arbeitsplatz Österreich für Jungärzte auch weiterhin attraktiv bleiben und andererseits die hochqualitative Versorgung unserer Patienten gesichert sein“, fasst Mayer zusammen. „Wir sind bereit, alles dafür zu tun, dass die Wünsche nicht nur fromm bleiben, sondern auch in Erfüllung gehen und werden uns politisch dafür einsetzen.“ Dass aber nicht nur die Bedürfnisse der Jungen ernst genommen werden, sondern auch jene der älteren Ärztinnen und Ärzte, wenn es darum geht, gesund und fit bis zum Pensionsalter arbeiten zu können und vielleicht sogar darüber hinaus, oder wenn es darum geht, wie man die hohe Expertise der älteren Ärzteschaft etwa in der Ausbildung nutzen kann, wird im Herbst 2023 bei einer weiteren Spitals-Enquete der Bundeskurie angestellte Ärzte thematisiert und diskutiert werden. Der konkrete Termin dafür ist in Planung und wird sobald wie möglich auch in der ÖÄZ bekanntgegeben.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2023