Ausbildungsevaluierung: Dringend handeln

25.09.2023 | Aktuelles aus der ÖÄK

Die bisher größte Ausbildungsevaluierung in Österreich hat ergeben, dass kleinere Abteilungen und die Lehrpraxen sehr gut beurteilt werden, es aber Verbesserungsbedarf bei der Vermittlung von evidenzbasierter Medizin gibt, betont die Bundeskurie angestellte Ärzte der Österreichischen Ärztekammer.

Thorsten Medwedeff

Zwischen März und Mai 2023 haben alle Ärzte in Basisausbildung, Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin sowie zum Facharzt mittels 52 Fragen die wichtigsten Faktoren der ärztlichen Ausbildung beurteilen. Die Themenfelder umfassten die Bereiche Globalbeurteilung, Fachkompetenz, Lernkultur, Führungskultur, Fehlerkultur, Entscheidungskultur, Betriebskultur und evidenzbasierte Medizin. Harald Mayer, ÖÄK-Vizepräsident und Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte (BKAÄ), fasst die zentralen Erkenntnisse zusammen: „Die ärztliche Ausbildung in Österreich ist okay, aber definitiv nicht gut genug, daher ist dringend Handlungsbedarf gegeben, um konkurrenzfähig zu bleiben.“ Zudem zeige die Umfrage, dass kleinere Abteilungen deutlich besser ausbilden und besser beurteilt wurden, hier sieht Mayer Verbesserungspotential bei den großen Abteilungen. Sehr gut beurteilt wurden die Lehrpraxen, eher schlecht dagegen die Basisausbildung und die Vermittlung der evidenz-basierten Medizin.

Für die Auswertung und die technische Umsetzung war die Eidgenössische Technische Hochschule in Zürich (ETH Zürich) mit Projektleiter Michael Siegrist verantwortlich. 44 Prozent der Fragebögen wurden von den Turnusärzten ausgefüllt und anonym retourniert, immerhin das Dreifache im Vergleich zu bisher üblichen Online-Umfragen. In sechs Bundesländern lag die Rücklaufquote bei über 50 Prozent, herausragend war dabei Vorarlberg mit über 65 Prozent, Schlusslicht war die Steiermark (33 Prozent).

Potential nach oben

Ärgerlich für Mayer sei, dass einige durchaus große Abteilungen mit über elf gemeldeten Turnusärzten in Sonderfach und Allgemeinmedizin eine Null-Prozent-Rücklaufquote hatten: „Das ist für mich nicht nachzuvollziehen.“ So sei auch zu erklären, dass man die Rücklaufquote in der Schweiz – dort beteiligten sich bei ähnlichen Umfragen über 70 Prozent – nicht erreichen konnte. „Hier gibt es noch viel Verbesserungsspielraum“, sagt Mayer.

Das befand auch Siegrist: „Die Rücklaufquote ist für den ersten Anlauf gut, aber es gibt noch Potential nach oben, auch beim Vergleich der Beurteilungen mit der Schweiz. Dort gab es in allen abgefragten Bereichen bessere Bewertungen. Rund acht Prozent der Ausbildungsstätten haben einen aus meiner Sicht ungenügenden Gesamtschnitt von 3,5 und darunter erzielt.“ Das Maximum lag bei 6,0. Positiv anzumerken sei aber, dass insgesamt 130 Abteilungen in den heimischen Spitälern mit mindestens 5,5 bewertet wurden. Die Top-Abteilungen wolle man, betont Mayer, vor den Vorhang holen und auszeichnen – bei jenen Abteilungen, in denen der Rücklauf gleich Null war, wolle man Gespräche und Visitationen anregen, auch wenn es leider nach wie vor keine gesetzliche Visitationsverordnung gibt und die Politik hier säumig ist. Die Bundeskurie werde weiterhin mit allen Kräften daran arbeiten und Überzeugungsarbeit leisten, um die Rücklaufquote im nächsten Jahr deutlich zu erhöhen, bekräftigt Mayer: „Wir können nicht von der Politik und den Krankenhausträgern fordern, Ausbildung endlich ernst zu nehmen und in die ärztliche Ausbildung zu investieren, wenn es in unseren eigenen Reihen ein teilweise sehr geringes Interesse gibt. Wir müssen uns hier an der eigenen Nase nehmen und der Politik die nötige Ernsthaftigkeit des Themas vorleben.“ Im März 2024 gibt es eine neuerliche Ausbildungsevaluierung.

Ernst nehmen werde man auch die, so Mayer, „blamable Bewertung“ beim Punkt „Evidence based Medicine“, die mit 3,67 einsames Schlusslicht ist und damit auch wesentlich schlechter als in Schweiz (4,45) beurteilt wurde: „Das ist kein Ruhmesblatt für uns Ärzte. Aber auch wir sind nicht fehlerfrei. Wie müssen uns deutlich verbessern – das werden wir auch standespolitisch untermauern,“ sagt Mayer. Die Detailergebnisse ließen auch den Schluss zu, dass für dieses Feld, das eines der zeitaufwändigsten in der Lehre sei, offenbar die Zeit fehle: „Wir werden uns massiv dafür einsetzen, dass für dieses enorm wichtige Thema mehr Ausbildungszeit möglich gemacht wird.“

Der Faktor Zeit

Der Faktor Zeit steht generell im Fokus, wie auch Stefan Ferenci, stellvertretender BKAÄ-Obmann, untermauert: „Die Arbeitgeber in unseren Spitälern müssen endlich jene Bedingungen schaffen, die garantieren, dass eine optimale Ausbildung sowohl für die Lehrenden als auch für die Auszubildenden innerhalb von 40 Stunden Arbeitszeit zu schaffen ist. Die Zeiten, in denen man 80 oder mehr Stunden arbeiten musste und wollte, sind Gott sei Dank vorbei.“ Es brauche auch mehr Fachärzte, um die Ausbildung zu supervidieren, zudem befinde sich die ärztliche Ausbildung im Umbruch: „Im Spannungsfeld zwischen immer größerer Arbeitsbelastung im klinischen Alltag, zunehmender Spezialisierung in der modernen Medizin und der Forderung der jüngeren Generationen nach einer besseren Vereinbarkeit von Ausbildung und Familie soll die postgraduelle ärztliche Ausbildung in hoher Qualität stattfinden“, sagt Ferenci. Das alles unter einen Hut zu bringen, sei eine der größten Herausforderungen: „Gelingt uns dies nicht, werden wir viele Jungärzte verlieren.“

Mayer brachte auch die Faktoren Bürokratieabbau und Digitalisierung sowie die Forderung nach einem Ausbildungsoberarzt an jeder Abteilung, an der ausgebildet wird, ins Spiel. Alles, was im Spital nicht analog, sondern digital erledigt werden könne und die Ärzte entlaste, sei zu begrüßen: „Es mangelt an der technischen Unterstützung bei nicht-ärztlichen Tätigkeiten, zum Beispiel beim Verfassen von Entlassungsbriefen, aber auch beim Personalmanagement. Das alles würde Zeit für Ausbildung freischaufeln.“ Denselben Effekt hätte es, flächendeckend Ausbildungsärzte in Österreich einzusetzen, um dem ärztlichen Selbstverständnis gerecht zu werden, dass Ausbildung ein wichtiger Teil des Arztberufs ist und auch die Primarii dadurch zu entlasten: „Die Ressourcen für Ausbildung müssen drastisch erhöht werden, die Ausbildung von Jungärztinnen und Jungärzten ist wirklich kein Hobby.“

Strukturen ändern

Nach dem erfolgreichen Abschluss eines Medizinstudiums folgt zunächst die neun Monate dauernde Basisausbildung. Diese wurde in der Ausbildungsevaluierung sehr schlecht bewertet. Daniel von Langen, Vorsitzender des ÖÄK-Bildungsausschusses, gibt daher zu bedenken: „Wir müssen mutig sein und ganz konkret drüber nachdenken, Strukturen zu ändern und darüber diskutieren, die Basisausbildung abzuschaffen. Diese ist ein deutlicher Wettbewerbsnachteil gegenüber unseren Mitbewerbern um die besten Köpfe. In Deutschland und in der Schweiz gibt es diesen Zwischenschritt vor der Facharztausbildung nicht.“

Außerdem sei das Studium durch das so genannte Klinisch-Praktische Jahr (KPJ) kurz vor dem Ende des Studiums viel mehr in Richtung Praxis weiterentwickelt worden. Was dort in den 48 Wochen gelehrt und gelernt wird, ist den Aufgaben und Lerninhalten in der Basisausbildung sehr ähnlich, führt von Langen an: „Man könnte die praktische Ausbildung im Studium so verfestigen, dass das KPJ die Basisausbildung 1:1 ersetzt und wir Letztere eigentlich nicht mehr brauchen. Ziel wäre es, hier eine gemeinsame Strategie mit den Universitäten und Spitalsträgern anzudenken und zu entwickeln.“

Wettkampf um bessere Beurteilung

Alle Erkenntnisse der Umfrage werden dazu verwendet, Schwächen und Stärken einer Ausbildungsstätte aufzuzeigen, den Austausch zwischen den einzelnen Ausbildungsverantwortlichen und den Ärztinnen und Ärzten in Ausbildung zu fördern und Vergleichsmöglichkeiten zwischen den Ausbildungsstätten zu bieten. „Wir erhoffen uns den Effekt, dass die einzelnen Abteilungen in eine Art ‚Konkurrenz‘ miteinander eintreten und alles für eine bessere Beurteilung unternehmen“, hofft Mayer. Dazu gehört auch ein Wunsch, den die BKAÄ-Vertreter eint: „Es braucht generell noch viel mehr Wertschätzung und Respekt den Jungen gegenüber – entsprechend ihrer Expertise nach sechs Jahren Medizinstudium.“ Respekt den Jungen gegenüber – entsprechend ihrer Expertise nach sechs Jahren Medizinstudium.“

Alle Ergebnisse der Ausbildungsevaluierung sind hier abrufbar: www.aerztekammer.at/ausbildungsevaluierung

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 18/ 25.09.2023