Psy-Diplome der ÖÄK: Umfas­send und gezielt

10.06.2022 | Politik

Bei unge­fähr 30 Pro­zent der Pati­en­ten ist beson­dere psy­cho­so­ma­ti­sche Kom­pe­tenz indi­ziert. Die fun­dierte Aus­bil­dung dafür – die Psy-Diplome der Öster­rei­chi­schen Ärz­te­kam­mer – lie­gen nun in über­ar­bei­te­ter Form vor. 

Luise Zie­ser-Stelz­ham­mer*

Bei einem Drit­tel aller Pati­en­ten grei­fen Dia­gnos­tik und The­ra­pie zu kurz, wenn nur der Kör­per oder die Psy­che berück­sich­tigt wird. In einem noch wesent­lich höhe­ren Pro­zent­satz trifft dies für Pati­en­ten mit Beschwer­den wie Migräne, Reiz­darm, Tin­ni­tus, Schmer­zen, Angst, Schwin­del oder Stress zu. Die Gesamt­si­tua­tion mit den bio logi­schen Gege­ben­hei­ten, Gedan­ken und Gefüh­len sowie die soziale und öko­no­mi­sche Ein­bet­tung in die per­sön­li­che Lebens­welt spie­len eine wesent­li­che Rolle.

Um die­sen viel­schich­ti­gen bio­psy­cho­so­zia­len Zusam­men­hän­gen in der Medi­zin gerecht zu wer­den, hat die ÖÄK 1989 die Diplome für Psy­cho­so­ziale, Psy­cho­so­ma­ti­sche und Psy­cho­the­ra­peu­ti­sche Medi­zin ins Leben geru­fen. 2017 wurde die­ser Weg mit der Ein­füh­rung der Spe­zia­li­sie­rung in fach­spe­zi­fi­scher psy­cho­so­ma­ti­scher Medi­zin kon­se­quent wei­ter­ge­führt. For­schungs­er­geb­nisse zu den Psy-Diplo­men ver­wei­sen auf die dadurch erhöhte Zufrie­den­heit bei Ärz­ten und Pati­en­ten. In einer 2020 im Rah­men der COVID-19-Pan­de­mie durch­ge­führ­ten Stu­die der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Graz in Zusam­men­ar­beit mit der ÖÄK konnte die Auf­recht­erhal­tung einer hohen Behand­lungs­qua­li­tät in Kri­sen­zei­ten durch Kol­le­gen mit Psy-Diplo­men gezeigt werden.

Gesell­schaft­li­che Verantwortung

Die Psy-Diplome sind mehr als theo­re­ti­sche ärzt­li­che Wei­ter­bil­dung. Sie ste­hen für ärzt­li­che Hal­tung, ärzt­li­ches Den­ken und ärzt­li­ches Han­deln glei­cher­ma­ßen. Theo­rie­ge­lei­tet und wis­sen­schaft­lich fun­diert, den öko­no­mi­schen und öko­lo­gi­schen Kon­text berück­sich­ti­gend, ver­bin­den die Psy-Diplome moderne natur­wis­sen­schaft­li­che, bio­me­di­zi­ni­sche und tech­no­me­di­zi­ni­sche Erkennt­nisse mit den geis­tes­wis­sen­schaft­li­chen Erkennt­nis­sen psy­cho­so­zia­ler Gege­ben­hei­ten. Michael Bal­int beschreibt 1957 die Arzt-Pati­en­ten-Bezie­hung und das Medi­ka­ment „Arzt“ als das am häu­figs­ten ver­wen­dete Heil­mit­tel. Das Wis­sen um die Wirk­sam­keit der Bezie­hungs­ge­stal­tung erwei­tert die Mög­lich­kei­ten, die Anlie­gen der Pati­en­ten sorg­fäl­tig zu explo­rie­ren und zu klä­ren. Hal­tung, Den­ken und Han­deln in pro­fes­sio­nel­ler Zwi­schen­mensch­lich­keit bezeu­gen einen umfas­sen­den syn­op­ti­schen Umgang mit kran­ken und lei­den­den Men­schen sowie die Teil­habe und Mit­ver­ant­wor­tung an gesell­schaft­li­chen Pro­zes­sen. Die Ärzte tra­gen hier eine hohe Verantwortung.

Bei unge­fähr 30 Pro­zent der Pati­en­ten ist die beson­dere psy­cho­so­ma­ti­sche Kom­pe­tenz indi­ziert, wel­che die Ver­knüp­fung und Zusam­men­schau von somato-medi­zi­ni­schen Not­wen­dig­kei­ten und psy­cho­so­ma­tisch-psy­cho­the­ra­peu­ti­schen Inter­ven­tio­nen ver­bin­det. Damit wer­den Chro­ni­fi­zie­rung und Dreh­tür­be­hand­lung im ärzt­li­chen und psy­cho­the­ra­peu­ti­schen Bereich ver­mie­den. Für chro­nisch wie psy­cho­so­ma­tisch Lei­dende sind Ärzte mit Psy-Diplo­men ver­sor­gungs­wirk­same und wei­chen­stel­lende Ansprech­part­ner in mul­ti­pro­fes­sio­nel­len Versorgungsnetzwerken.

Über­ar­bei­tung der Psy-Diplome

Nach 18 Jah­ren wur­den die Richt­li­nien der Psy-Diplome über­ar­bei­tet, um eine pra­xis­ori­en­tierte, berufs­be­glei­tende Wei­ter­bil­dung für Ärzte zu sichern. For­male Anpas­sun­gen im Rah­men der Ver­ord­nung über ärzt­li­che Wei­ter­bil­dung von 2018, die bis­he­rige Erfah­rung mit der Psy-Diplom-Wei­ter­bil­dung und die aktu­elle wis­sen­schaft­li­che Ent­wick­lung wur­den ein­be­zo­gen. All­ge­mein­me­di­zi­ner und Ärzte aller kli­ni­schen Son­der­fä­cher kön­nen ent­spre­chend dem Ärz­te­ge­setz wei­ter­hin in ihrem Fach­ge­biet Kom­pe­ten­zen in psy­cho­so­zia­ler, psy­cho­so­ma­ti­scher und psy­cho­the­ra­peu­ti­scher Medi­zin erwer­ben und zur qua­li­täts­ge­si­cher­ten psy­cho­so­ma­ti­schen Ver­sor­gung der Bevöl­ke­rung bei­tra­gen. Die mul­ti­fak­to­ri­elle Genese von Krank­heit und Gesund­heit bedarf einer huma­nis­ti­schen Hal­tung, eines mehr­per­spek­ti­visch bio-psycho-sozio-öko­lo­gi­schen Wis­sens, einer pro­fes­sio­nel­len Bezie­hungs­ge­stal­tung und eines umfang­rei­chen Hand­lungs­an­ge­bo­tes auf allen Ebe­nen des Krank­seins und Gesundseins.

* Dr. Luise Zie­ser-Stelz­ham­mer, MAS; Refe­ren­tin des ÖÄK-Referates für Psy­cho­so­ziale, Psy­cho­so­ma­ti­sche und Psy­cho­the­ra­peutische Medi­zin

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 11 /​10.6.2022