Porträt Jana Kainerstorfer: Diagnose mit dem Licht

25.04.2022 | Politik

Mit der von ihr entwickelten minimalinvasiven Methode misst die Wienerin Jana Kainerstorfer Veränderungen des zerebralen Blutflusses. Schon als 30-Jährige wird sie als Assistant Professor für Biomedical Engineering an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh ­berufen – verbunden mit einem eigenen Labor.

Ursula Scholz

Physik oder Medizin? Weil sie sich nicht entscheiden konnte, wollte die Wienerin Jana Kainerstorfer beides studieren. Die Entscheidung zugunsten der Physik fiel letztlich durch ihren Nebenjob in der Bibliothek des Physik-Instituts der Universität Wien. „Der persönliche Kontakt zu den Professoren, der sich in der Bibliothek ergeben hat, war ausschlaggebend, mich auf die ­Physik zu konzentrieren“, erzählt Kainerstorfer. Parallel zum Physik­studium assistierte sie allerdings auch einem Arzt der MedUni Wien im AKH bei seiner schmerztherapeutischen Forschung. Der Draht zur Medizin riss nie ab; die Verbindung in die USA, die Kainerstorfer schon während des Studiums in einem Austauschsemester an der Georgetown University in Washington DC geknüpft hat, ebenso wenig. „Ich habe an der Georgetown University nicht nur Vorlesungen gehört, sondern konnte in einem Labor mitarbeiten, in dem mit funktioneller Magnet­resonanztomografie geforscht wurde. Ein Wissenschafter dort hat sich mit der optischen Bildgebung von Gehirnen beschäftigt und so bin ich durch Zufall in dieses Forschungsgebiet hineingerutscht.“

Schon ihre Diplomarbeit schrieb sie über Nah-Infra-Rot-Spektros­kopie (NIRS) mit Betreuern in Wien und Washington in Kooperation mit der Georgetown University, Washington DC. Bei den National Institutes of Health (NIH) fand Kainerstorfer die Möglichkeit, anschließend auch eine bezahlte Dissertation zu schreiben, tatkräftig unterstützt von ihrem österreichischen Betreuer Assoc. Prof. Christoph Hitzenberger vom Zentrum für Medizinische Physik und Biomedizinische Technik der MedUni Wien.
Beschäftigte sich Kainerstorfer im Rahmen ihrer ­Dissertation noch mit der optischen Bildgebung der Haut für ein ­Monitoring der Nebenwirkungen von onkologischen Therapien, fokussiert sie ihre Forschung mittlerweile auf Gehirn-­Diagnostik. Als Postdoc an der Tufts University in Boston, wo sie dreieinhalb Jahre arbeitete, detektierte sie bei Patienten mit Diabetes mellitus und Dialysepflichtigen Veränderungen des zerebralen Blutflusses mittels NIRS. „Es zeigt sich, dass bei manchen Krankheiten die Fähigkeit des Gehirns, den Blutfluss selbst zu regulieren, messbar abnimmt“, erläutert Kainerstorfer. In Boston blieb sie nicht, bei den Blutfluss­messungen schon. Mit Anfang 30 wurde sie als Assistant Professor für Biomedical Engineering an der Carnegie Mellon University Pittsburgh berufen – in einem auch für US-amerikanische Verhältnisse jungen Alter. Damit verbunden waren ein eigenes Labor und genügend finanzielle Ressourcen für ihre Forschung.

Minimalinvasive Methode

Mit der von ihr entwickelten minimalinvasiven Methode misst die heute 38-Jährige den Blutfluss, die Sauerstoffsättigung und den Gehirndruck. Dabei wird ein Sensor auf die Stirn der Probanden gesetzt, der über mehrere optische Fasern die Information übermittelt, in welcher Form das ausgesandte Licht vom Gewebe reflektiert wird. Soeben wurde die Methode an 15 ICU-Patienten erprobt, denen außerdem eine Gehirndrucksonde gesetzt worden war, wodurch die Werte der minimalinvasiven Messung mit jenen der herkömmlichen Methode verglichen werden konnten.

Gehirndruckveränderungen und ein veränderter Blutfluss sind nach Traumata, bei Hydrocephalus oder nach einem Insult messbar, könnten aber auch in Zusammenhang mit Diabetes mellitus oder Demenz auftreten. Kainerstorfer versucht, besonders die neurovaskuläre Kopplung zu verstehen, also jenen physiologischen Vorgang, der der Blutflussregulation zugrunde liegt. „Derzeit können wir nur die Korrelation zwischen Krankheit und verändertem Blutfluss aufzeigen, kennen aber deren Ursache noch nicht.“ Ein weiteres Erkenntnisinteresse von Kainers­torfer gilt der Auswirkung der Gehirn-internen Blutfluss­regulation auf neuronale Aktivitäten.

Ziel: neues bildgebendes Verfahren

Die Hämoglobin-Messungen mit ihrer Methode geben wiederum Hinweise, welches Gehirnareal gerade besonders aktiv ist, denn dort steigt mit der Durchblutung auch der Hämoglobingehalt an. „Ich möchte ein bildgebendes Verfahren entwickeln, das die Diagnostik oder Therapie so optimiert, dass damit Menschen direkt geholfen werden kann“, formuliert sie ihr Forschungsziel.

Je höher Jana Kainerstorfer in der akademischen Welt aufstieg, desto öfter war sie die einzige Frau im Raum oder zumindest diejenige mit der höchsten Seniorität. Trotzdem wurde sie bei einem Vortrag auch einmal für eine Sekretärin gehalten. In ihrem eigenen Labor gibt es nach diesen Erfahrungen „zero tolerance“ für Diskriminierung. Dass Männer und Frauen darin gleichermaßen repräsentiert sind, „hat sich aber einfach so ergeben. Es gab Zeiten, in denen auch Wissenschafter von vier Kontinenten in meinem Labor vertreten waren.“

Ebenso vielfältig wie ihr Team ist die Anwendung der Diagnostik von Kainerstorfer mittels Licht, denn neben den großen Messungen verfolgt sie ein paar „Nebenprojekte“. Ihre Probanden sind einmal schwangere Frauen, dann wieder Menschen mit dunkler Hautfarbe. Und Delfine. „Bei den Schwangeren messen wir mit optischen Methoden die Sauerstoffsättigung des Fötus und versuchen dabei zu klären, wie tief in den Körper wir mit Licht kommen.“ Eine weitere Forschungsfrage hat sich besonders in der Pandemie als dringlich erwiesen: Die Ergebnisse herkömmlicher Pulsoximeter sind nur für Menschen mit heller Hautfarbe verlässlich. Im Labor von Kainerstorfer wird daher an einer Analysemethode gearbeitet, deren Ergebnisse nicht von der Hautfarbe abhängen. An den Delfinen – und analog dazu bei Apnoe-Tauchern – versucht Kainerstorfer zu entschlüsseln, wie das Gewebe auf das minutenlange Anhalten von Luft reagiert. „Wir konnten bereits beweisen, dass das Gehirn das letzte Organ ist, das Sauerstoff verliert.“ Tauchen – allerdings mit Gerät – zählt auch zu den Hobbys von Kainerstorfer – und so lässt sich manchmal eine Messreihe auch mit dem eigenen Vergnügen verbinden. Daneben entspannt sie sich beim argentinischen Tango-Tanzen und trainiert aktuell für einen Halbmarathon.

Verlässliche Motivation

Was Kainerstorfer verlässlich motiviert, ist der Enthusiasmus für ihre Forschung. In ihr treffen Wissensdurst und Ehrgeiz aber auch auf das Bedürfnis, „kindness“ zu leben: als Lehrende, als Kollegin, als Mensch an sich. Die Begeisterung für die Arbeit geht so weit, dass sie manchmal aufs Einkaufen vergisst und obwohl sie gerne kocht, dafür keine Zeit mehr findet. Vorbei ist die Phase, als sie noch allwöchentlich einen Kuchen mit ins Labor gebracht hat, weil sie so große Sehnsucht nach den heimischen Süßspeisen hatte. Kommt ihre Mutter aus Wien zu Besuch, erstreckt sich das Ritual des Wiedersehens auch auf Kulinarisches: Da wird Ochsenschlepp gekocht, Gulasch – und der familien­eigene Schokoladekuchen mit einer Glasur, die nur in Österreich erhältlich ist ….

Kainerstorfer lässt sich nicht nur gerne bemuttern, sondern bemüht sich ihrerseits darum, den akademischen Nachwuchs in ihrem Umfeld nach Kräften zu fördern. „Ich bin so dankbar für all das, was mir meine Mentoren mitgegeben haben und bin mir dessen bewusst, dass ich in meiner Karriere auch viel Glück gehabt habe. Davon möchte ich etwas an die nächste Forscher-Generation weitergeben.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 08 / 25.04.2022