Porträt: Florian Reichmann: Vererbte Aggressionen

25.01.2022 | Politik

Da 70 Prozent der Zebrafisch-Gene in ähnlicher Form auch beim Menschen vorkommen, können Erkenntnisse aus Beobachtungen als Basis für Überlegungen bei menschlichem Aggressionsverhalten dienen. Der Grazer Florian Reichmann konnte nachweisen, dass bei Zebrafischen das aggressive Verhalten vererbbar ist.

Manuela-C. Warscher

Wie schnell wird der Zebrafisch auf sein Spiegelbild losgehen, wie lange hinschnappen und den vermeintlichen Gegner verfolgen? Mit diesem „Spiegeltest“, den er filmisch dokumentiert und anschließend auswertet, erforscht der Grazer Florian Reichmann, der sich in Ausbildung zum Facharzt für Pharmakologie befindet, das Aggressionsverhalten von Zebrafischen. Rund 70 Prozent der Zebrafisch-Gene kommen nämlich in ähnlicherForm auch beim Menschen vor, weshalb Studien an den Fischen durchaus als Basis für Überlegungen zu menschlichem Aggressionsverhalten dienen können. Ein weiterer Vorteil der ausgewählten Versuchstiere besteht darin, dass Zebrafische sehr fruchtbar sind und sich rasch vermehren, wodurch sich in relativ kurzer Zeit Beobachtungen über mehrere Generationen hinweg anstellen lassen. „Vor meiner Arbeit mit Zebrafischen habe ich an Mäusen geforscht, die ein ebenso breites Verhaltensspektrum zeigen“, erzählt Reichmann. „Durch einen Kongress bin ich dann aber auf die Zebrafische aufmerksam geworden, deren Larven transparent sind und sich damit besonders gut für Beobachtungen mittels Imaging Applications eignen.“ So kann zumindest bei den transparenten Jungschen auch die Gehirnaktivität mittels Markersubstanz nachverfolgt werden. Nicht immer trat allerdings die erwartete Arbeitserleichterung durch die eingesetzte Technik ein: Denn die Videotracking-Software für die Zebrafisch-Verhaltensanalyse hat sich letztlich als nur bedingt aussagekräf erwiesen. „Ich habe mir dann viele Videos nochmals selbst angeschaut und sie analysiert“, berichtet Reichmann.

Zwei Grundfragen

Für seine Zebrafisch-Verhaltensforschung „Environmental and genetic basis of aggression in zebrafish“ erhielt Reichmann ein Erwin-Schrödinger-Stipendium vom FWF und konnte damit zwei Jahre an der University of Leicester arbeiten. Im Team von Will Norton züchtete er zwei spezielle Zebrafischlinien: einerseits eine Linie, für die immer die aggressivsten Männchen und Weibchen miteinander gepaart wurden und andererseits eine Linie, die mittels Genschere CRISPR/Cas9 so verändert wurde, dass sie keinen Histamin-3-Rezeptor im Gehirn ausbildet. Dieser Rezeptor war in vorangegangenen Studien mit Veränderungen im Aggressionsverhalten in Verbindung gebracht worden und Reichmann wollte nun dessen Einfluss auf das Verhalten klären.

Seine Forschungsarbeit lieferte schließlich in beiden Fragestellungen deutliche Ergebnisse. Einerseits erbrachte er den Nachweis, dass aggressives Verhalten bei Zebrafischen vererbbar ist: „Über mehrere Generationen lässt sich durch entsprechende Selektion die Aggressionsbereitschaft sogar noch steigern. Die Beobachtungen sind sehr konsistent, weshalb man jedenfalls sagen kann, dass genetische Faktoren im Aggressionsverhalten von Zebrafischen eine Rolle spielen.“

Furchtsame Mutanten

Auch die Mutanten mit dem eliminierten Histamin-3-Rezeptor zeigten eine deutlich veränderte Aggressionsbereitschaft, allerdings mit umgekehrtem Vorzeichen: Schon als Jungfische im Alter von vier Tagen waren sie ängstlicher und bewegten sich vorsichtiger als Individuen des Wildtyps. „Ihre sozialen Interaktionen und das Verhalten im Schwarm blieben jedoch unauffällig“, so Reichmann. Der Rezeptor scheint also sehr spezifische Auswirkungen auf die Aggressivität zu haben und nicht einfach generell das Verhalten zu modulieren.

Die besonders aggressiv gezüchteten Fische ohne Genmutation und der Wildtyp wurden anschließend noch mittels RNA-Sequenzierung auf Unterschiede in der genetischen Aktivierung hin untersucht. „Die beiden Linien unterschieden sich stark; und zwar in rund 500 Genen“, berichtet Reichmann. „Die Analyse deutet zudem darauf hin, dass einige Gene, die mit dem Immunsystem assoziiert sind, in aggressiven Fischen stärker ausgeprägt sind.“ Ein für den Arsen-Metabolismus zuständiges Gen zeigte besonders signifikante Unterschiede zwischen den beiden Linien. Dieses Gen wird beim Menschen mit Schizophrenie in Zusammenhang gebracht, woraus sich neue Forschungsansätze ergeben könnten.

Aufbau einer Forschungsinfrastruktur

Für weitere Verhaltensforschung an Zebrafischen baut Reichmann gerade in Graz eine eigene Fischpopulation auf; ein Teil davon soll aus England eingeführt werden. In einem Standardaquarium werden dann 20 bis 30 Fische jeweils einer Zuchtlinie leben, streng getrennt. Im Vollausbau seiner Forschungsinfrastruktur rechnet Reichmann mit einer Gesamtpopulation von 1.000 bis 2.000 Zebrafischen, an denen parallel geforscht werden kann. Reichmann, der als erster an der Medizinischen Universität Graz mit Zebrafischen arbeitet, möchte dann auch Forschern anderer Disziplinen Kooperationsangebote unterbreiten.

Tendenz verstärkt

Reichmann ist nahe der obersteirischen Kleinstadt Leoben aufgewachsen und kam zum Medizin-Studium nach Graz, wo er schon vor seiner Zeit in Großbritannien am Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie tätig war. Trotz der anregenden Forschungserfahrung im Ausland möchte er gerne an seiner Heimatuniversität bleiben. Zur Zeit beendet er gerade seine Facharztausbildung für Pharmakologie und Toxikologie, hat sich im Vorjahr habilitiert und ist am Otto Loewi-Forschungszentrum am Lehrstuhl für Pharmakologie als Universitätsassistent tätig. „Ich wollte immer schon in die Forschung gehen und diese Tendenz hat sich im Rahmen der Diplomarbeit auf der Pharmakologie nur noch verstärkt.“ Gleich im Anschluss an seine Promotion absolvierte Reichmann zusätzlich ein PhD-Studium in Neurosciences an der Grazer MedUni, das sein Wissen in puncto Methodik und Studiendesign erweiterte, und dissertierte in der Forschungseinheit für Translationale Neurogastroenterologie. Seither steht die Verhaltensforschung im Fokus seines Interesses.

Die Erkenntnisse von Reichmann zählen zur Grundlagenforschung; Überlegungen zur langfristigen klinischen Anwendbarkeit seiner Ergebnisse stellt er trotzdem an. „Bis zu einer möglichen Medikamentenentwicklung zur Modulation aggressiven menschlichen Verhaltens ist es von meinen Ergebnissen weg sicher noch ein langer Weg.

Der nächste Schritt wird sein, die Rolle des Histamin-3-Rezeptors beispielsweise auch bei anderen Tieren zu untersuchen.“ Reichmann selbst möchte mit Zebrafischen weiterarbeiten und sie nicht nur mit ihrem gespiegelten Selbst, sondern auch mit realen Artgenossen kämpfen lassen. Ausgehend von den erwiesenen genetischen Unterschieden zwischen aggressiv gezüchteten Fischen und dem Wildtyp will er noch weitere mögliche „Aggressions-Gene“ einzeln untersuchen.

Mit Beharrlichkeit Ziele zu verfolgen und dranzubleiben, ist Teil seiner Persönlichkeit. Nach seinem eigenen Verhältnis zur Aggression gefragt, lacht er aber nur. Er sei eher ein ruhiger als ein aggressiver Typ, meint er. Wer stundenlang vor Aquarien sitzt, um Verhaltensnuancen von Fischen zu detektieren, braucht vermutlich eine gewisse Portion Geduld und Seelenruhe. Den Kontrast dazu findet Florian Reichmann – wenn ihn nicht gerade eine Pandemie bremst – im Abenteuer des Reisens. Denn er sieht durchaus gerne auch über den Rand des Aquariums hinaus.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 01-02 / 25.01.2022