Porträt Corina Madreiter-Sokolowski: Geheimnis des Gleichgewichts

16.08.2022 | Politik

Wie bringt man die Wirkstoffe von Grüntee und Rotwein so in die Zelle, dass sie deren Alterung effektiv verlangsamen? Kann man das Altern auch in Zeitlupe ablaufen lassen? Für ihre Forschung dazu erhielt Corina Madreiter-­Sokolowski kürzlich den Elisabeth­-Lutz-Preis.

Ursula Scholz

Kann man das Altern auch in Zeitlupe ablaufen lassen? Das ist eine der Fragen, mit denen sich Ass. Prof. Corina Madreiter­-Sokolowski von der Forschungsgruppe am Gottfried Schatz Forschungszentrum der Medizinischen Universität Graz befasst. Sie forscht am mitochondrialen Energiehaushalt und zeigt im Zellmodell und am Fadenwurm Caenorhabditis elegans, wie Resveratrol aus Rotwein und Katechine aus Grüntee in die Zellfunktion eingreifen können und damit den Alterungsprozess des Gesamtorganismus verlangsamen. Beide Substanzen modulieren die Mitochondrien, die Adenosintriphosphat (ATP) generieren und Energie für die Zellen bereitstellen. „Resveratrol überlädt die alten Zellen mit Kalzium, wodurch sie in den Zelltod getrieben werden. Entzündungsprozesse, die üblicherweise von seneszenten Zellen ausgehen, werden damit vermindert“, erklärt Madreiter-­Sokolowski. Die Katechine im Grüntee­Extrakt hingegen beeinflussen die ROS­-Homöostase (reactive oxygen species), die Balance der Sauerstoffradikale. Für ihre Arbeit über die Zellatmung wurde Madreiter­Sokolowski vor kurzem mit dem Elisabeth-­Lutz-Preis der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ausgezeichnet.

Madreiter­-Sokolowski konnte mit dem Betreuer ihres zweijährigen Erwin-­Schrödinger­-Projektes an der ETH Zürich, Michael Ristow, nachweisen, dass es bei den ROS nicht um Minimierung, sondern um eine Homöostase geht. Zuviel ROS schaden dem Organismus, aber auch zu wenig davon ist nicht gut. In einer Studie von Ristow erhielten Sportler während einer Trainingsphase Antioxidantien verabreicht, damit die unter Belastung entstehenden Sauerstoffradikale sofort neutralisiert werden. Ergebnis: Der Trainingseffekt blieb aus. Katechine, die kurzzeitig die Levels an Sauerstoffradikalen erhöhen können, zeigen lebensverlängernde Wirkung. „Unsere These ist, dass ROS in der richtigen Dosis für den Körper sogar wichtig sind, indem sie die Immunabwehr trainieren“, erläutert Madreiter­-Sokolowski. „Es ist wie bei einer Impfung, bei der man mit einer geringen Dosis der Noxe den Organismus darauf vorbereitet, damit umzugehen.“

Wie bringt man Wirkstoffe beispielsweise aus Grüntee oder Rotwein optimal zur Wirkung in der einzelnen Zelle? „Der Nachteil der sekundären Pflanzenstoffe liegt in ihrer mangelhaften Bioverfügbarkeit. Das bedeutet, am Wirkort kommt nur ein sehr geringer Teil des Wirkstoffs an. Unser Ziel ist daher, diese Stoffe chemisch derart abzuwandeln, dass sie nicht gleich von abbauenden Enzymen verstoffwechselt werden.“ Weiters kann auch die Bindungsfähigkeit an das Zielprotein verbessert werden. Folglich testet die Forschungsgruppe von Madreiter­Sokolowski verschiedenste „Compounds“ und deren Derivate – also durch beispielsweise Phenyl­, Hydroxyl­ und Methylgruppen abgeänderte Substanzen – im zellulären Alterungsmodell. Dabei werden zelluläre Ionenströme, ATP­-Levels und die ROS­-Homöostase mithilfe von Biosensoren ermittelt.

Vom Fadenwurm zum Medikament

Getestet wird aber auch am Fadenwurm, dessen Fitness und Lebensspanne beobachtet werden. Dazu werden die Würmer mit den Wirkstoffen gefüttert, indem sie über Agarplatten kriechen, die mit Wirkstoffkandidaten präpariert sind. Schließlich werden zum Sichtbarmachen der zugrundeliegenden Vorgänge im Organismus fluoreszierende Proteine in den von Natur aus transparenten Wurm eingebracht. Die Erkenntnisse am Fadenwurm seien laut Madreiter-­Sokolowski durchaus auf den Menschen übertragbar – gebe es doch viele orthologe Gene in deren Organismen. Trotzdem dauert es an die 15 Jahre, bis eine im Labor als Wirkstoff identifizierte chemische Verbindung schließlich als Medikament zugelassen wird. In der Zwischenzeit bleibt nur die Möglichkeit, bereits bekannte Mechanismen zur Verzögerung des Alterungsprozesses anzuwenden: Kalorienrestriktion und präventive Medizin. Künftig, so Madreiter­-Sokolowski, werde man wohl jedem Einzelnen nach einem Screening im Hinblick auf genetische Eigenschaften individuelle Präventionsmaßnahmen vorschlagen, um möglichst langsam zu altern.

Abseits der Forschung

Madreiter-­Sokolowski, die sich schon als Ausdauersport­begeisterte Schülerin für den Energiestoffwechsel interessiert hat und ihre Vorwissenschaftliche Arbeit vor der Matura über Mitochondrien geschrieben hat, beobachtet nicht nur den mitochondrialen Energieumsatz von Zellkulturen und Fadenwürmern, sondern auch sich selbst. Die eigenen Forschungserkenntnisse berücksichtigend hat sie bereits verschiedene Ernährungsweisen ausprobiert und eine Ausbildung zur Ernährungsberaterin für Sportler absolviert. Sie läuft Marathon und geht im Winter gern Langlaufen.

Trotz ihrer Leidenschaft für Biochemie und Zellbiologie wollte sie ursprünglich Klavierpädagogik studieren. Fünf bis sechs Stunden pro Tag hat Madreiter­-Sokolowski in ihrer Jugend am Klavier geübt und ist aus Zell am See nach Salzburg gependelt, um am Musikum Unterricht nehmen zu können. Sie spielte so exzellent, dass ihr Klavierlehrer ihr Schüler vermittelt hat. Beim Hineinschnuppern in das Unterrichten weniger motivierter Schüler kamen ihr dann Zweifel, ob sie wirklich Klavierlehrerin werden wollte. Letztlich führte ihr Ausbildungsweg über die Pharmazie bis zur Molekularbiologie und Biochemie. Im Nachhinein bezeichnet sie diesen Weg als „goldrichtig“. Die Leidenschaft für das Klavier ist ihr geblieben. „Seit einem halben Jahr nehme ich wieder bei meinem ursprünglichen Lehrer Unterricht“, erzählt Madreiter-­Sokolowski. „Und ich übe jeden Tag.“ Am liebsten Chopin.

Mit ebendieser Zielstrebigkeit, aber auch einer Portion Kreativität und Kompromissbereitschaft verfolgt Madreiter­Sokolowski ihre wissenschaftliche Karriere. Die 32­-Jährige hat eine Assistenzprofessur an der MedUni Graz, leitet eine fünfköpfige Forschungsgruppe und strebt nach mehr: Eine volle Professur, aber auch die Leitung eines Forschungszentrums stehen auf ihrer Wunschliste. „Ich will etwas bewirken!“, betont sie. Erfolg misst sie an der eigenen Zufriedenheit – und wenn ein Forschungsantrag oder eine Publikation angenommen sind, steckt sie sich gleich wieder ein neues Ziel.

Mit Ausdauer zum Ziel

Eines dieser Ziele war jenes Schrödinger­Stipendium, das sie für zwei Jahre an die ETH Zürich gebracht hat. Gemeinsam mit ihrem Mann und dem Kater übersiedelte sie in die Schweiz, wo sie u.a. die geradlinige Korrektheit durchaus schätzt. Selbst wenn sie anfangs öfter einmal einen Zug verpasst hat. In Zürich nahm sie auch an der SOLA­-Stafette teil, einem traditionellen akademischen Staffellauf. Die achteinhalb Kilometer Strecke, die dabei auf den einzelnen Läufer entfallen, waren für sie allerdings nur zum Aufwärmen. Lieber dreht sie Runden über 20, 30 Kilometer. Ihre eigene Energiebereitstellung hat sie schon optimiert. Beim Fadenwurm ist sie dicht dran.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2022