Medi­zin-Nobel­preis 2022: Woher kom­men wir?

26.10.2022 | Politik

Der dies­jäh­rige Medi­zin-Nobel­preis geht an den schwe­di­schen Arzt und Anthro­po­lo­gen Svante Pääbo. Seine For­schun­gen auf dem Gebiet der mensch­li­chen Evo­lu­tion zei­gen den Ein­fluss, den der Anteil von archai­scher DNA auf die Phy­sio­lo­gie des moder­nen Men­schen hat.

Woher kom­men wir? Was unter­schei­det den Homo sapi­ens von sei­nen Vor­fah­ren und macht uns ein­zig­ar­tig? Um nicht weni­ger als diese fun­da­men­ta­len Fra­gen dreht sich seit Jahr­zehn­ten die wis­sen­schaft­li­che Tätig­keit des Schwe­den Svante Pääbo. Für seine Ent­de­ckun­gen über die Genome aus­ge­stor­be­ner Homi­ni­den und die mensch­li­che Evo­lu­tion wurde er am 3. Okto­ber die­ses Jah­res vom Nobel­preis-Komi­tee am Karo­linska-Insti­tut zum Gewin­ner des Medi­zin-Nobel­prei­ses 2022 gekürt.

Schon früh in sei­ner Kar­riere war Pääbo von der Idee fas­zi­niert, moderne gene­ti­sche Metho­den zur Erfor­schung des Nean­der­ta­ler-Genoms ein­zu­set­zen, was jedoch eine immense tech­ni­sche Her­aus­for­de­rung dar­stellt. Als Post­dok­to­rand gelang es ihm gemein­sam mit dem neu­see­län­di­schen Bio­che­mi­ker Allan Wil­son, einem Pio­nier der Evo­lu­ti­ons­bio­lo­gie, sol­che Metho­den zu ent­wi­ckeln und zu ver­fei­nern. Nach jahr­zehn­te­lan­ger Arbeit schaffte er schließ­lich 2010 das nahezu Unmög­li­che: die voll­stän­dige Sequen­zie­rung des Nean­der­ta­ler-Genoms. Damit wur­den erst­mals kom­pa­ra­tive DNA-Ana­ly­sen zwi­schen die­ser aus­ge­stor­be­nen Homo-Spe­zies und dem moder­nen Men­schen mög­lich. Einen ande­ren Mei­len­stein setzte er bereits zwei Jahre zuvor: Durch die Sequen­zie­rung von DNA auf einem 40.000 Jahre alten Kno­chen aus Süd­si­bi­rien ent­deckte Pääbo einen zuvor unbe­kann­ten Homi­ni­den, den Den­is­ova-Men­schen. Im Zuge sei­ner Ana­ly­sen fand er her­aus, dass es nach der Migra­tion aus Afrika vor rund 70.000 Jah­ren einen Gen­trans­fer von aus­ge­stor­be­nen Men­schen zum Homo sapi­ens gege­ben hatte. Stu­dien an heute leben­den Popu­la­tio­nen in Süd­ost­asien erga­ben bei­spiels­weise einen bis zu sechs­pro­zen­ti­gen Anteil von DNA des Den­is­o­va­Men­schen. Der Anteil von Nean­der­ta­ler-DNA im Genom von heute leben­den Men­schen euro­päi­scher und asia­ti­scher Abstam­mung liegt zwi­schen ein und vier Pro­zent. Die weg­wei­sende For­schungs­leis­tung von Pääbo führte auch dazu, dass eine neue wis­sen­schaft­li­che Dis­zi­plin ein­ge­führt wurde, die Paläogenomik.

Der von Pääbo ent­deckte Gen­trans­fer hat für den heu­ti­gen Men­schen große phy­sio­lo­gi­sche Rele­vanz: zum Bei­spiel in Form der Reak­tion des Immun­sys­tems auf Infek­tio­nen. Erkennt­nisse auf die­sem Gebiet rei­chen bis in die Corona-Pan­de­mie hin­ein. Im Jahr 2021 ver­öf­fent­lichte Pääbo gemein­sam mit Ass. Prof. Hugo Zeberg vom Karo­linska-Insti­tut Unter­su­chungs­er­geb­nisse, wonach eine Region auf Chro­mo­som 12 das Risiko für einen schwe­ren Ver­lauf von COVID-19 um 20 Pro­zent redu­ziert – die Gene die­ser Region stam­men vom Neandertaler.

Der Medi­zin-Nobel­preis ist mit zehn Mil­lio­nen schwe­di­schen Kro­nen (rund 920.000 Euro) dotiert. Die fei­er­li­che Über­rei­chung der dies­jäh­ri­gen Nobel­preise in Stock­holm fin­det am 10. Dezem­ber statt, dem Todes­tag des Preis­stif­ters Alfred Nobel. MaS

Zur Per­son

Der 1955 in Stock­holm gebo­rene Pääbo pro­mo­vierte 1986 an der Uni­ver­si­tät Upp­sala in Medi­zin. 1990 erhielt er eine Pro­fes­sur in Mün­chen, im Jahr 1997 grün­dete er das Max-Planck-Insti­tut für evo­lu­tio­näre Anthro­po­lo­gie in Leip­zig, wo er noch immer tätig ist. Außer­dem hat er eine Gast­pro­fes­sur am Oki­nawa Insti­tute of Sci­ence and Tech­no­logy in Japan. Nobel­preis­trä­ger war auch bereits Pää­bos Vater Sune Berg­ström (1916–2004). Die­ser hatte im Jahr 1982 gemein­sam mit zwei wei­te­ren Wis­sen­schaf­tern den Medi­zin-Nobel­preis für bahn­bre­chende Arbei­ten über Pro­sta­glan­dine und ver­wandte bio­lo­gi­sche Sub­stan­zen erhalten.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 20 /​25.10.2022