Interview Thomas Szekeres: Die Bilanz

10.06.2022 | Politik

Ärztemangel, Impfpflicht und Pandemie, Aufweichung des KA-AZG, Zwangsverpflichtung von Ärzten, Kommerzialisierung des Gesundheitswesens – der scheidende Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres zieht nach fünf Jahren an der Spitze der ÖÄK im Gespräch mit Agnes M. Mühlgassner Bilanz.

Als eines Ihrer Ziele im Interview beim Amtsantritt im Juni 2017 nannten Sie: „Politik und Sozialversicherung klar zu machen, dass die Ärztekammer eine größere Rolle spielen muss“. Ist das gelungen? Ich glaube, das ist uns gelungen: auf die Ärztekammer öffentlich hinzuweisen. Umfragen haben gezeigt, dass unser Standing in der Öffentlichkeit durchaus vergleichbar ist mit wesentlich größeren Institutionen wie zum Beispiel der Wirtschaftskammer und dass die Akzeptanz der Bevölkerung fast so gut ist wie jene der Arbeiterkammer. Dabei muss man bedenken, dass die Ärztekammer mit ihren 49.000 Mitgliedern im Vergleich zur Arbeiterkammer mit mehreren Millionen Mitgliedern ja klein ist. Trotzdem haben wir ein hohes Ansehen und waren überdurchschnittlich präsent, was nicht selbstverständlich ist. Hier ist uns einiges gelungen. Die Meinung der Ärztinnen und Ärzte wird gehört und das hohe Ansehen genießen nicht nur einzelne Ärzte, sondern die Ärzteschaft insgesamt und auch die Ärztekammer. Mir war wichtig, dass wir nach außen geschlossen aufgetreten sind und bei wesentlichen Themen innerhalb der Ärzteschaft einer Meinung waren. Die Zufriedenheit der Bevölkerung mit den Ärzten ist maximal. Insbesondere die Hausärzte werden von 95 Prozent der Befragten besonders geschätzt.

Gleich zu Beginn Ihrer Amtszeit gab es eine Gesundheitsreform, in die die Ärztekammer nicht eingebunden war. 2019 ist die Regierungskoalition gescheitert. Welche Folgen hatte das? Seitens der Politik und der Patientenanwälte wird schon seit vielen Jahren versucht, die Bedeutung der Ärzteschaft kleinzu reden und es ist ein dauernder Kampf, darauf hinzuweisen, welch wichtige Rolle wir spielen. Das war schon vor der Pandemie so. In der Pandemie haben die Ärzte so wie alle Gesundheitsberufe Übermenschliches geleistet. So konnte diese Herausforderung vorbildlich gemeistert werden trotz vieler Hemmnisse durch die Politik. Dieses Bewusstsein, dass Gesundheit und Gesundheitspolitik wesentlich sind, das hat es in der Politik nicht gegeben. Der Wunsch, einzusparen, hat dominiert.

Die Themen, über die wir 2017 im Antritts-Interview gesprochen haben, sind nach wie vor aktuell: mangelndes Interesse an Kassenstellen und an der Allgemeinmedizin insgesamt, die Diskussion über die Wahlärzte, der Ärztemangel hat sich weiter verschärft, die Spitäler klagen über Dauer-Belastung. Worauf führen Sie das zurück? Das Eigenartige ist, dass wir in Österreich mit 49.000 Ärztinnen und Ärzten viele wie nie zuvor haben. Trotzdem gibt es einen Mangel in einigen Fächern und in einigen Gegenden und auch in Spitälern gibt es Schwierigkeiten, Spezialisten zu finden oder Stellen zu besetzen. Das ist darauf zurückzuführen, dass die junge Ärzte-Generation selbstbewusst ist. Zu meiner Zeit waren Ärzte Bittsteller für eine Kassenstelle oder eine Ausbildungsstelle im Krankenhaus. Das gibt es glücklicherweise heute nicht mehr. Und die Krankenkasse beziehungsweise die Spitalsträger haben das nur teilweise realisiert. Wir stehen heute im Konkurrenzkampf mit dem Ausland. Es gibt weltweit einen Ärztemangel, aber ganz besonders in Europa. Und die Jungärzte können sich aussuchen, wohin sie gehen und wo sie die beste Ausbildung bekommen, die höchste Wertschätzung und auch die beste Bezahlung. Es gibt immer noch den Wunsch in der Politik, dass Ärzte Bittsteller sind.

Stichwort Wahlärzte: Hier gab und gibt es ja die verschiedensten Statements. Manche dieser Wortmeldungen verwundern sehr wie etwa die Rückerstattung beim Wahlarzt abzuschaffen oder der Wunsch nach der Zwangsverpflichtung von Absolventen, in einem Spital oder in einer Kassenordination zu arbeiten. Das funktioniert nicht. Nämlich deshalb, weil die Absolventen viele Optionen haben, tätig zu werden. Vielmehr muss man die Bedingungen verbessern und attraktiver werden.

Beim KA-AZG gibt es neuerlich Initiativen aus einigen Bundesländern, hier eine Aufweichung zu erzielen. Eine Aufweichung der Arbeitszeitobergrenzen macht wenig Sinn weder für das Personal noch für die Patienten. Viel wichtiger wäre es, medizinisch-fachliche Schwerpunkte in den Spitälern zu setzen, um dadurch mit weniger Spezialisten, die aber auch eine entsprechende Übung haben, auszukommen. Junge Kollegen zwingen zu wollen, mehr zu arbeiten, das wird nicht funktionieren. Das ist eine andere Generation, für die die Lebensqualität und auch die berufliche Entfaltung zusammenpassen müssen.

Im Zuge der Reform der Sozialversicherung wurde aus der GKK die ÖGK. Kritiker bemängeln, dass die Prozesse nochaufwändiger geworden sind und sie fordern außerdem die versprochene Patientenmilliarde ein. Ich glaube, aus der Patientenmilliarde sind zusätzliche Kosten entstanden und die Neu-Organisation der ÖGK hat bis dato den erwünschten Effekt nicht gebracht. Die Hoffnung ist, dass sich das noch ergibt. Die Probleme liegen jedenfalls nicht bei den Ärzten sondern bei der Verwaltung. Das ist auch einer der Punkte, den die Kollegen massiv kritisieren: die überbordende Administration, die Reglementierungen und teilweise auch die ungleiche Honorierung – nach Fächern ungleich –, die dazu führt, dass wir in einigen Fächern kaum mehr Nachwuchs und Bewerbungen haben. Früher haben wir lange Wartelisten für Kassenstellen gehabt. Heute finden wir im Bereich der Allgemeinmedizin, der Kinderheilkunde und der Gynäkologie – um nur einige Beispiele zu nennen – kaum Nachwuchs.

Mit dem Mystery Shopping sollten Ärztinnen und Ärzte kontrolliert werden – und während der Pandemie war plötzlich die telefonische Krankmeldung möglich. Wie passt das zusammen? In der Pandemie ist einiges recht schnell gegangen wie zum Beispiel die verstärkte Nutzung der EDV. Das war auch gut, weil man so versucht hat, die persönlichen Kontakte zu limitieren. Prinzipiell ist dieses Misstrauen und das Kleinreden der Leistung von Ärztinnen und Ärzten durch Politik, Sozialversicherung und Patientenanwälte aufs Schärfste zurückzuweisen. Für mich ist es unerklärlich, weil es unbegründet ist. Hier geht es
um Vorurteile und vielleicht um einige wenige schwarze Schafe, die die Stimmung nicht verbessert haben. Dieses Misstrauen, das die Sozialversicherung sowohl gegenüber den Patienten, als auch gegenüber den Ärzten hat, war nie nachvollziehbar. Ich hoffe, dass es hier ein Umdenken gegeben hat und dass es in Zukunft nicht wiederkommt.

Stichwort Pandemie: Es hat viele Diskussionen und Verwerfungen gegeben im Zusammenhang mit der Impfpflicht, für die die ÖÄK eingetreten ist. Wie beurteilen Sie das im Rückblick? Es ist eine Situation eingetreten, die alle 100 Jahre vorkommt und eine besondere Herausforderung darstellt für alle Gesundheitsberufe und wie wir gesehen haben insbesondere für die Politik. Die Ärztinnen und Ärzte haben ihr Bestes getan und Übermenschliches geleistet. Mehr als 90 Prozent haben ihre Ordinationen offengehalten und unter widrigsten Bedingungen ihre Patienten versorgt. Zur Impfpflicht: Die Ärztekammer war immer dafür, dass man sich impfen lässt, weil wir wissen, wie wichtig und wie wesentlich die Impfung ist. Allerdings war die Art und Weise, wie die Impfpflicht aus einer Verzweiflung heraus und ohne Vorbereitung quasi übers Wochenende eingeführt und dann auch nie umgesetzt wurde, sicherlich unglücklich. Man hat leider auch gesehen, dass dieser Beschluss das Gegenteil von dem erreicht hat, was man erreichen wollte, dass nämlich die Impfquote gesunken ist. Inzwischen hat sich die Situation geändert. Man musste auch feststellen, dass die Impfung nicht vor einer Infektion schützt, sehr wohl aber vor einer schweren Erkrankung. Man muss abwarten, wie sich die Situation im Herbst entwickelt, welche Virus-Varianten entstehen und wie man sich dagegen schützen kann. Inzwischen ist die Entwicklung von neuen Medikamenten rasant weitergegangen und es gibt orale Präparate, die vor einem schweren Verlauf schützen und in kurzer Zeit zur Genesung führen.

Wir erleben in der Pandemie mittlerweile den dritten Gesundheitsminister. Ja, die Halbwertszeit der Gesundheitsminister ist nicht sehr lang.

Was bedeutet das für die Gesundheitspolitik? Es wird nicht einfacher mit wechselnden Politikern. Bei aller berechtigten Kritik an der Politik und ihren Exponenten habe ich Respekt, dass man diese herausfordernde Aufgabe annimmt im Bewusstsein, dass es nie so schwierig war wie jetzt. Gleichzeitig ist es aber enttäuschend zu sehen, wie einzelne Politiker versuchen, die Ärzte als Feinde zu identifizieren und unter Druck setzen zu wollen anstatt dass man gemeinsam versucht, das Beste für die Patienten zu erreichen. Das verstehe ich gar nicht. Ich glaube auch nicht, dass es eine Lösung ist, wenn andere Gesundheitsberufe Aufgaben der Ärztinnen und Ärzte übernehmen.

Anfang 2023 verliert die ÖÄK die Berechtigung für die Bewilligung und Aberkennung von Ausbildungsstellen. Hier gab esein rechtliches Problem mit dem sogenannten übertragenen Wirkungsbereich. Das Positive ist, dass die Ärzteliste weiter durch die Ärztekammer geführt wird. Auch das war in Diskussion. Die Bewilligung und Aberkennung von Ausbildungsstellen soll zu den Bundesländern wandern. In welcher Form, in welchem Bundesland und in welcher Umsetzungsform das Ganze geschieht, das wird derzeit diskutiert. Die Ausbildung eines Arztes kann nur durch einen Arzt erfolgen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Politiker – also beispielsweise ein Landeshauptmann – dafür qualifiziert ist, Ärzte auszubilden. Deshalb ist das auch irreführend. Aber ja: Die Bundesländer werden hier eine größere Rolle spielen und hoffen, dass sie etwas gewinnen dadurch. Meine Befürchtung ist, dass sich dadurch die Situation nicht verbessern wird und wenn ich qualifizierte Ärztinnen und Ärzte möchte, dann muss ich eine entsprechend hohe Ausbildungsqualität anbieten.

Sehen Sie noch Chancen, dass die Ärztekammer auch weiterhin mitbestimmen kann? Die Ärztekammer hat diese Ausbildungsstellen bisher bewilligt, rezertifiziert und aberkannt. Ich bin überzeugt davon, dass man die Expertise der Ärztekammern auch in Zukunft brauchen wird.

Worin liegt Ihrer Ansicht nach die größte Bedrohung für das Gesundheitswesen? Ich sehe die größte Gefahr in der drohenden Kommerzialisierung des Gesundheitswesens. Es gibt den Wunsch von allen möglichen Firmen, die Fuß fassen wollen im Gesundheitsbereich, weil dieser unabhängig von der Konjunktur eine Einkommensquelle darstellt. Entsprechende Negativ-Beispiele gibt es aus Deutschland, wo es bei Ordinationen zu Kettenbildungen kommt – ähnlich etwa wie im Lebensmittelhandel. Das ist keine gute Idee. Die Ordinationen und die Gesundheitseinrichtungen sollen im Eigentum der Ärzte bleiben, weil das Hauptaugenmerk auf den Bedürfnissen von Patienten liegen soll und nicht auf finanziellen Vorteilen von kommerziellen Anbietern.

In welchem Bereich konnte in den vergangenen Jahren der größte Fortschritt erzielt werden? Das ist sicherlich das Einkommen der angestellten Ärzte in Österreich, das mit circa 30 Prozent in einem Ausmaß angestiegen ist, wie es eigentlich noch nie der Fall war. Das war notwendig, um vergleichbare Gehälter wie im Ausland zu bezahlen. Dazu hat die Ärztekammer wesentlich beigetragen. Hier muss man natürlich immer wieder nachbessern, besonders in Zeiten der Inflation wie derzeit.

Was gilt es zu tun im Gesundheitsbereich, wenn die Pandemie vorbei ist? Nach der Pandemie muss man darauf achten, dass das Gesundheitssystem auf einem hohen Niveau weiter finanziert wird und dazu gehören mehr Investitionen. Ich hoffe, dass es zukünftig den Verantwortlichen klar ist, dass nur ein entsprechend finanziell gut aufgestelltes Gesundheitssystem zukünftige Herausforderungen meistern wird. Man wird sicherlich nicht einsparen können.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 10.06.2022