Vibrionen: Stille Gewässer als Infektionsorte

12.09.2022 | Medizin

Vibrionen werden bei der Qualitätskontrolle nicht berücksichtigt, spielen aber dennoch eine Rolle: Sie können vor allem in seichteren und wärmeren Gewässern vorkommen und Infektionen hervorrufen. Toxinbildende Vibrionen wiederum sind als Verursacher der Cholera vor allem für Fernreisende von Bedeutung.

Manuela-C. Warscher

In Österreich gibt es 261 EU-Badestellen, die regelmäßigen Wasserqualitätskontrollen nach EU-Kriterien unterliegen. Dabei wird primär auf Indikatorkeime, die auf eine Verschmutzung mit Fäkalien wie E. coli oder intestinale Enterokokken hindeuten, geachtet. „Vibrionen werden dabei nicht berücksichtigt“, sagt Priv. Doz. Dorothea Orth-Höller vom Mikrobiologischen Labor MB-LAB in Innsbruck. Dabei gehen internationale Forscher mittlerweile davon aus, dass die Prävalenz dieser Bakterien mit den steigenden Temperaturen und den abnehmenden Regenfällen in den nächsten Jahren zunehmen wird. Allerdings sei in diesem Zusammenhang auch zu bedenken, dass es immer auch eine Korrelation zwischen wärmeren Gewässern und der „Anzahl der Personen, die in die Gewässer gehen“, geben muss, erklärt Univ. Prof. Alexander Kirschner vom Institut für Hygiene und angewandte Immunologie der Medizinischen Universität Wien, der die Erhebungen zu Vibrionen-Vorkommen in Österreich in Kooperation mit Experten des Interuniversity Cooperation Centre for Water and Health an der Karl-Landsteiner-Privat-Universität für Gesundheitswissenschaften und der Technischen Universität Wien sowie dem Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der AGES durchgeführt hat.

Verdreifachung der Fälle in den USA

Demnach haben die Fälle in Österreich anders als in den USA, wo es zwischen 1996 und 2010 zu einer Verdreifachung der Non-Cholera-Vibrionen-Infektionen gekommen ist, in den letzten 20 Jahren nicht zugenommen. „Es gibt pro Jahr kaum mehr als eine Handvoll nachgewiesene und bestätigte Fälle primär aus dem Osten Österreichs“, so Kirschner. Zuletzt gab es in den Jahren zwischen 2000 und 2015 mehrere Fälle von Ohrenentzündungen. 2015 musste auch ein Todesfall aufgrund einer schweren Haut- und Weichteilinfektion verzeichnet werden. „Die Dunkelziffer kann natürlich höher sein, denn leichte Ohrenentzündungen werden nicht auf Vibrionen untersucht, sondern mit einem Breitbandantibiotikum behandelt.“

Vibrionen sind gramnegative Stäbchenbakterien aus der Familie der Vibriona-ceae. Die toxinbildenden Serogruppen (O1, O139) sind Auslöser einer Cholerainfektion, die in Österreich aufgrund der „hohen Trinkwasserqualität“ nicht vorkommen. „Allerdings hat sie eine Bedeutung für Reisende nach Afrika oder Indien, vor allem in Zieldestinationen mit fehlendem oder schlechtem Trinkwasserzugang“, so Orth-Höller. Die Nicht-Cholera-Vibrionen werden im Gegensatz zu toxinbildenden Spezies nicht von Mensch zu Mensch übertragen. „Sie kommen in Gewässern bis maximal 2,5 Prozent Salzgehalt in Küstennähe, in stillen Süßwassern und vor allem in Gewässern um die 20 Grad vor“, erklärt Orth-Höller. Daher seien tiefere und kühlere Gewässer mit höherem Nährstoffgehalt weniger stark betroffen als etwa der Neusiedler See. „Dennoch können wir trotz der Zunahme der Wassertemperatur des Neusiedler Sees um 1,8 Grad und den sommerlichen Oberflächen-Extremwerten von bis zu 31 Grad keine Zunahme der Vibrionen-Infektionen bestätigen“, sagt Kirschner. Neben ihrem Vorkommen in Gewässern können Nicht-Cholera-Vibrionen aber auch als Kommensalen oder Pathogene von Meerestieren existieren. „Daher ist auch besondere Aufmerksamkeit auf die Zubereitung von Speisen zu legen und Meerestiere wie Muscheln oder Flusskrebse ausreichend zu garen“, betont Orth-Höller.

Nicht-Cholera-Vibrionen verursachen Gastroenteritiden, Wund- und Ohrinfektionen (zumeist im äußeren Gehörgang). Sie werden durch den Aufenthalt in kontaminierten Gewässern oder durch den Verzehr von nicht ausreichend gegarten Meeres früchten übertragen. Äußerst selten kann es auch zu gastrointestinalen Symptomen oder Durchfall nach dem Verschlucken von kontaminiertem Seewasser kommen. Allerdings müsste ein gesunder Erwachsener wahrscheinlich „mindestens einen Liter Wasser des Neusiedler Sees trinken, um zu erkranken“, kalmiert Kirschner. Allerdings ließen sich exakte quantitative Risikoabschätzungen aufgrund fehlender Dosis-Wirkungsbeziehung „nur schwer“ durchführen. Zu den Risikogruppen zählen ältere Menschen, immunsupprimierte Patienten und Personen mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes mellitus. „In klinischen Proben finden wir Nicht-Cholera-Vibrionen nicht sehr häufig, sie sind eher die Ausnahme. Zufällig hatten wir vor Kurzem ein Isolat. Insgesamt kommen wir jährlich auf fünf bis zehn Isolate“, sagt Orth-Höller. Erhebungen aus Deutschland zeigen, dass Wundinfektionen die mit Abstand häufigste klinische Manifestation sind. Orth-Höller dazu: „Gerade bei Wundinfektionen kann die Entzündung bis tief ins Gewebe gehen, von Nekrosen begleitet sein und in den schwersten Fällen zu einer lebensbedrohlichen Sepsis führen.“ Die Schwere der Erkrankung hängt vom jeweiligen Stamm und vom Immunstatus des Patienten ab. Infektionen mit V. vulnificus gehen dabei mit einer besonders hohen Mortalität einher. Dieser Erreger wurde aber – so Kirschner – bislang in Österreich noch nie nachgewiesen. „Nachdem das Bakterium offene Wunden als Eintrittspforte nützt, ist es außerdem ratsam, das Wasser solange zu meiden, bis die Wunde verheilt ist oder sie zumindest gut wasserdicht zu verbinden“, erklärt Orth-Höller. Das gilt besonders für Personen mit einer chronischen Hauterkrankung wie Psoriasis vulgaris, Neurodermitis und auch bei offener Haut.

Rasch Antibiotika verordnen

Bei der Therapie von Nicht-Cholera-Vibrionen werden Cephalosporine der dritten Generation, Tetrazykline oder Gyrasehemmer eingesetzt. Kirschner empfiehlt, „rasch mit dem Erregernachweis und der Therapie zu beginnen, da sich das Bakterium rasant vermehrt.“ Orth-Höller ergänzt: „Wir empfehlen bei Verdacht immer eine mikrobiologische Abklärung vor dem ersten Einsatz von Antibiotika für den Erregernachweis und um eine spezifische Therapie einzuleiten“. Sollte die Antibiotikathe-rapie nicht erfolgreich sein, müsse sie „neuerlich evaluiert werden“, betont Orth-Höller. Erhöhte Resistenzen bestehen – so Kirschner – gegenüber Aminoglykosiden, Aminopenicilinen und Streptomycin. „Das spielt aber erst bei einem schweren Verlauf, der in Österreich ohnehin selten ist, eine Rolle.“


Auf einen Blick

1) Vibrionen sind gramnegative Bakterien, deren Prävalenz von der Wassertemperatur (ab 20 Grad Celsius) und dem Salzgehalt (bis 2,5 Prozent) abhängt und vor allem in Stillgewässern hoch sein kann.<
2) Nicht-Cholera-Vibrionen verursachen Wund- und Ohrinfektionen bei Kontakt mit kontaminiertem Wasser; zu Gastroenteritiden kommt es vor allem nach dem Konsum von unzureichend gegarten Meerestieren.
3) Toxinbildende Cholera-Vibrionen verursachen Cholera, was vor allem für Fernreisen (Afrika, Indien) relevant ist.
4) Immunsupprimierte, Ältere und chronisch Kranke (vor allem Diabetes mellitus, Lebererkrankungen) zählen zu Risikogruppen für schwere Verläufe.
5) Therapie: Cephalosporine der dritten Generation, Tetrazykline. Bekannte Resistenzen: Aminoglykoside, Aminopenicilline, Streptomycin bei Nord-/Ostsee-Vibrionen.


 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2022