Steatosis hepatis: Leber unter Stress

15.12.2022 | Medizin

Gamma-GT ist ein sensibler Indikator für den oxidativen Stress, dem die Leber bei Fetteinlagerung in erhöhtem Maß ausgesetzt ist. Die Steatosis hepatis per se wiederum ist noch keine Diagnose, sondern eine Akkumulation von Risikofaktoren. Wichtigster Anhaltspunkt ist die Müdigkeit – sie ist der Schmerz der Leber.

Martin Schiller

In der Praxis erfolgt die Erstdiagnose Steatosis hepatis mittels transabdominellem Ultraschall. Die Fettleber ist jedoch häufig noch ein Zufallsbefund und bleibt aufgrund fehlender Symptome oft jahrelang unentdeckt. „Bei einer Person mit Übergewicht, Diabetes mellitus oder Vorliegen eines metabolischen Syndroms ist ein Screening auf das Vorliegen einer Fettleber daher auf jeden Fall ratsam“, sagt Univ. Prof. Michael Trauner von der Klinischen Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie der Universitätsklinik für Innere Medizin III in Wien. Der Ultraschall sei als primäre Bildgebung valide, eine Biopsie daher heute in den meisten Fällen nicht mehr routinemäßig notwendig, da „prognostisch das Ausmaß der Leberfibrose und weniger das Vorliegen einer Steatohepatitis/NASH“ entscheidend sei. Im Rahmen einer Blutuntersuchung nennt Trauner die Gamma-GT nach wie vor als guten, wenn auch unspezifischen Indikator. „Dabei handelt es sich um einen sehr sensiblen Indikator für oxidativen Stress. Diesem ist die Leber bei Fetteinlagerung nämlich in erhöhtem Maße ausgesetzt.“ Inwieweit können andere Leberwerte allgemein Aufschluss über eine Verfettung der Leber geben? Trauner: „Wir können uns auf bestimme Normwerte diesbezüglich nicht verlassen, da sich diese an der Verteilung der Gesamtbevölkerung orientieren, in der bei einem Viertel eine nicht-alkoholische Fettleber vorliegt. Insofern sind unsere Normwerte eigentlich zu hoch.“ Und er veranschaulicht das an einem Beispiel: „Transaminasen zeigen zwar eine Nekrose an, die Erhöhung ist aber kein sensitiver Indikator für eine Fettleber, zumal es dort zu einer programmierten Form des Zelltodes kommt, bei dem weniger Transaminasen freigesetzt werden. So sind die Transaminasen beispielsweise bei rund einem Drittel der Patienten noch im Normbereich, obwohl bereits eine fortgeschrittene Fibrose oder sogar eine Leberzirrhose vorliegt. Deswegen sollten nichtinvasive Leberfibrosemarker bereits in der Primärversorgung zur Risikoeinschätzung bestimmt werden.“

Prozess ist nicht umkehrbar

Einlagerungen von Fett in die Leberzellen sind durch entsprechende Maßnahmen noch reversibel. Wenn sich jedoch aus der nicht-alkoholischen Fettleber (Non-Alcoholic Fatty Liver NAFL) eine fortgeschrittene Fettlebererkrankung (NAFLD) entwickelt, sei dies „nicht mehr umkehrbar“, warnt Univ. Prof. Heinz Zoller von der Universitätsklinik für Innere Medizin I in Innsbruck. Trauner hinterfragt dies und sieht zumindest bis zum Stadium einer mittel-/höhergradigen Fibrose noch die Fähigkeit zur Rückbildung.

„Die Fettleber per se ist zunächst auch noch keine hinreichende Diagnose, sondern eine Akkumulation von Risikofaktoren“, erklärt Zoller. Es gehe nun als erstes darum, den Patienten auf „gut behandelbare“ Ursachen zu untersuchen wie etwa auf Hepatitis B, Hepatitis C und Hämochromatose.

Bei der Unterscheidung zwischen „simpler“ Fettleber und fortgeschrittener Fettlebererkrankung hilft der Fibrosis-4-Index (FIB-4-Score). Dieser Parameter zur nicht-invasiven Fibrosevorhersage wird nach folgender Formel berechnet:

Alter (in Jahren)*GOT / √GPT*Thrombozytenzahl (G/l)

Dazu Zoller: „Bei einem Quotienten unter 1,3 kann eine Fettlebererkrankung recht zuverlässig ausgeschlossen werden. Ab einem Score von 2,65 besteht eine fortgeschrittene Lebererkrankung“. Im Bereich zwischen diesen beiden Werten seien weitere Tests notwendig.

Spürbare spezifische Symptome gibt es weder bei einer Fettleber noch bei der Fettlebererkrankung. „Die Probleme äußern sich unspezifisch“, erklärt Zoller. Ein wichtiger Anhaltspunkt: „Müdigkeit ist der Schmerz der Leber.“ Bei jungen, schlanken Menschen mit Fettleber sollte aber auch an eine andere Stoffwechselerkrankung gedacht werden wie zum Beispiel ein M. Wilson.

Großer Einfluss des Lebensstils

Der Lebensstil habe großen Einfluss auf die Entstehung von Fetteinlagerungen in die Hepatozyten, wie Zoller betont. „Die häufigsten Gründe für die Entwicklung einer Fettleber sind Insulinresistenz, Bewegungsmangel, eine überkalorische Ernährung und generell Fehlernährung“. Ein eher seltenes Phänomen sei hingegen die medikamenteninduzierte Fettleber: „Die Inzidenz wird in der Literatur mit 2,7 bis 19 pro 100.000 angegeben.“ Als wesentliche Säule im Management einer Fettleber seien Lebensstilmodifikationen anerkannt. Zoller rät besonders zu drei Optimierungen: „Am besten ist Alkoholkarenz, jedenfalls aber sollte der Konsum minimiert werden. Ein Gewichtsverlust von sieben Prozent des Körpergewichts ist anzustreben. Außerdem sollte Ausdauertraining im Umfang von 30 Minuten pro Tag und fünfmal pro Woche durchgeführt werden.“ Außerdem sei ein strenges medizinisches Management erforderlich: „Es umfasst gegebenenfalls die Einstellung des Blutdrucks, die Behandlung des Diabetes mellitus, Rauchkarenz und den Einsatz von Statinen. Die fallweise geäußerte Sorge zur Einnahme von Statinen bei einer Fettleber ist unbegründet.“

Eine medikamentöse Therapie der Fettleber ist noch nicht zugelassen. Trauner weiter: „Der Fokus liegt auf der Therapie der zugrundeliegenden oder assoziierten metabolischen KoMorbidität, weil damit die Fettleber gleichsam mitbehandelt wird.“ GLP-1-Agonisten hätten auch bei NASH positive Effekte gezeigt, allerdings war kein signifikanter antifibrotischer Effekt zu verzeichnen. Als „vielversprechende“ (Trauner) neuere Substanzen werden neben den SGLT2-Hemmern auch die Glucagon-Rezeptor/GLP-1-Rezeptor-Agonisten derzeit bei NAFLD/NASH in klinischen Studien untersucht. „Glucagon bremst die Lipogenese und Fibrogenese und fördert die Fettsäureoxidation in der Leber. Die Kombination mit dem GLP-1-Agonisten kompensiert den blutzuckersteigerden Effekt“, erklärt Trauner das Wirkprinzip. Er hofft, dass ein zellprotektiver Ansatz in künftigen Therapien mehr Berücksichtigung findet, „da die NAFLD auch durch eine Zellstresskomponente gekennzeichnet ist“. Erste Ansätze dazu gebe es bisher nur mit Vitamin E.


Die Rolle der Fruktose

Fruktose wird in der Literatur vielfach als mitbestimmender Faktor in der Entstehung einer Fettleber diskutiert. Ganz eindeutig sieht Trauner jedoch den Zusammenhang nicht: „Auch wenn sich Fruktose durch die Art der Verstoffwechslung von der Glukose unterscheidet, dürfte letztendlich die Kalorienmenge und weniger die Ausgangssubstanz für die Stimulation der De-Novo-Lipogenese entscheidend sein. Man muss auch die Fruktosebelastung von Softdrinks vom natürlich vorkommenden Fruchtzucker in Obst unterscheiden. Letzteren verarbeitet der Organismus besser, da Fruktose langsam freigesetzt wird. In Studien konnte außerdem gezeigt werden, dass ein gesunder Organismus über einen gewissen Zeitraum Kompensationsmechanismen bei der Zufuhr von höheren Mengen an Fruktose hat.“ Für Trauner besteht das Risiko für die Entwicklung einer Fettleber eher in der Kalorienzufuhr. Aufsehen erregte eine in „Nature“ im Jahr 2021 veröffentlichte Publikation, in der beschrieben wurde, dass sich bei Mäusen unter fruktosereicher Kost die Länge der Darmzotten erhöhte und damit auch die Resorptionsfläche für die Nahrungsaufnahme größer wurde. „Es dürfte sich bei dieser Fehladaptierung um einen indirekten Effekt der Fruktose handeln“, kommentiert Trauner die Ergebnisse, deren Übertragbarkeit auf den Menschen seinen Aussagen zufolge weiter erforscht werden müsse.



Risikofaktor Fettleber

Vermehrte Fetteinlagerungen in Leberzellen beeinträchtigen den Leberstoffwechsel – und sind somit ein Risikofaktor für eine Reihe von Krankheiten. „Die Fettleber ist manchmal Opfer und manchmal aber auch Täter“, sagt Trauner und nennt als Beispiel Diabetes mellitus: „Eine Fettleber kann nicht nur eine Folge von Diabetes mellitus sein, sondern entsteht zeitlich oft schon vor dem Diabetes. Das Risiko von Fettleberpatienten, an Diabetes zu erkranken, ist um das Zweifache erhöht.“ Ebenso besteht auch ein erhöhtes renales Risiko. „Der Fibrosegrad der Leber korreliert invers mit der glomerulären Filtrationsrate. Somit kann die Leistung des gesamten Organs beeinträchtigt werden“, führt der Experte aus. Ähnliches wurde auch für kardiovaskuläre Erkrankungen beobachtet. Verantwortlich für diese Zusammenhänge könnte laut Trauner der „Interorgan Crosstalk“ sein. „Bei der Apoptose werden extrazelluläre Vesikel freigelassen, die verschiedene proinflammatorische und profibrotische Signalstoffe enthalten. Es kommt dabei eventuell zur Kommunikation mit anderen Organen. Die genauen Mechanismen werden aber noch erforscht.“

Weiters ist laut Zoller aufgrund einer Fettleber das Risiko für die Entwicklung einer Leberzirrhose signifikant erhöht. Und weiter: „Außerdem sind in der Fettleber Leberzellkarzinome in einem Stadium sichtbar, in dem man sie sonst noch nicht sieht. Das bedeutet, bei der Fettleber wird eine gewisse Entwicklungssequenz einfach übersprungen.“ Beide Experten machen auf das erhöhte Atherosklerose-Risikoprofil von Menschen, die eine Fettleber haben, aufmerksam. Sowohl das Risiko für einen Myokardinfarkt, für Herzinsuffizienz und Vorhofflimmern als auch für einen Insult ist erhöht. „Die Fettleber darf daher keinesfalls trivialisiert werden. Sie erfordert stets eine ganzheitliche Betrachtung und muss in der Wahrnehmung als Risikofaktor verankert sein, da sie die Schrittmacherfunktion für das kardiometabolische Risiko eines Patienten hat“, so Trauner.


Die Rolle von Alkohol

Für die Abgrenzung einer Non Alcoholic Fatty Liver Disease (NAFLD) von einer alkoholischen Leberkrankung (ALD) oder Mischformen sollte laut der S2k-Leitlinie „Nicht-alkoholische Fettlebererkrankung“ ein täglicher Alkoholgrenzwert von zehn Gramm bei der Frau und von 20 Gramm beim Mann angesetzt werden. Viele Befunde deuten aber laut Leitlinie auf eine Überschneidung zwischen NAFLD und ALD hin. Trauner sieht in der klinischen Praxis eine große Überlappung, denn auch Menschen mit einer nicht-alkoholischen Fettleber konsumierten gelegentlich Alkohol. „In der Praxis muss man den Patienten anders abholen. Unabhängig von der Lebertoxizität schafft es zum Beispiel ein besseres Problembewusstsein, wenn man sich die ‚leere‘ Kalorienmenge vor Augen führt, die man mit alkoholischen Getränken zu sich nimmt.“

Die Schwellendosis für eine hepatotoxische Wirkung des Alkohols ist individuell sehr verschieden und hängt von Kofaktoren und Komorbiditäten ab. International wird der tägliche Konsum von 40 Gramm Alkohol für Frauen als gesundheitsgefährdend eingestuft. Bei Männern liegt diese Gefährdungsgrenze bei 60 Gramm täglich. Diese Grenzen gelten ausschließlich für gesunde Erwachsene.* Für die Praxis hilft ein Blick auf Mengen alkoholischer Getränke, die ungefähr 20 Gramm reinem Alkohol entsprechen: ein halber Liter Bier (mit fünf Volumsprozent), zwei Achtelliter Wein (mit zehn Volumsprozent) und drei kleine Schnäpse á zwei Zentiliter (40 Volumsprozent). Zoller und Trauner sehen die Grenzwerte sehr kritisch. Zoller: 40 und 60 Gramm Alkohol pro Tag sind zu hoch angesetzt. Metaanalysen zeigen, dass bei Frauen auch schon kleinste Mengen Alkohol in jeder Form mit einem höheren Risiko für eine Fettlebererkrankung assoziiert sind. Bei Männern gibt es einen kleinen Offset, hier sind zwölf Gramm pro Tag mit einem alkoholfreien Tag pro Woche mit einem akzeptablen Risiko verbunden.“

Unabhängig von täglichen Höchstmengen rät Trauner dazu, zumindest immer wieder Pausen vom Alkohol einzulegen. „Wichtig sind zwei bis drei Schontage für die Leber pro Woche, an denen kein Alkohol konsumiert wird.“ Binge-Drinking sei dennoch gefährlich: „Auch wenn zuvor vielleicht vier oder fünf Tage Karenz gehalten wurde, ist die große Menge an einem einzigen Abend sehr schädlich für das Organ, das dann einem akuten Zellstress ausgesetzt ist.“ Wie denkt Trauner über die oftmals postulierte protektive Wirkung des Alkohols in kleinen Mengen? „Diesen Effekt sehe ich nicht, weder für die Leber noch für das Herz-Kreislaufsystem. Alkohol ist ein Genussmittel und so sollten wir auch damit umgehen. Ich ermutige keinesfalls Patienten, Alkohol für protektive Wirkungen einzusetzen.“ Wichtig sei die absolute Alkoholkarenz bei Vorliegen einer höhergradigen Leberfibrose oder Leberzirrhose.


*Diese Werte wurden in Übereinstimmung mit Empfehlungen des britischen Health Education Council (1983) festgelegt und auch über Publikationen der Weltgesundheitsorganisation WHO international verbreitet. Es handelt sich jedoch nicht um offizielle WHO-Positionen und auch nicht um „WHO-Grenzen“.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2022