Schwangerschaft: Dermatose mit Gefahrenpotential

10.11.2022 | Medizin

Bei jeder zweiten Schwangeren mit Pruritus handelt es sich um eine Dermatose aus dem atopischen Formenkreis. Zeigen sich zusätzlich zum Pruritus keine Hauteffloreszenzen wie zum Beispiel bei der intrahepatischen Schwangerschafts-Cholestase, besteht Gefahr für den Fetus.

Julia Fleiß

Vorsicht ist geboten bei Pruritus, der in 20 Prozent der Fälle zwar Symptom einer zufällig mit der Schwangerschaft koexistenten Dermatose wie Urticaria, Skabies oder Pilzinfektion ist, bei 80 Prozent aber auf eine spezifische Schwangerschaftsdermatose hinweist. „Charakteristisch für alle vier spezifischen Schwangerschaftsdermatosen sind Pruritus und Hautveränderungen“, erklärt Doz. Christina Ambros-Rudolph, Fachärztin für Venerologie und Dermatologie aus Graz. Diese vier Schwangerschaftsdermatosen sind laut der Internationalen Klassifikation: die atopische und polymorphe Schwangerschaftsdermatose, die intrahepatische Schwangerschafts-Cholestase sowie das Pemphigoid gestationis.

„Präsentiert sich eine schwangere Frau mit Pruritus, muss man Hauteffloreszenzen suchen. Ist nichts zu sehen, oder finden sich nur ausschließlich sekundäre Hautveränderungen durch Kratzen, müssen die Alarmglocken läuten“, erklärt Ambros Rudolph. Denn dabei könnte es sich um die zwar seltene, aber für den Fetus gefährlichste Form dieser Erkrankungen handeln: die intrahepatische Schwangerschafts-Cholestase, die vor allem im dritten Trimenon auftritt. Dabei handelt es sich um eine hormonell getriggerte, reversible Cholestase bei genetischer Prädisposition. Es kommt zum Übertritt von toxischen Gallensäuren in den kindlichen Kreislauf, wobei für die Mutter keine Gefahr besteht. „Unbehandelt führt diese Hauterkrankung zu einem erhöhten Risiko für eine Frühgeburt und ist mit einer erhöhten Rate an intrauterinem Fruchttod assoziiert“, konstatiert Univ. Doz. Robert Müllegger von der Abteilung für Dermatologie und Venerologie am Landesklinikum Wiener Neustadt. Die Diagnose erfolgt anhand der Bestimmung der Gallensäuren im Serum, was in wenigen Zentren und oft langen Intervallen ausgewertet wird. Daher startet man beim Verdacht auf eine intrahepatische Schwangerschafts-Cholestase aufgrund der „geringen Nebenwirkungen“ (Ambros-Rudolph) blind mit der Gabe von Ursodesoxycholsäure (meist 1g/d). „Diese natürlich vorkommende Gallensäure verdrängt die erhöhten Gallensäuren aus dem Blut. Das hilft nicht nur gegen den mütterlichen Pruritus, sondern schützt den Fetus“, erklärt Ambros-Rudolph.

Eine weitere seltene, aber für den Fetus gefährliche Dermatose ist Pemphigoid gestationis, wobei sich aufgrund von Antikörperbildung juckende urtikarielle Erytheme und Blasen auf der Haut bilden. Diese Veränderungen manifestieren sich auch in der Plazenta, was zur chronischen Plazentainsuffizienz mit „Small-for-date“-Babies und erhöhter Frühgeburtlichkeit führen kann. Die orale Gabe von Kortison ist indiziert, um auch eine intrakorporale Wirkung zu erzielen. „Ich empfehle grundsätzlich bei Hautveränderungen in der Schwangerschaft die Überweisung zum Dermatologen“, erklärt Müllegger und präzisiert: „Das Pemphigoid gestationis kann vor der Blasenbildung differential-diagnostisch schwierig zu erkennen sein.“ Klarheit ergibt sich durch die Hautbiopsie, Immunfluoreszenz-Untersuchung und die Bestimmung der Blutparameter.

Häufiger: atopische Dermatose

„Jede zweite Schwangere, die sich mit Juckreiz präsentiert, fällt in den Formenkreis der atopischen Schwangerschaftsdermatose“, berichtet Ambros-Rudolph. Es können behandlungswürdige ekzematöse und papulöse Veränderungen entstehen. Diese seien jedoch in vielen Fällen mit rückfettender Pflege gut beherrschbar. „Wenn trockene, juckende Stellen mit forcierter Lokaltherapie durch rückfettende Externa nicht verschwinden, und der Pruritus zum Kratzen führt, ist Entzündungshemmung mit Kortison nötig“, erklärt die Expertin.

Auch die polymorphe Schwangerschaftsdermatose, die sich durch juckende Papeln innerhalb der Striae distensae mit Streuherden auf Gesäß und Extremitäten auszeichnet, wobei die unmittelbare periumbilikale Zone typischerweise nicht betroffen ist, erfordert die Gabe von Kortison, topisch, oder als kurzer systemischer Stoß. Die Ursache für diese Erkrankung ist nicht geklärt. Man nimmt an, dass es aufgrund der Überdehnung zur Schädigung der Bindegewebsfasern kommt. Daher tritt die polymorphe Schwangerschaftsdermatose bei exzessiver Gewichtszunahme und bei Mehrlingsschwangerschaften auf.

Starke Th2-Lastigkeit

„Die ursprüngliche Balance zwischen Th1- und Th2-Immunität bei der nicht-schwangeren Frau verändert sich während der Schwangerschaft in eine starke Th2-Lastigkeit“, erklärt Müllegger. Dadurch werden Th1-assoziierte Erkrankungen wie Psoriasis in der Schwangerschaft vermindert. „Eine präexistente Psoriasis wird in 50 bis 70 Prozent der Schwangerschaften besser. Nach der Entbindung kommt es jedoch häufig zu einer Verschlechterung“, ergänzt Ambros-Rudolph. Bei Th2-assoziierten Erkrankungen wie Neurodermitis kommt es während der Schwangerschaft oft zur Exazerbation. Therapeutisch gibt es hier – abgesehen von Kortison oder der Lichttherapie – nur wenige Möglichkeiten.

„Lokal darf man in der Schwangerschaft nahezu alles verwenden, da die Haut und die Plazenta als Barrieren wirken“, versichert Ambros-Rudolph. Müllegger rät bei Lokaltherapie mit Kortison, mild bis moderat potente Präparate einzusetzen. „Ist hochpotentes Kortison nötig, sollte die Gesamtmenge in der Schwangerschaft 300g nicht überschreiten.“ Bei Gabe über längere Zeiträume sollte eine orale Tagesdosis auf maximal 15mg beschränkt werden. Höhere Dosen können zu Wachstumsverzögerung und Nebenniereninsuffizienz beim Kind führen. Kortison-Präparate der Wahl in der Schwangerschaft sind Prednison und Prednisolon. Müllegger warnt vor dem Einsatz von Retinoiden in der Schwangerschaft, etwa bei Akne, sowie Methotrexat zur Psoriasis-Behandlung. Denn: „Diese beiden Präparate gehören zu den größten Teratogenen. Das Fehlbildungsrisiko beim Fetus liegt bei bis zu 40 Prozent.“

Wichtig ist laut Ambros-Rudolph die Aufklärung der Patientinnen: „Fast bei jedem Medikament ebenso wie auch bei Ursodesoxycholsäure steht im Beipackzettel, dass es nicht in der Schwangerschaft oder Stillzeit einzusetzen ist.“ Warum? Weil diesbezüglich keine Studien an Schwangeren durchgeführt werden (können). Die Informationen, welche Arzneimittel während einer Schwangerschaft verabreicht werden dürfen, werden aus weltweiten Geburtenregistern ermittelt, in denen Risiken detailgetreu eingetragen sind.

Hautveränderungen

Hautveränderungen in der Schwangerschaft sind auf die komplexen endokrinologischen, immunologischen, metabolischen und vaskulären Veränderungen des Körpers zurückzuführen und lassen sich einteilen in physiologische Hautveränderungen, Änderungen im Verlauf präexistenter Dermatosen und spezifische Schwangerschaftsdermatosen. Physiologische Hautveränderungen können die Pigmentierung betreffen wie Melasma oder Linea nigra, das Gefäßsystem wie Hämorrhoiden oder Vasikositas oder das Bindegewebe wie Striae distensae. Letztere sind die einzigen physiologischen Hautveränderungen, die postpartal nicht vollständig reversibel sind.

www.embryotox.de

Unter www.embryotox.de gibt es Informationen über den Einsatz von rund 400 Arzneimitteln während der Schwangerschaft.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2022