Schilddrüse und Schwangerschaft: Komplizierte Interaktion

10.05.2022 | Medizin

Die Interaktion zwischen Schilddrüse und Schwangerschaft ist kompliziert und komplex. Eine Erkrankung der Schilddrüse wirkt sich auf den Fötus aus – vice versa beeinträchtigt auch eine Schwangerschaft die Funktion der Schilddrüse.

Sophie Fessl

Grundsätzlichseidie Schilddrüse wichtig, um schwanger zu werden, und „während der Schwangerschaft spielen Schilddrüsenhormone eine wichtige Rolle“, erklärt Univ. Prof. Michael Gabriel vom Institut für Nuklearmedizin und Endokrinologie am Kepler Universitätsklinikum Linz. Und Priv. Doz. Julian Marschalek von der Klinischen Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin der Medizinischen Universität Wien ergänzt: „Gleichzeitig wurde es aufgrund besserer Evidenz und geänderter Leitlinien komplizierter, die Interaktion zwischen Schilddrüse und Schwangerschaft richtig zu bewerten und zu managen“.

Grundsätzlich ändert sich in der Schwangerschaft der Jod-Bedarf, da der Grundumsatz der Schilddrüse und die Ausscheidung über die Nieren steigen. In Jod-Mangel Gebieten – wie beispielsweise in Österreich – wird daher auch eine Jodid-Einnahme von 150 bis 250 Mikrogramm in Schwangerschaft und Stillzeit empfohlen. Bei einer Schilddrüsenüberfunktion wie zum Beispiel aufgrund eines autonomen Adenoms oder eines Morbus Basedow muss davon allerdings Abstand genommen werden. In der Schwangerschaft kann es außerdem zu einer vorübergehenden Erhöhung der Schilddrüsenhormone kommen, einer Beta-hCG-induzierten Hyperthyreose. Aufgrund der Strukturähnlichkeit von Beta-hCG und TSH wird dabei die Schilddrüse zur Produktion von Hormonen stimuliert. Das kann in einer vorübergehenden vermehrten Produktion von Schilddrüsenhormonen und einem niedrigen TSH-Wert resultieren, fT4 und fT3 sind nur gering erhöht. Üblicherweise normalisiert sich der TSH-Wert in weiterer Folge; das kann allerdings bis zur 20. Schwangerschaftswoche dauern. Die Beta-hCG-induzierte Hyperthyreose kann mit einer Hyperemesis gravidarum assoziiert sein.

M. Basedow & Adenom ausschließen

Die Vorgangsweise bei einer ausschließlichen Auslenkung des TSH-Werts erklärt Marschalek wie folgt: „Wenn die Patientin asymptomatisch ist, der niedrige TSH-Wert ein reiner Laborbefund ist und TRAK-Antikörper negativ sind, muss die Patientin nicht an ein Experten-Zentrum verwiesen werden. Allerdings müssen ein Morbus Basedow und ein autonomes Adenom ausgeschlossen werden.“ Die Autoimmunerkrankung Morbus Basedow, die eine Schilddrüsenüberfunktion auslöst, ist in der Schwangerschaft engmaschig zu kontrollieren. Denn ein Morbus Basedow könne „die Schwangerschaft verkomplizieren und eine Schwangerschaft vice versa die Behandlung des Morbus Basedow“, betont Marschalek. Um bei einem niedrigen TSH-Wert einen M. Basedow auszuschließen, empfiehlt Gabriel eine Ultraschall-Untersuchung der Schilddrüse sowie eine Bestimmung der Schilddrüsenautoantikörper, speziell der TRAK-Antikörper. Ist der TRAK-Wert negativ und es gibt keine sonstigen Auffälligkeiten liegt vermutlich eine reine Beta-hCG-induzierte Hyperthyreose vor. Sind TRAK-Antikörper nachweisbar, liegt vermutlich ein M. Basedow vor, der eng maschig kontrolliert werden sollte.

TRAK-Antikörper sind plazentagängig; vor allem im dritten Trimenon kann es zu einem Übertritt der Antikörper kommen. Dadurch wird die kindliche Schilddrüse stimuliert, vermehrt Hormone zu produzieren – mit der Konsequenz einer fetalen Hyperthyreose in utero. „Die Schwangerschaft sollte engmaschig kontrolliert und die Geburt in einem Zentrum stattfinden, wo das Kind neonatologisch kontrolliert und bei Bedarf intensivmedizinisch behandelt werden kann“, erklärt Gabriel. Die Hyperthyreose in Folge eines M. Basedow führt zu einem erhöhten Prozentsatz an Hypertonie in der Schwangerschaft, Frühgeburtlichkeit, erhöhtem intrauterinem fetalen Tod sowie intrauterinen Wachstumsstörungen. Beim Kind kann außerdem eine Tachykardie auftreten.

Behandlung ist komplex

Die Behandlung eines M. Basedow ist in der Schwangerschaft komplex. „Für Thiamazol, das bei der Behandlung des Morbus Basedow eingesetzt wird, gibt es Hinweise, dass es teratogen wirken und damit Fehlbildungen verursachen kann. Gleichzeitig kann es in seltenen Fällen zu schweren Nebenwirkungen bei der Mutter führen“, berichtet Marschalek. Bei einer Neuerkrankung wird daher im ersten Trimenon die Behandlung mit Prothiucil empfohlen; laufende Kontrollen sind notwendig. Eine bereits bestehende Therapie mit Thiamazol kann dagegen fortgeführt werden. Auch hier sind engmaschige Kontrollen notwendig. Gabriel ergänzt: „Aufgrund der veränderten immunologischen Situation in der Schwangerschaft kann es sein, dass im Laufe der Schwangerschaft eine niedrigere Dosis an Thyreostatika benötigt wird. Das sollte aber kontrolliert werden“. Beide Experten empfehlen, bereits vor der Schwangerschaft abzuklären, ob eine Hyperthyreose vorliegt und einen allenfalls vorhandenen M. Basedow zu behandeln. „Bei einem aktiven Morbus Basedow empfehle ich meinen Patientinnen, nicht schwanger zu werden“, berichtet Marschalek aus der Praxis. Hat eine Frau mit einem aktiven M. Basedow einen Kinderwunsch, sollte eine Thyreoidektomie angestrebt werden. Eine Sanierung mittels Radiojod-Therapie empfiehlt Gabriel bei jüngeren Patientinnen nicht, da in den folgenden Monaten keine Schwangerschaft eintreten sollte. Anschließend müssen die Schilddrüsenhormone substituiert werden. Dazu Gabriel: „Das wird meist gut vertragen, hat vergleichsweise keine Nebenwirkungen und kann gut eingestellt werden.“

Gefahren der Hypothyreose

Eine Unterfunktion sei „vergleichsweise weniger gefährlich“, betont Marschalek. Und weiter: „Bei einem Morbus Hashimoto sind die Antikörper nicht plazentagängig. Wenn die Patientin gut betreut und gut eingestellt ist und keine schwere Unterfunktion hat, ist ein Morbus Hashimoto daher eher nicht gefährlich, wenngleich auch hier eine Assoziation zwischen dem Antikörperstatus und Schwangerschaftskomplikationen wie zum Beispiel Frühgeburt beschrieben wurde.“ Nimmt die Frau bereits vor der Schwangerschaft Hormone ein, sollte laut Gabriel die Dosis während der Schwangerschaft erhöht werden, da der Bedarf an Hormonen „um rund ein Drittel höher ist.“ Die Bestimmung der Grenzwerte – besonders in der Schwangerschaft – sei in den letzten Jahren komplizierter geworden, betont Marschalek. „Vor zehn Jahren sagte man noch, in der Schwangerschaft muss der TSH-Wert unter drei liegen. Mittlerweile wurde eine Leitlinie der American Thyroid Association publiziert, die das verkompliziert.“ Demnach müssten jetzt die laborspezifischen Referenzwerte sowie der Antikörperstatus der Patientin mit in die Entscheidung einfließen.

Bei einem TSH-Wert unterhalb des laborspezifischen oberen Normwerts wird im Gegensatz zu früher bei negativen Schilddrüsen-Antikörpern keine Behandlung mehr empfohlen. Liegt der TSH-Wert über 2,5 – aber unter dem laborspezifischen oberen Normwert – hängt die Behandlung vom Antikörper-Status an: Bei einem positiven Antikörperstatus sollte eine Therapie erwogen werden. „Grundsätzlich ist aber eine Behandlung mit Schilddrüsen-Hormonen nicht schädlich. Daher wird eine Therapie oft eher frühzeitig begonnen“, berichtet Gabriel. Trotzdem müssen die Patientinnen engmaschig kontrolliert werden: mindestens einmal pro Trimenon – wenn nicht sogar öfter – sollte eine Hormonkontrolleerfolgen, da sich im Lauf der Schwangerschaft der Hormonbedarf weiter ändern kann. Bei Risikopatientinnen für Schilddrüsenerkrankungen sollte häufiger kontrolliert werden. Dazu zählen Patientinnen mit einem früheren aktuell inaktiven Morbus Basedow oder M. Hashimoto; Patientinnen, die wegen Schilddrüsenproblemen operiert wurden sowie Patientinnen post Radiatio im Kopf-/Halsbereich.

Bei einer Schilddrüsenhormonsubstitution während der Schwangerschaft empfiehlt Gabriel eine Laborkontrolle drei Monate nach der Geburt. Marschalek wiederum rät, die Hormon dosis nach der Geburt auf das Niveau vor der Konzeption zu reduzieren und etwa sechs Wochen nach Dosisanpassung eine Laborkontrolle durchzuführen. Dabei wird festgestellt, ob eine weitere Behandlung mit Schilddrüsenhormonen auch nach der Geburt notwendig ist. Liegt post partum erstmals eine Hyperthyreose vor, sollte eine entsprechende Abklärung erfolgen. Bei der Post partum-Thyreoidits kann es getriggert durch die Zerstörung des Schilddrüsengewebes zu einer passageren Überfunktion kommen. Für die Behandlung kommen nicht Thyreostatika, sondern Beta-Blocker zum Einsatz. Wegen des möglichen Übergangs in eine Hashimoto-Thyreoiditis ist eine engmaschige Kontrolle erforderlich. Schilddrüsen-Werte können laut Gabriel jedoch auch von anderen Medikamenten beziehungsweise Vorerkrankungen beeinflusst werden wie etwa durch Glukokortikoide oder bei AIDS. In diesem Fall ist die Schilddrüse allerdings nicht behandlungsbedürftig.

TSH im Mutter-Kind-Pass

Die Ermittlung des TSH-Werts ist momentan (noch) nicht im Mutter-Kind-Pass verankert, wenngleich die meisten Gynäkologen das TSH in der Frühschwangerschaft kontrollierten, so Marschalek. Bei unerfülltem Kinderwunsch sollte der TSH ebenso kontrolliert werden wie zu Beginn einer Schwangerschaft, wenn Vorerkrankungen vorliegen; ebenso auch bei klinischen Symptomen, die auf eine Über- oder Unterfunktion hindeuten. Im Rahmen des „Prepare for Pregnancy“ empfiehlt Marschalek seinen Patientinnen unter anderem eine Abklärung der Schilddrüse, da zum Beispiel ein Morbus Basedow vorab behandelt und eine erhöhte Jod-Aufnahme, die das Autoimmungeschehen weiter befeuert, vermieden werden könne. „Auch wenn ein PCO-Syndrom, Endometriose oder Abortus habitualis vorliegt, kontrollieren wir die Patientinnen mit einem Schilddrüsen-Ultraschall und einer Laborbestimmung“, berichtet Gabriel aus der Praxis. Auch Marschalek rät zu dieser Vorgangsweise: „Sowohl bei unerfülltem Kinderwunsch als auch bei wiederholter Fehlgeburt empfiehlt es sich, die Schilddrüse anzusehen.“

Österreichische Ärztezeitung Nr. 09 / 10.05.2022