Ori­gi­nal­ar­beit: Sport ist Prävention!

26.10.2022 | Medizin

Bis zu 50 Pro­zent des Bene­fits von sport­li­cher Akti­vi­tät gehen durch Sport­ver­let­zun­gen ver­lo­ren. In Öster­reich gibt es jähr­lich rund 200.000 Sport­un­fälle – am häu­figs­ten im alpi­nen Schi­lauf sowie im Fuß­ball. Hier kann durch alters­ad­ap­tierte Prä­ven­ti­ons­pro­gramme das Risiko für eine Ver­let­zung an der unte­ren Extre­mi­tät um 50 Pro­zent ver­rin­gert werden.

Ste­fan Nehrer und Josef Niebauer*

Der posi­tive Ein­fluss von sport­li­cher Akti­vi­tät auf den mensch­li­chen Orga­nis­mus ist in zahl­rei­chen epi­de­mio­lo­gi­schen Stu­dien hin­rei­chend doku­men­tiert. In der Gesamt­ge­sund­heits­be­trach­tung gehen 40 bis 50 Pro­zent die­ser Bene­fits durch Sport­ver­let­zun­gen ver­lo­ren. Dar­aus ergibt sich die drin­gende Not­wen­dig­keit einer adäqua­ten Ver­let­zungs­pro­phy­laxe; bis zu 50 Pro­zent die­ser Gelenks­ver­let­zun­gen kön­nen durch prä­ven­tive Maß­nah­men ver­hin­dert wer­den. Nicht nur die Gelenke sind durch sport­li­che Akti­vi­tät bean­sprucht, auch das Herz-Kreis­lauf­sys­tem ist unter erhöh­ter kör­per­li­cher Belas­tung gefor­dert. Sport­me­di­zi­ni­sche Unter­su­chun­gen kön­nen das Risiko eines plötz­li­chen Herz­tods bei Sport­lern signi­fi­kant sen­ken. Vor allem aber ist Inak­ti­vi­tät mit einem erhöh­ten Ster­be­ri­siko asso­zi­iert: Welt­weit ster­ben jähr­lich 5,1 Mil­lio­nen Men­schen an den Fol­gen von Rau­chen. Dem­ge­gen­über ste­hen 5,3 Mil­lio­nen Mor­ta­li­täts­fälle, die auf Bewe­gungs­man­gel zurückgehen.

Kon­takt­sport­ar­ten als Risiko 

Rund 200.000 Sport­un­fälle ereig­nen sich pro Jahr in Öster­reich – am häu­figs­ten im alpi­nen Ski­lauf und Fuß­ball. Jede Sport­art hat ihr eige­nes Risi­ko­pro­fil mit unter­schied­li­chen Ver­let­zungs­schwer­punk­ten. Ein typi­sches Ver­let­zungs­mus­ter ist die Kreuz­bandrup­tur durch das Ein­kni­cken des Knie­ge­len­kes in der Bewe­gung nach innen. Begüns­tigt wird dies durch eine Kom­bi­na­tion aus Becken- und Bein­ach­sen­in­sta­bi­li­tät. Pro­ble­ma­tisch sind hier vor allem „High Impact“-Sportarten, die mit einer dyna­mi­schen Belas­tung und raschen Rich­tungs­wech­seln ein­her­ge­hen. Am häu­figs­ten sind Ver­let­zun­gen der unte­ren Extre­mi­tät – vor allem das Sprung­ge­lenk und das Knie­ge­lenk. Gefürch­tet sind Rup­tu­ren der Kreuz­bän­der – beson­ders des vor­de­ren Kreuz­ban­des –, die in der Regel dann auf­tre­ten, wenn hohe Geschwin­dig­kei­ten auf starke Kraft­be­las­tun­gen treffen.

Dass Kreuz­band­ver­let­zun­gen kein Ein­zel­schick­sal dar­stel­len, zeigt die hohe Ver­let­zungs­in­zi­denz – exem­pla­risch am Bei­spiel von Fuß­ball. Mit 200.000 Profi-Spie­lern und 240 Mil­lio­nen Ama­teur­spie­lern ist Fuß­ball welt­weit die popu­lärste Sport­art mit der höchs­ten Anzahl an akti­ven Spie­lern in Bezug auf Kreuz­band­ver­let­zun­gen, die sich pro Jahr ereig­nen wür­den, die der­zeit fünf Mil­lio­nen Ver­let­zun­gen pro Jahr betra­gen. Eine lang­wie­rige Reha­bi­li­ta­tion ist die Folge, gepaart mit lan­gen Aus­falls-zei­ten, was sowohl für den ein­zel­nen Spie­ler als auch für den jewei­li­gen Ver­ein pro­ble­ma­tisch ist.

Prä­ven­tion beim Freizeitsport 

Profi-Sport­ver­bände wie die FIFA (Fédé­ra­tion Inter­na­tio­nale de Foot­ball Asso­cia­tion) haben dar­auf früh mit alters­ad­ap­tier­ten­Prä­ven­ti­ons­pro­gram­men reagiert. Dabei kann geziel­tes pro­prio­zep­ti­ves und mus­kel­kräf­ti­gen­des Trai­ning dazu bei­tra­gen, der Insta­bi­li­tät vor­zu­beu­gen und damit das Ver­let­zungs­ri­siko beträcht­lich zu sen­ken. In vie­len Stu­dien ist evi­dent, dass sol­che Pro­gramme wirk­sam sind: Das Risiko einer Fuß­ball-asso­zi­ier­ten Ver­let­zung an der unte­ren Extre­mi­tät kann durch adäquate Ver­let­zungs­pro­phy­laxe um 50 Pro­zent redu­ziert wer­den. Da die Ver­let­zungs­mus­ter im Pro­fi­sport jenen im Frei­zeit­sport glei­chen, gilt es, Prä­ven­ti­ons­stra­te­gien auf brei­ter Ebene wie etwa im Vol­ley­ball, Bas­ket­ball etc. zu imple­men­tie­ren. Dazu muss nicht nur ein Bewusst­sein für das Pro­blem geschaf­fen, son­dern auch eine sys­te­ma­ti­sche Ver­let­zungs­er­he­bung erfol­gen: wie die Ver­let­zun­gen erfol­gen, die Größe und Anzahl der Schä­di­gun­gen abschät­zen, gezielte Maß­nah­men durch Trai­ner und Sport­ler umset­zen und danach die Ver­bes­se­rung doku­men­tie­ren. Die Ana­lyse als Grund­lage für die Kon­zep­tion von Gegen­stra­te­gien, wie im Prä­ven­ti­ons­kon­zept nach Mechelen beschrie­ben, ist also wichtig.

Das Wis­sen über Prä­ven­tion muss bereits in jun­gen Jah­ren ver­mit­telt wer­den: zum Bei­spiel in Form von spie­le­ri­schen Bewe­gungs­pro­gram­men in der Schule oder im Ver­ein, da die Früh­in­ter­ven­tion hohen Stel­len­wert hat. Diese ist auch von Bedeu­tung, um früh­zei­ti­gen arthro­ti­schen Ver­än­de­run­gen im Gelenks­knor­pel – oft eine Folge von lang­jäh­ri­ger Unter‑, Über- und Fehl­be­las­tung – ent­ge­gen­zu­wir­ken. So kann der posi­tive Effekt von Sport auf den Orga­nis­mus genützt wer­den, und der posi­tive Effekt auf Über­ge­wicht, Dia­be­tes mel­li­tus, Herz-/Kreis­lauf-Erkran­kun­gen und vie­les andere mehr unter­stützt wer­den. Die stei­gende Zahl an über­ge­wich­ti­gen und bewe­gungs­ar­men Kin­dern ist alar­mie­rend und braucht drin­gende Bewe­gungs­im­pulse. Sport und Bewe­gung müs­sen mög­lichst ver­let­zungs­frei gehal­ten wer­den, damit diese Effekte auf die Volks­ge­sund­heit wirk­sam wer­den können.

Aus Sicht der inter­nis­ti­schen Sport­me­di­zin haben sport­lich aktive Per­so­nen ver­gli­chen mit sport­lich Inak­ti­ven ein gerin­ge­res Mor­ta­li­täts­ri­siko. Die Gründe dafür sind man­nig­fal­tig: Regel­mä­ßige Bewe­gung senkt den systolischen/​diastolischen Blut­druck, ver­bes­sert das Lipid­pro­fil und den Blut­zu­cker und führt zu einer Reduk­tion des Kör­per­ge­wichts, so dass sich das Risiko für eine Arte­rio­skle­rose dadurch ver­min­dert. Die Wahr­schein­lich­keit für eine kar­dio­vas­ku­läre Erkran­kung ist bei fit­ten Men­schen um 40 Pro­zent nied­ri­ger als bei sport­lich inak­ti­ven Men­schen. Außer­dem spielt Sport auch bei der Prä­ven­tion von Dia­be­tes mel­li­tus eine große Rolle: Kör­per­li­che Akti­vi­tät akti­viert einen Insu­lin-unab­hän­gi­gen Mecha­nis­mus, mit dem die Kör­per­zel­len Glu­kose bes­ser aus dem Blut auf­neh­men kön­nen, wodurch die Insu­lin­sen­si­ti­vi­tät steigt.

Den­noch ist Sport auch ein Trig­ger für einen Myo­kard­in­farkt und einen plötz­li­chen Herz­tod, wenn­gleich dies wesent­lich sel­te­ner vor­kommt. Zwi­schen 0,7 und 3,0 Todes­fälle kom­men auf 100.000 Sport­trei­bende pro Jahr. Meist liegt dem plötz­li­chen Herz­tod eine uner­kannte Herz­er­kran­kung zugrunde wie zum Bei­spiel eine Myo­kar­di­tis oder eine koro­nare Herz­krank­heit. So haben sich 36 von 37 Sport­lern unter 35 Jah­ren, die an plötz­li­chem Herz­tod ver­star­ben, zuvor kei­ner ärzt­li­chen Unter­su­chung unter­zo­gen. Wie in einer Unter­su­chung in Ita­lien fest­ge­stellt wurde, könn­ten ver­pflich­tende sport­me­di­zi­ni­sche Unter­su­chun­gen das Mor­ta­li­täts­ri­siko bei Sport­lern deut­lich sen­ken. Bis zu 66 Pro­zent jener Patho­lo­gien, die dem Herz­tod zugrunde lie­gen, hät­ten dem­nach im EKG erkannt wer­den kön­nen. Dies­be­züg­lich gibt es in Öster­reich jedoch keine stan­dar­di­sier­ten Bestim­mun­gen. Hier­zu­lande legen die Sport­ver­bände fest, ob eine sport­me­di­zi­ni­sche Unter­su­chung zu erfol­gen hat und bestim­men auch die jewei­li­gen Inhalte. Aus Sicht der Autoren erscheint es jedoch sinn­voll, vor sport­li­chen Groß­ver­an­stal­tun­gen wie etwa einem Mara­thon ein­heit­li­che sport­me­di­zi­ni­sche Scree­nings anzubieten.

Lite­ra­tur

*Univ. Prof. Dr. Ste­fan Nehrer, MSc, Donau-Uni­ver­si­tät Krems/​Fakultät für Gesund­heit und Medi­zin, Dr. Karl Dor­rek-Straße 30, 3500 Krems; Univ. Prof. DDr. Josef Nie­bauer, MBA; Uni­kli­ni­kum Salzburg/​Universitätsinstitut für prä­ven­tive und reha­bi­li­ta­tive Sport­me­di­zin, Lind­hof­gasse 20, 5020 Salzburg.

Kor­re­spon­denz­adresse: stefan.nehrer@donau-uni.ac.at


Tipp: Kon­gress Update Sportmedizin
Um die Prä­ven­tion von Sport­ver­let­zun­gen und Gesund­heits­för­de­rung geht es beim Kon­gress „Update Sportmedizin“.
Wann: 4./5. Novem­ber 2022
Wo: Audi­max am Cam­pus Krems
Details und Anmel­dung unter: sportmedizin-kongress@donau-uni.ac.at


© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 20 /​25.10.2022