Listerien: Mut zum Nichtstun

25.04.2022 | Medizin

Als Beweis für ein funktionierendes Überwachungssystem sehen Experten die Tatsache, dass vermehrt Lebensmittel entdeckt werden, die mit Listerien kontaminiert sind. Dies ist vor allem auf die industrielle Lebensmittelproduktion zurückzuführen. Ohne Symptome ist Mut zum Nichtstun gefragt.

Manuela-C. Warscher

Es hat den Anschein, als ob Listerien-Fälle in den vergangenen 25 Jahren zugenommen haben, da wir 1997 ‚nur‘ acht Fälle verzeichnet haben. Doch der Anstieg der Fälle ist primär der Beweis, dass wir ein ausgezeichnet funktionierendes Überwachungssystem aufgebaut haben“, erklärt Univ. Prof. Franz Allerberger, der als Leiter des Fachbereichs Öffentliche Gesundheit der AGES (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) jahrelang die Entwicklung mitverfolgt hat. Labortechnisch verifizierte die AGES im Jahr 2021 insgesamt 36 Fälle und sieben Todesfälle; schwangerschaftsassoziiert waren zwei. Mit Listeria monocytogenes kontaminierte Lebensmittel stellen den primären Übertragungsweg dar. Dabei konnte die AGES neben den „bekannten Lebensmittelkandidaten“ (Allerberger) wie rohes Fleisch, unpasteurisierte Milch und Milchprodukte in den letzten Jahren Erreger auch in Regenbogenforellen und tiefgefrorenem Gemüse nachweisen. „Es gibt nichts, wo nicht Listerien drauf sein können“, so Allerberger. Dies sei vor allem auf die industrielle Lebensmittelproduktion zurückzuführen, denn vor 1980 „gab es kaum Listerienfälle“.

Die Höhe der Keimzahl im Lebensmittel definiert die Schwere der Erkrankung. „Tatsächlich waren Erkrankungen in den letzten Jahren mit einer Zahl von 100.000 pro Gramm Lebensmittel oder höher verbunden“, so Allerberger. Bei Lebensmittel­proben aus dem Handel darf die Keimzahl 100 pro Gramm Lebensmittel nicht überschreiten. „Null Toleranz gilt weiterhin bei Säuglingsnahrung und bei Spezialprodukten für medizinische Zwecke“, unterstreicht der Experte. Dennoch kommt es zu Lebensmittelrückrufen bei einer Keimzahl von weniger als 100 Keimen pro Gramm, wenn eine Anreicherung bis zum Ablauf der Verbrauchsfrist nicht ausgeschlossen werden kann. Außerdem sind „Listerien bakterielle Erreger, die sich ohne Probleme im Kühlschrank vermehren können“. In Zusammenhang mit Listerien kam es 2020 zu sechs Rückrufen von Lebensmitteln; 2021 gab es einen Rückruf.

Keine Labortests

Derzeit existieren keine Labortests zum Nachweis einer Infektion, bevor man erkrankt. Allerberger dazu: „Ein Nachweis von Listerien im Stuhl ist grundsätzlich möglich, doch er ist erst in der Zusammenschau mit der Entwicklung von ­klinischen Symptomen aussagekräftig“. Entscheidend sei aber, dass nur sehr wenige Listerien-Ausscheider eine invasive Form der Listeriose entwickeln. „Der niedergelassene Allgemein­mediziner muss eine Listerien-Infektion in seinen differentialdiagnostischen Überlegungen berücksichtigen.“ Dabei kann es je nach Krankheitsbild zu unterschiedlichen Inkuba­tionszeiten kommen: Bei gastrointestinalen Symptomen beträgt sie zwischen wenigen Stunden und sechs ­Tagen, bei einem septikämischen Verlauf zwischen einem und zwölf Tagen, neuroinvasive Manifestationen haben eine Inkubationszeit von einem bis 14 Tage. Eine noch längere Inkubations­zeit haben schwangerschaftsassoziierte Fälle mit 17 bis 67 Tagen.

Verläuft eine Infektion bei Menschen mit intaktem Immunsystem entweder ohne sichtbare Krankheitszeichen oder mit Fieber und Durchfall, kann es bei Risikogruppen zur Meningitis und Meningoenzephalitis kommen. „Etwa drei Viertel der schweren Erkrankungen betreffen immungeschwächte Personen, beispielsweise onkologische Patienten unter hochdosierter Kortison-Therapie. Doch es erkranken auch alte Personen ohne spezifische Vorerkrankungen“, sagt Allerberger.

Dass das Alter ein großer Risikofaktor ist, unterstreicht die Auswertung der Fälle aus dem Jahr 2020: Hier lag das Durchschnittsalter bei 71 Jahren. Neben einer Meningitis oder ­Sepsis verursachen Listerien Entzündungen beispielsweise in Wirbel­körpern. Ein relativ geringes Erkrankungsrisiko wiederum hätten Schwangere, so Allerberger, denn „von mehr als 85.000 Lebendgeburten infizierten sich 2021 lediglich zwei Frauen, ohne dass es dabei zum Todesfall bei der Leibesfrucht gekommen wäre“. Daher sei eine Antibiotikabehandlung nach Verzehr von möglicherweise Listerien-belasteten Lebensmitteln in den „meisten Fällen nicht notwendig“ und berge eher das „Risiko von Nebenwirkungen“ für Mutter und Kind. Nachdem Listerien eine natürliche Cephalosporin-­Resistenz haben, müsse im Falle einer Antibiotika-Therapie auf Aminopencilline ausgewichen werden. Wenn der Betroffene jedoch keine sichtbaren Symp­tome aufweise, reiche es aus, ihn weiter „zu beobachten“. Denn: „Der Allgemein­mediziner muss hier den Mut zum Nichtstun ­haben“, bekräftigt Allerberger.


Listeriose & Produktrückruf

1) Listerien können auf jedem nicht erhitzten Lebensmittel – vom Fleisch bis hin zur Tiefkühlkost – vorkommen.
2) Ein Produktrückruf erfolgt jedenfalls bei mehr als 100 Erreger pro Gramm Lebensmittel.
3) Der Allgemeinmediziner sollte den Mut zum Nichtstun haben, solange keine Symptome (Fieber, Durchfall) 14 Tage ab Verzehr auftreten.
4) Therapie mit Aminopenicillinen


© Österreichische Ärztezeitung Nr. 08 / 25.04.2022