Interview Josef W. Egger: Arzt als Begleiter

16.08.2022 | Medizin

Der Arzt ist Begleiter des Kranken sowie auch Katalysator und Problemlöser, betont Josef W. Egger, em. Univ. Prof. für biopsychosoziale Medizin der Medizi­nischen Universität Graz. In den drei PSY­Lehrgängen werden die notwendigen Kompetenzen vermittelt, erklärt er im Gespräch mit der ÖÄZ.

Welche Bedeutung hat das bio-psycho-soziale Modell für eine zeitgemäße Medizin? Dieser ‚ganzheitliche‘ Ansatz verbindet empirische Forschungsergebnisse – also Evidence based Medicine – mit psychologischen und öko­sozialen Wirkfaktoren. Medizin wird damit für den praktizierenden Arzt holistisch, wie ich das auch in meinem Buch ‚Psychosoziale, psychosomatische und psychotherapeutische Medizin‘ dargelegt habe. Denn der Kranke wird nicht nur als reparaturbedürftiger Organismus, sondern auch mit seinem individuellen Denken, Fühlen und Handeln innerhalb seiner individuellen Lebensumwelt wahrgenommen. Gemäß der Leitidee von Paracelsus ‚Zuerst heile mit dem Wort, dann mit der Arznei und zum Schluss mit dem Messer‘ hat der Arzt in diesem Modell auch drei Funktio nen: als Begleiter des Kranken, als Katalysator bei der Krankenbehandlung und als Problemlöser im Krankheitsfall.

Welche Fertigkeiten und Kompetenzen benötigt der Arzt, um die einzelnen Funktionen bestmöglich ausfüllen zu können? Zunächst benötigt er psychosoziale und kommuni kative Kompetenzen für eine gute Arzt­Patienten­Beziehung. Sehr wertvoll sind auch psychosomatische und psychotherapeutische Kompetenzen – also zum Beispiel Wissen und Fertigkeiten im Umgang mit Verhaltensrisikofaktoren und die professionelle Förderung der Hilfe zur Selbsthilfe bei der Gesundung des Patienten. Die Grundlage dafür bleibt immer die naturwissenschaftliche Kompetenz, um biomedizinische Eingriffsmöglichkeiten zu erkennen und zu nutzen.

Wie ist das in der ärztlichen Ausbildung abgebildet? Um die psychosoziale und kommunikative Kompetenz der Ärzte nach dem Studium berufsbegleitend zu optimieren, wurden die drei aufeinander aufbauenden PSY­Diplom­Lehrgänge ins Leben gerufen. Sie sollen helfen, den zeitgemäßen Anforderungen an den ärztlichen Beruf gerecht zu werden.

Welche thematischen Schwerpunkte haben die einzelnen Lehrgänge? Im PSY1, der ersten Stufe, werden innerhalb eines Semesters die wesentlichen Grundlagen der ärztlichen Kommunikation vermittelt. Im Zentrum steht dabei, wie man eine gute Arzt­Patienten­Beziehung aufbaut und aufrechterhält. PSY2 konzentriert sich auf das bio­psycho­soziale Modell. Wie lassen sich biologische, psychologische und Lebenswelt bezo­ gene Wirkfaktoren im Krankheitsgeschehen für eine parallele diagnostische und therapeutische Arbeit optimal nutzen. Das ist gerade für komplexere Störungen wie chronische Erkrankungen sehr hilfreich. Dieses Curriculum dauert zwei Jahre. Teilnehmer des PSY3­Lehrgangs erwerben die nötige psychotherapeutische Kompetenz. Je nach Angebot kann dabei eine der vier basalen Psychotherapierichtungen als Hauptfach gewählt werden, die verbleibenden bilden dann die Nebenfächer: Integrative Verhaltenstherapie, Systemische Therapie, Psychodynamische Therapie, Humanistische Therapie.

Dennoch: Kommunikationsstile sind durchaus individuell. Wie wird dies in der Ausbildung berücksichtigt? Wir arbeiten beispielsweise im PSY1­Lehrgang mit individuellen Problemen im Umgang mit Patienten. Anhand von ‚schwierigen‘ Patienten in der eigenen Praxis wird die Kommunikation analysiert und in der Folge optimiert. Ziel ist es, Zeit und Effizienz zu verbessern und eine professionelle Arzt­Patienten­Interaktion zu trainieren. Die Teilnehmer erleben, wie dieser patientenorientierte Ansatz die Arbeit emotional entlastet und auch effektiver macht, weil es beispielsweise zu weniger Missverständnissen zwischen Arzt und Patienten kommt und eine deutlich bessere Therapietreue erreicht wird. Dabei wird insbesondere auch die Bringschuld des Patienten, also seine Mitverantwortung für die eigene Gesundung, thematisiert.

An wen richtet sich diese Ausbildung? Die Ausbildung steht grundsätzlich allen Fachrichtungen der Medizin offen, zu Beginn waren es vorwiegend Allgemeinmediziner, die die Lehrgänge besucht haben. Inzwischen kommen die Teilnehmer aus fast allen Fachrichtungen. Wegen der neuen Ausbildungsordnung sind nun auch die Psychiater zumindest im PSY3 dabei.

Wie ist das Feedback? Außerordentlich gut. Die Ärztinnen und Ärzte, die teilgenommen haben, meinen mehrheitlich, dass die Absolvierung der PSY­Lehrgänge eine der besten Entscheidungen ihres aktiven Berufslebens war. Aufgrund der vermittelten Inhalte haben sie gelernt, wie man mit auch mit komplexen Störungen und ‚schwierigen‘ Patienten umgeht und wo sie im Bedarfsfall Hilfe und Unterstützung erhalten können. Am meisten aber haben die Absolventen persönlich von den Inhalten profitiert.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2022