Insult bei Kin­dern: Sym­ptome erken­nen mit FAST-Test

26.10.2022 | Medizin

Je jün­ger ein Kind, umso unspe­zi­fi­scher prä­sen­tiert sich ein Insult. Leit­sym­ptome sind – unab­hän­gig vom Alter der Kin­der und Jugend­li­chen – eine akute Hemi­pa­rese, eine Fazia­li­s­pa­rese sowie die Sprach­stö­rung. Der dabei ein­ge­setzte FAST-Test – er hat eine Sen­si­ti­vi­tät von 75 Pro­zent – hilft dabei, die Sym­ptome zu erkennen.

Manuela‑C. War­scher 

Mit etwa zwei bis acht Fäl­len auf 100.000 Kin­dern pro Jahr tritt der Insult bei Kin­dern sel­te­ner als bei Erwach­se­nen auf. Den­noch zählt er zu den zehn häu­figs­ten Todes­ur­sa­chen im Kin­des­al­ter und ist mit einer hohen Mor­bi­di­tät asso­zi­iert. „Neben neu­ro­lo­gi­schen Sym­pto­men inklu­sive Epi­lep­sie bei bis zu 70 Pro­zent blei­ben auch Fol­gen wie Ent­wick­lungs­stö­rung, Schul­schwie­rig­kei­ten, Kon­zen­tra­ti­ons­stö­run­gen und emo­tio­nale Pro­bleme zurück“, erklärt Univ. Prof. Rai­ner Seidl von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Kin­der- und Jugend­heil­kunde der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien. In Öster­reich erlei­den jähr­lich etwa 50 Kin­der und Jugend­li­che einen arte­ri­ell ischä­mi­schen Schlag­an­fall. Obwohl die­ser laut Univ. Doz. Mat­thias Bau­mann von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Päd­ia­trie I der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Inns­bruck grund­sätz­lich alle Alters­stu­fen betrifft, könne man drei Häu­fig­keits­gip­fel feststellen.

Neben dem Jugend­al­ter wer­den in ers­ter Linie im Vor­schul- und Säug­lings­al­ter erhöhte Inzi­den­zen regis­triert. „Vor allem bei Neu­ge­bo­re­nen rund um die Geburt sehen wir eine Inzi­denz von einem Insult auf 4.000 Lebend­ge­bo­rene“, erklärt Seidl. Wel­che Ursa­chen die­sen unter­schied­li­chen Peaks zugrunde lie­gen, konnte jedoch bis­lang nicht geklärt wer­den. „Infek­tio­nen unter ande­rem mit Vari­zel­len schei­nen aber im Vor­schul­al­ter ein beson­de­res Risiko für einen Insult dar­zu­stel­len – vor allem bei der Post-Vari­zel­len-Arte­rio­pa­thie“, so Baumann.

Neben der Arte­rio­pa­thie sind gene­ti­sche Prä­dis­po­si­tio­nen oder meta­bo­li­sche Ursa­chen beson­dere Risi­ko­fak­to­ren für einen kind­li­chen Insult. „Arte­rio­pa­thien sind in fast der Hälfte der Fälle der Grund für den Insult und außer­dem häu­fig für ein Rezi­div ver­ant­wort­lich“, so Bau­mann. Zwi­schen einem Fünf­tel und knapp einem Drit­tel der Fälle sind auf kar­diale oder embo­li­sche Ursa­chen zurück­zu­füh­ren. So kann bei­spiels­weise die ein­ge­schränkte Pump­funk­tion bei der dila­ta­ti­ven Kar­dio­myo­pa­thie oder bei Herz­rhyth­mus­stö­run­gen zu Blut­ge­rinn­seln im Her­zen füh­ren und einen Insult zur Folge haben. Ebenso kön­nen auch ein per­sis­tie­ren­des Fora­men ovale oder aber auch bei einer para­do­xen Embo­lie Throm­ben die Ursa­chen sein. Ande­rer­seits zäh­len ange­bo­rene oder erwor­bene pro­throm­bo­ti­sche Erkran­kun­gen wie Anti­throm­bin­man­gel, Pro­tein-C-Man­gel, Pro­tein-S-Man­gel, Fak­tor-V-Lei­den-Muta­tion, Pro­throm­bin­mu­ta­tion oder hohe Fak­tor-VIII-Spie­gel zu den bekann­ten Risi­ko­fak­to­ren. Bei Neu­ge­bo­re­nen blei­ben Ursa­chen meist unbe­kannt, doch ent­ste­hen Gerinn­sel in der Regel noch im Ute­rus; sel­ten wird eine ange­bo­rene Throm­bo­se­nei­gung oder Gefäß­fehl­bil­dung gefun­den. „Es kann aber auch sein, dass meh­rere Ursa­chen zu einem Insult füh­ren“, erklä­ren die bei­den Exper­ten uni­sono. Ganz aus­schlie­ßen kann man – im Gegen­satz zu Erwach­se­nen – eine Arte­rio­skle­rose oder andere Risi­ko­fak­to­ren, die pri­mär bei Erwach­se­nen von Bedeu­tung sind wie etwa Vor­hof­flim­mern oder Dia­be­tes mellitus.

Leit­sym­ptome sind – unab­hän­gig vom Alter der Kin­der und Jugend­li­chen – eine akute Hemi­pa­rese, eine Fazia­li­s­pa­rese sowie die Sprach­stö­rung. „Der FAST-Test – face, arm, speech, time – hilft dabei, die Sym­ptome zu erken­nen und zu reagie­ren“, so Bau­mann. Rezen­ten Unter­su­chun­gen zufolge zeigt die­ser Test eine Sen­si­ti­vi­tät von mehr als 75 Pro­zent; wer­den zudem balance und eyes (beFAST-Test) berück­sich­tigt, kann sich die Sen­si­ti­vi­tät und Spe­zi­fi­tät mög­li­cher­weise wei­ter erhö­hen. „Man muss jedoch berück­sich­ti­gen, dass bei Kin­dern mit akut fokal neu­ro­lo­gi­schem Defi­zit in nur sie­ben Pro­zent der Fälle ein Schlag­an­fall für die akute Neu­ro­lo­gie ursäch­lich ist, bei Erwach­se­nen hin­ge­gen bei mehr als 70 Pro­zent“, sagt Seidl. Dif­fe­ren­ti­al­dia­gnos­tisch müs­sen daher bei Kin­dern eine Migräne, Krampf­an­fälle oder idio­pa­thi­sche Fazia­li­s­pa­rese aus­ge­schlos­sen wer­den. Außer­dem wird die Dia­gnose auf­grund wei­te­rer unspe­zi­fi­scher Sym­ptome wie Krampf­an­fälle bei Säug­lin­gen oder Kopf­schmer­zen bei Kin­dern erschwert. Bau­mann dazu: „Auch ist ein ‚stot­tern­der‘ Ver­lauf mög­lich. Dabei tre­ten Sym­ptome auf und ver­schwin­den wie­der, tre­ten wie­der auf usw. Die­ser Ver­lauf ist beson­ders bei Kin­dern mit Arte­rio­pha­thien zu beob­ach­ten.“ Zu beach­ten sei, dass die kli­ni­sche Prä­sen­ta­tion eines Schlag­an­falls umso unspe­zi­fi­scher ist, je jün­ger das Kind ist. „Letzt­lich kann eine ein­deu­tige Dia­gnose aus­schließ­lich durch bild­ge­bende Ver­fah­ren – vor allem MRT – gestellt wer­den“, so Baumann.

Etwa 70 bis 80 Pro­zent der Kin­der lei­den nach einem Insult unter neu­ro­lo­gi­schen und kogni­ti­ven Lang­zeit­fol­gen. Die These der Plas­ti­zi­täts­theo­rie, wonach sich das kind­li­che Gehirn wegen sei­ner grö­ße­ren Plas­ti­zi­tät bes­ser an die Fol­gen einer Hirn­lä­sion anpas­sen kann, wurde kürz­lich wider­legt. „Genau das Gegen­teil ist eigent­lich der Fall“, so Seidl. „Je jün­ger das Kind ist, umso stär­ker sind die Aus­wir­kun­gen.“ Aus­schlag­ge­bend für die Pro­gnose sei daher die Größe des betrof­fe­nen Are­als und der Zeit­punkt des Insults. „Beson­ders kri­tisch ist ein Insult zwi­schen dem ers­ten Lebens­mo­nat und dem fünf­ten Lebens­jahr.“ So zei­gen Kin­der, die in den ers­ten Lebens­jah­ren einen Insult erlei­den, schlech­tere kogni­tive Fähig­kei­ten als Kin­der mit einem sol­chen Ereig­nis im ers­ten Lebens­mo­nat oder zwi­schen sechs und 16 Jah­ren. Auch das Rezi­div­ri­siko hängt vom Alter ab: Wäh­rend es beim peri­na­ta­len Stroke mit zwei Pro­zent eher gering ist, erhöht es sich im Kin­des- und Jugend­al­ter auf bis zu 40 Pro­zent. Die Ätio­lo­gie und das Risi­ko­pro­fil bestim­men das Rezidivrisiko.

The­ra­pie und Prophylaxe

Die The­ra­pie besteht pri­mär in der Anti­ko­agu­la­tion mit unfraktioniertem/​niedermolekularem Hepa­rin oder die Hem­mung der Throm­bo­zy­ten­ag­gre­ga­tion mit ASS über einen Zeit­raum von min­des­tens sechs Mona­ten. Beim neo­na­ta­len Insult ist diese The­ra­pie ver­kürzt oder gar nicht ange­zeigt. Nicht zuge­las­sen für die The­ra­pie im Kin­des­al­ter sind direkte orale Anti­ko­agu­lan­tien. Ganz gene­rell wird die Rege­ne­ra­tion der Gehirn­funk­tion durch Ergo­the­ra­pie und Phy­sio­the­ra­pie unter­stützt. „Die Pro­phy­laxe ist bei Kin­dern auf­grund der feh­len­den Arte­rio­skle­rose natür­lich völ­lig anders zu kon­zi­pie­ren“, so Seidl. Dem­nach müsse je nach indi­vi­du­el­lem Risi­ko­pro­fil für ein Rezi­div „mög­li­cher­weise“ eine lebens­lange Pro­phy­laxe mit ASS erfolgen.


Auf einen Blick

1) Der arte­ri­elle ischä­mi­sche Insult im Kin­des­al­ter weist drei Häu­fig­keits­gip­fel auf: Säug­lings­al­ter, Vor­schul­al­ter und Jugendalter.
2) Pri­märe Risi­ko­fak­to­ren sind Arte­rio­pa­thie, gene­ti­sche Prä­dis­po­si­tio­nen, meta­bo­li­sche Ursa­chen sowie kar­diale und embo­li­sche Erkrankungen.
3) Zu den Leit­sym­pto­men zäh­len neben aku­ter Hemi­pa­rese, Fazia­li­s­pa­rese und Sprach­stö­run­gen unspe­zi­fi­sche Sym­ptome wie Kopf­schmer­zen oder Krampfanfälle.4) Auch „stot­ternde“ Ver­läufe mit wech­seln­der Sym­pto­ma­tik sind mög­lich und tre­ten vor allem bei Kin­dern mit Arte­rio­pa­thien auf.


© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 20 /​25.10.2022